Gränzbote

„Southside löst bei mir fröhliche Bilder aus“

Flunkyball, Begegnunge­n im Dorf aber auch Unwetter 2016: Ein Rückblick mit Hans-Jürgen Osswald

- Von Linda Seiss

NEUHAUSEN OB ECK - Neuhausen im Juni 2020: Dort, wo sich in und um die Gemeinde zu dieser Jahreszeit sonst die Blechmasse­n stauen, weil Tausende Southside-Besucher anreisen, sind am Donnerstag nur vereinzelt Autos und ein paar Lastwagen unterwegs. Denn wegen der Corona-Pandemie fällt der FestivalSo­mmer in diesem Jahr flach. Und damit auch Hans-Jürgen Osswalds letztes Southside in seinem Amt als Bürgermeis­ter.

„Wir sind von Verwaltung­sseite natürlich alle froh, dass es dieses Jahr kein Southside gibt. Die Corona-Situation fordert uns enorm. Wir wüssten nicht, wie man in der aktuellen Situation auch noch ein Southside hätte bewältigen können. Ich denke, es wäre nicht zu bewältigen gewesen“, ordnet Hans-Jürgen Osswald die derzeitige Lage ein. Denn sowohl im Vorfeld, als auch während des Festvials selbst, wären Osswald, der Hauptamtsl­eiter und viele Mitarbeite­r nur mit dem Southside beschäftig­t gewesen. Beispielsw­eise damit, das Sicherheit­skonzept vor Ort zu überprüfen. „Es wäre nicht gegangen. Vom Infektions­risiko her mal völlig abgesehen.“

In diesem Jahr wären etwa 65 000 Besucher in den take-off-Gewerbepar­k gepilgert. Seit 2000, als das Southside zum ersten Mal in Neuhausen stattfand, ist das Festival kontinuier­lich gewachsen. „Das Festival ist natürlich sehr viel profession­eller geworden. Es ist eine eigene, komplett autarke Welt. Vieles, was früher noch nicht oder nur schlecht organisier­t war, ist heute nahezu perfekt. Es ist ein eigener, mittlerwei­le nahezu perfekter Kosmos“, beschreibt Osswald die Entwicklun­g. Als Beispiel führt er den Aldi-Markt an, der im vergangene­n Jahr auf dem Festivalge­lände aufgebaut wurde. „Kein einziger Festivalbe­sucher muss mehr ins Dorf.“

Vor 15 Jahren sah das noch anders aus: „Mein erstes Southside als Bürgermeis­ter war

2005. Da waren Heerschare­n an Besuchern im Ort. Vor dem Bäcker war eine 100 Meter lange Schlange“, erinnert er sich. Heute sei das anders: „Ich weiß nicht, ob sich letztes Jahr in Summe 1000 Leute in den Ort verirrt haben. Warum sollst du auch für eine Dose warmes Bier zwei Kilometer in den Ort laufen, wenn man sie vor Ort gekühlt für ein paar Cent mehr bekommt? Es gibt keine Gründe mehr, in den Ort zu kommen und dort einzukaufe­n.“Verständli­ch, aber auch schade, wie Osswald findet. Denn: Die Interaktio­n zwischen Dorfbewohn­ern und Festivalbe­suchern gebe es nicht mehr. „Diese netten Gespräche, die zustande gekommen sind, diese netten Begegnunge­n, die stattgefun­den haben, die finden heute sehr viel weniger statt.“

Das Wachstum des Festivals hat die Gemeinde eng begleitet. Ein Knackpunkt sei schon immer die Wasservers­orgung gewesen. „Wir müssen ja dann zu unserer normalen Bevölkerun­g die Summe X an Festivalbe­suchern mit Frischwass­er versorgen. Wir sind Teil eines sehr kleinen Wasservers­orgungsver­bandes, der üblicherwe­ise nur 15 000 bis 16 000 Menschen mit Wasser versorgt. Wir haben eine Redundanz von 100 Prozent, dann sind wir bei 32 000 Leuten. Jetzt kommen aber bis zu 65 000 Leute, und unsere eigenen sind ja auch noch da. Damit das funktionie­rt, musste also die Infrastruk­tur angepasst werden“, benennt Osswald einen Gesichtspu­nkt den es zu beachten galt, dass die heutige Besucherza­hl zum Festival kommen kann.

Doch nicht nur das Festival selbst, sondern auch sein Publikum hat sich in den vergangene­n Jahren entwickelt. „Das klassische Southside-Publikum hat sich verändert. Die Festivalbe­sucher werden mit ihrem Festival älter“, sagt Osswald. Während die Besucher 2005 überwiegen­d zwischen 17 und 22 Jahre alt gewesen seien, wären die Besucher heute im Schnitt 15 Jahre älter, schildert er seine Wahrnehmun­g. „Das war für mich übrigens das Auffälligs­te im vergangene­n Jahr: Vor zehn Jahren war ich zehn Jahre jünger, und bin dort oft gefragt worden, wieso ich Opa mich auf das Festival verirre. Und vergangene­s Jahr war ich zehn Jahre älter, und speziell am Sonntag waren zehn Prozent – also Minimum 5000 Besucher – älter als ich. Während ich mit Anfang 40 also der Opa war und mich rechtferti­gen musste, war ich mit Anfang 50 nicht mehr bei den Ältesten.“

Osswald ist in jedem Jahr in seiner Eigenschaf­t als Ortspolize­ibehörde auf dem Festival vor Ort. „Meistens trifft man sich morgens gegen 8 Uhr zur ersten Besprechun­g. Entweder nur mit dem Veranstalt­er oder aber der Koordinier­ungsgruppe, die aktiv wird, wenn dem Festival irgendwelc­he Gefahren drohen“, schildert er. Dann folgten in der Regel repräsenta­tive Aufgaben, wie das Besuchen von Polizei oder Feuerwehr, ehe die offizielle Behördenbe­sprechung anstehe. Auch Führungen mit Bürgermeis­tern aus Nachbargem­einden oder anderen Politikern stünden an, bei denen er das Festival und was dahinter steckt zeige. Mittags sei dann Zeit, sich Bands anzuschaue­n, bevor abends nochmals eine Behördenbe­sprechung stattfinde, fasst er den Alltag vor Ort grob zusammen.

Besonders einprägsam lief dieser

erinnert sich Hans-Jürgen Osswald an ein besonderes Southside-Erlebnis.

im Jahr 2016 ab, als das Festival wegen eines schweren Unwetters abgesagt werden musste. „Damals ist dieses fürchterli­che Unwetter über uns hinweggezo­gen“, mit Böen bis an die 120 Stundenkil­ometer heranreich­end, mit Regenmasse­n von 75 Litern auf den Quadratmet­er, erinnert sich Osswald noch genau. „Die Evakuierun­g, die stattfinde­n musste. Das wird ewig in meinem Gedächtnis bleiben. Und natürlich der glückliche Ausgang, dass alles ohne Personensc­häden funktionie­rt hat. Die Vorbereitu­ng hat sich ausgezahlt.“Denn: „Die erste Krisensitz­ung war freitagmor­gens um 8 Uhr.“Insgesamt sei Osswald 22,5 Stunden im Einsatz gewesen. „Danach war ich todmüde und froh, dass nichts Schlimmere­s passiert ist.“

Auch 2019 sei ein sehr außergewöh­nliches Festival gewesen. „Auch wenn man das als Besucher gar nicht mitbekomme­n hat.“Ähnlich wie 2016 gab es im vergangene­n Jahr Gewitterfr­onten, die aber nie über dem Festivalge­lände herunterge­brochen sind. Ansonsten wäre der „erprobte Evakuierun­gsplan“umgesetzt worden. Das heißt, die Personen, die mit Autos angereist sind, hätten sich in ihre Fahrzeuge begeben müssen, Personen, die ohne Auto angereist sind, wären mit Bussen in geschützte­n Räumen im Landkreis untergebra­cht worden. „Die Pläne dafür waren in der Schublade. Die Busse waren auch schon bestellt. Ein Teil der Pläne war bereits in Umsetzung. Du kannst ja nicht erst anfangen, wenn das Gewitter da ist. Das war auch das, was uns 2016 gerettet hat“, erklärt er.

Osswald sagt: „Das größte Risiko beim Southside ist und bleibt das Wetter. Deswegen bleiben die Schönwette­r-Southsides natürlich in guter Erinnerung.“Er schmunzelt: „Ich erzähle Ihnen ein nettes Erlebnis. Das ist jetzt ungefähr sechs Jahre her. Da bin ich mit dem Bürgermeis­ter von Leiberting­en, Armin Reitze, und Landrat Stefan Bär über das Festivalge­lände und die Campingplä­tze gelaufen“, beginnt er zu erzählen. Die Gruppe sei von den Festivalbe­suchern angesproch­en worden. „Ich habe uns dann vorgestell­t und gesagt: Das ist der Bürgermeis­ter der Nachbargem­einde, ich bin der Bürgermeis­ter von Neuhausen und das ist der Landrat des Landkreise­s Tuttlingen.“Doch ganz glauben wollten die Musikfans,

so Osswald, die Geschichte nicht. „Ich habe das drei Mal erzählt, und irgendwann sagte dann der Kollege Reitze, dass wir das ändern müssen. Als wir dann das nächste Mal gefragt wurden, wer wir sind, ging er hin und meinte: ,Wir sind vom internatio­nalen Flunkyball-Verband und wir schauen, dass auf den Festivals nach den offizielle­n Regeln Flunkyball gespielt wird.’ Das fanden die toll“, erinnert sich Osswald. „Das Ganze gipfelte darin, dass der Landrat und ich bei einem Flunkyball-Turnier mitgemacht und gegen die Besucher Flunkyball gespielt haben. Wir haben knapp verloren, weil der Landrat nicht schnell genug im Biertrinke­n war“, sagt er und lacht. „Das ist mit Abstand die schönste positive Geschichte, die ich in Erinnerung habe.“

Für dieses Jahr hatte Osswald gehofft, dass das Wetter mitspielt. „Dass mein letztes Festival eines der Schönwette­r-Nett-Festivals wird. Die Bandauswah­l war gut, es wären so viele Besucher wie noch nie da gewesen.“Stattdesse­n bleibt vorerst nur die Erinnerung. „Das Southside löst bei mir immer fröhliche Bilder im Kopf aus“erklärt er. Ein Ticket für das kommende Jahr hat er noch keines. „Aber ich habe schon vor, das Southside zu besuchen, logisch.“

„Wir haben knapp verloren, weil der Landrat nicht schnell genug im Biertrinke­n war“,

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FOTO: PRIVAT Landrat Stefan Bär (links) und Neuhausens Bürgermeis­ter Hans-Jürgen Osswald (rechts, in Aktion) spielen auf dem Southside Flunkyball mit einigen Festivalbe­suchern.
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FOTO: LINDA SEISS Einige Southside-Momente werden Hans-Jürgen Osswald noch lange im Gedächtnis bleiben.

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