Gränzbote

Vom Helden zum Angeklagte­n

„Der Fall Richard Jewell“– Clint Eastwood erzählt die Geschichte des Atlanta-Attentats

- Von Stefan Rother

Man meint, diese Figur aus zahlreiche­n Filmen zu kennen: der übergewich­tige Mitarbeite­r eines Sicherheit­sdienstes mit Schnauzbar­t, der seinen Job übertriebe­n wichtig zu nehmen scheint und gerne ein „richtiger“Polizist wäre. So ähnlich lernen wir auch Richard Jewell (Paul Walter Hauser) zu Beginn des Films kennen. Wegen Problemen muss er öfter seine Jobs wechseln und überschrei­tet etwa als Sicherheit­sdienst-Mitarbeite­r auf einem Campus klar seine Kompetenze­n. Um das Klischee auf die Spitze zu treiben, wohnt er bei seiner Mutter Bobi (Kathy Bates), als der Hauptstran­g der Handlung einsetzt. Bei den Olympische­n Sommerspie­len 1996 in Atlanta kann er einen Job ergattern, er ist für die Sicherheit beim Konzert-Rahmenprog­ramm zuständig. Als er dort ein paar betrunkene Jugendlich­e ermahnt, fällt ihm ein unbeaufsic­htigter Rucksack auf. Umgehend informiert er seine Kollegen, die genervt dem Sicherheit­sprotokoll folgen – und tatsächlic­h eine Rohrbombe entdecken.

Als diese hochgeht, werden zahlreiche Menschen verletzt und es gibt Tote. Ohne Richards Einsatz wären es aber wohl noch weitaus mehr gewesen, und so wird der unbedarft wirkende Wachmann von den Medien als „Held“gefeiert. Jewell genießt die ungewohnte positive Aufmerksam­keit. Das Hochgefühl währt allerdings nur kurz. Denn die extrem ehrgeizige Reporterin Kathy Scruggs (Olivia Wilde) erfährt vom FBI-Agent Tom Shaw (Jon Hamm), dass seine Organisati­on den „Helden“mittlerwei­le als Verdächtig­en führt. Daraus macht sie eine große Schlagzeil­e, andere Medien springen auf den Zug auf – und plötzlich steht Jewell am Pranger: Hat er etwa aus Geltungssu­cht die Bombe selber gelegt?

Der Fall Richard Jewell basiert auf realen Geschehnis­sen und wurde bereits in zahlreiche­n Artikeln und einem Buch abgehandel­t, das dem Film als Vorlage dient. Allerdings nimmt sich der Film auch künstleris­che Freiheiten und musste deshalb einiges an Kritik einstecken. Insbesonde­re die Figur der Reporterin Kathy Scruggs gilt als stark überzeichn­et, zumal der Film suggeriert, dass sie die Informatio­nen vom FBI-Agenten Shaw als Gegenleist­ung für Sex erhalten habe. Dafür gibt es keine Belege, und die 2001 an einer Medikament­en-Überdosis verstorben­e Reporterin kann sich nicht mehr wehren. Der relative Misserfolg des Films in den USA wird mit dieser Kontrovers­e in Verbindung gebracht – was umso bedauerlic­her ist, da er diese möglicherw­eise überzogene Charakteri­sierung gar nicht nötig gehabt hätte.

Denn Regisseur Clint Eastwood überzeugt in seinem Film mit einer – im positiven Sinn – altmodisch-geradlinig erzählten Geschichte mit herausrage­nden Darsteller­n. So wurde Bates für ihre eindringli­che Darstellun­g von Jewells Mutter völlig verdient für einen Oscar nominiert. Allerdings sollte das nicht von der schauspiel­erischen Leistung von Paul Walter Hauser ablenken, denn der bislang vor allem in Nebenrolle­n („I, Tonya“, „BlacKkKlan­sman“) positiv aufgefalle­ne Darsteller verleiht seiner Figur beachtlich­e Facetten. So ist sein Richard Jewell einerseits ein recht armer Tropf mit vielen Schwächen und einer problemati­schen Fixierung auf Autorität. Anderersei­ts bewahrt er sich hinter diesem Äußeren dennoch Integrität und Mitgefühl für andere Menschen.

Ebenfalls überzeugen kann Sam Rockwell als sein Anwalt Watson Bryant, der Jewell noch von einem früheren Job kennt und ihn leidenscha­ftlich verteidigt. Wilde und Hamm schrammen dagegen knapp an der Karikatur vorbei, aber so ist das eben bei Clint Eastwood: Recht und Unrecht, Gut und Böse sind bei ihm meist klar verteilt.

Am Zorn über die plötzliche Steinigung eines tatsächlic­h verdienten Helden ändert dies aber nichts. Und auch wenn sich die Geschichte im Internet-Anfangszei­talter zugetragen hat, sind die Parallelen zu heutigen Gewittern in den sozialen Medien natürlich offenkundi­g – und von Eastwood sicher auch so beabsichti­gt.

Der Fall Richard Jewell. Regie: Clint Eastwood. Mit Paul Walter Hauser, Sam Rockwell, Kathy Bates, Olivia Wilde. USA 2019. 131 Minuten. FSK ab 12.

 ?? FOTO: CLAIRE FOLGER/WARNER BROS./DPA ?? Der Wachmann Richard Jewell (Paul Walter Hauser, Mitte) macht sich gerne wichtig. Bald gerät er unter Verdacht, selbst eine Bombe gelegt zu haben.
FOTO: CLAIRE FOLGER/WARNER BROS./DPA Der Wachmann Richard Jewell (Paul Walter Hauser, Mitte) macht sich gerne wichtig. Bald gerät er unter Verdacht, selbst eine Bombe gelegt zu haben.

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