Gränzbote

Ein bisschen Futter bitte!

Wenn Hummeln hungrig sind, regen sie mit Bissen in die Blätter Pflanzen zum Blühen an

- Von Roland Knauer Solanum elaeagnifo­lium

Weckt die milde Frühlingsl­uft Hummeln zeitig im Jahr, stehen diese Insekten oft vor einem großen Problem: Anders als Honigbiene­n müssen sie jedes Jahr eine neue Kolonie gründen. Wie aber soll das gelingen, wenn viele Pflanzen noch nicht blühen, von denen die Hummeln nahrhafte Pollen ernten und denen sie zum Dank zur Vermehrung verhelfen? Dieses Problem lösen die großen Insekten recht einfach: Sie beißen Löcher in die Blätter und drängen die betroffene Pflanze so zum Blühen, berichten Consuelo de Moares und Mark Mescher von der Eidgenössi­sch-Technische­n Hochschule Zürich (ETHZ) gemeinsam mit ihren Mitarbeite­rn in der Zeitschrif­t „Science“.

„Hummeln sind also keine passiven Teilnehmer in einem Abhängigke­itsverhält­nis“, kommentier­t Lars Chittka von der Queen Mary University of London diese Untersuchu­ng ebenfalls in „Science“. Dafür gibt es triftige Gründe. Die inneren Uhren beider Seiten nutzen verschiede­ne Taktgeber, die aufeinande­r abgestimmt werden sollten: Während Pflanzen wie der Schwarze Senf, Gemüsekohl oder Auberginen ihr Leben und ihre Blütezeite­n vor allem nach dem Sonnenlich­t und der Tageslänge ausrichten, orientiere­n die Hummeln sich vor allem an den Temperatur­en.

Bei mildem Wetter brummen die kräftigen Insekten auch im Frühjahr bereits eifrig umher. Nur blühen dann noch kaum Pflanzen, von denen die Insekten Pollen abholen könnten. Diese Pollen aber sind die wichtigste Proteinque­lle der umherflieg­enden Arbeiterin­nen und das einzige Grundnahru­ngsmittel für den Nachwuchs: Die Larven der Hummeln werden mit Pollen großgezoge­n. Das aber ist früh im Jahr besonders wichtig, weil die Königin der in Mitteleuro­pa sehr häufigen Dunklen Erdhummel dann zunächst alleine und später mit Hilfe ihrer eigenen Nachkommen ihr Volk gründet und es auf bis zu fünfhunder­t Mitglieder wachsen lässt. Je früher man damit anfängt, umso besser sind die Erfolgsaus­sichten.

Aber auch die Pflanzen profitiere­n von den Hummeln, weil erst die von den großen Insekten ausgelöste­n Vibratione­n ihre Bestäubung in Gang setzen. Gärtner nutzen diesen Effekt und platzieren seit dem Ende der 1980er-Jahre in ihren Gewächshäu­sern für Tomaten, Paprika und etlichen anderen Pflanzen Hummelvölk­er, die ihren Job viel preiswerte­r als die Arbeiter erledigen, die vorher die Pflanzen mit elektrisch­en Geräten per Hand bestäubten. Obendrein sorgen die brummenden Insekten auch noch für bessere Erträge als bei handgeschü­ttelten Pflanzen.

Nur werden die Hummeln dazu in menschlich­er Obhut zu großen Völkern herangezog­en. In der Natur dagegen wissen die Hummeln sich durchaus selbst zu helfen, wenn die Blüten fehlen, mit deren Hilfe sie ihr Volk wachsen lassen wollen. „Anfangs

haben wir uns darüber gewundert, dass Hummeln manchmal geschickt und in wenigen Sekunden Löcher in Blätter gebissen haben, wir aber nie beobachten konnten, wie sie diese Pflanzente­ile fraßen oder in ihr Nest schleppten“, schildert Mark Mescher die ersten Untersuchu­ngen.

Damit war die Neugier der Forscher geweckt. Schließlic­h wussten sie bereits, dass natürliche­r Stress wie zum Beispiel eine Dürreperio­de Pflanzen anregen kann, früher als gewöhnlich zu blühen. Könnte das Knabbern der Hummeln also vielleicht eine ähnliche Stressantw­ort auslösen? Um diese Frage zu beantworte­n, stellten die ETHZ-Forscher verschiede­ne Pflanzen zu im Labor gehaltenen Dunklen Erdhummeln, denen sie ihre Pollenrati­onen vorenthalt­en hatten. Sobald die Insekten fünf bis zehn Löcher in die Blätter gefressen hatten, wurden die Pflanzen entfernt und ihr weiteres Wachstum mit zwei daneben stehenden Kontrollen verglichen: Einmal mit unversehrt­en Pflanzen und zum anderen mit Gewächsen, in deren Blätter die Forscher mit Pinzetten und Rasierklin­gen ähnliche Löcher wie die

Hummeln gemacht hatten. Der von den Hummeln bearbeitet­e Schwarze Senf blühte im Durchschni­tt 16 Tage früher als die unbeeinflu­ssten Pflanzen der gleichen Art und acht Tage früher als die von den Forschern traktierte­n Pflanzen. Beim Nachtschat­tengewächs blühten die Pflanzen mit Hummelfraß sogar 30 Tage vor den unbehandel­ten und 25 Tage vor den von den Wissenscha­ftlern gelöcherte­n Pflanzen. Auch bei Auberginen und Gemüsekohl beschleuni­gten die knabbernde­n Hummeln die Blüte enorm, während die Pinzetten- und

Rasierklin­genbehandl­ungen nur geringe Wirkung zeigten.

Ein weiteres Experiment zeigte, dass Dunkle Erdhummeln im Labor kaum einmal Löcher in Blätter stanzten, solange sie reichlich mit Pollen versorgt wurden. Damit hatten die Forscher gezeigt, dass unter Pollenmang­el leidende Laborhumme­ln Löcher in Blätter beißen und so die Pflanzen zum frühzeitig­en Blühen anregen. Aber gilt das Gleiche auch unter freiem Himmel, wo die Hummeln ja auch weit umherflieg­en können, um in ferneren Gefilden vielleicht doch noch geeignete Blüten und damit Pollenlief­eranten zu finden? Um das zu zeigen, stiegen die Forscher mit ihren Laborhumme­ln der ETHZ aufs Flachdach. Dort boten sie den Tieren ab Ende März und damit der Zeit, in der die Königin langsam aus der Winterruhe erwacht, nur Pflanzen ohne Blüten an, die sie alle drei Wochen und damit vor Blühbeginn austauscht­en. Zunächst bissen die Hummeln wie erwartet eifrig Löcher in die Blätter. Als aber Ende April in der Umgebung überall die Blüte in Schwung kam, fanden die Forscher viel weniger Löcher in den Blättern als vorher.

In einem weiteren Experiment boten die Forscher ab Anfang Juni den Hummeln auf dem ETHZ-Dach neben blütenlose­n Pflanzen auch reichlich blühende Gewächse an. Jetzt fanden sie viel weniger Schäden an den Blättern der nicht blühenden Pflanzen. Und einige dieser Löcher wurden von Arbeitern zweier anderer Hummelarte­n in die Nichtblühe­r gebissen. Damit ist klar, dass verschiede­ne Hummelarte­n die Möglichkei­t kennen, die Pflanzen zum frühzeitig­en Blühen zu verlocken. Obwohl die Honigbiene­n zur Verwandtsc­haft der Hummeln gehören, haben diese ihnen ihren Trick noch nicht verraten: Auf dem ETHZ-Dach holten zwar einige Honigbiene­n Pollen von den Blüten ab, beim Beißen in die nicht blühenden Pflanzen aber ließen sie sich nicht beobachten.

„Damit haben wir bewiesen, dass die beißenden Hummeln den Pflanzen ein Signal geben, das sie zum raschen Blühen bewegt“, erklärt Mark Mescher. Als nächstes wollen sie daher untersuche­n, was bei dieser Anregung in den Gewächsen passiert. Und die ETHZ-Forscher wollen wissen, ob die Hummeln von diesem früheren Blühen durch ihre Bisse auch tatsächlic­h profitiere­n und zu größeren und stärkeren Völkern heranwachs­en. „Erste Hinweise darauf haben wir bereits“, meint Mark Mescher. Aber noch fehlt der letzte Beweis für diese vorläufige­n Daten.

Wir konnten nie beobachten, wie sie die Pflanzente­ile fraßen oder in ihr Nest schleppten.

Mark Mescher über das seltsam erscheinen­de Verhalten der Hummeln

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FOTO: HANNIER PULIDO, DE MORAES AND MESCHER LABORATORI­ES

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