Ruf nach höherem Gehalt für Pflegende
Kritik an eingeschränktem Corona-Bonus – Giffey will soziale Berufe attraktiver machen
BERLIN/RAVENSBURG - Die Begrenzung des Corona-Bonus auf Mitarbeiter in der Altenpflege sorgt weiter für Kritik: „Die Betroffenen empfinden es zu Recht als ungerecht, dass der Pflegebonus nicht in der Krankenpflege ankommt“, sagte der SPDGesundheitspolitiker Karl Lauterbach der „Augsburger Allgemeinen“. Er forderte einen Pflegegipfel, bei dem generell über eine bessere Vergütung aller Beschäftigten gesprochen werden müsse.
Der Bundestag hatte Mitte Mai einen steuerfreien Corona-Bonus von bis zu 1000 Euro für Mitarbeiter in der Altenpflege beschlossen, der bis Mitte des Monats ausgezahlt werden soll. Die Kosten beziffert die Bundesregierung auf etwa eine Milliarde Euro, die zunächst von der Pflegeversicherung bezahlt werden soll. Dass die Prämie nicht in Krankenhäusern ausgezahlt wird, begründet die Bundesregierung mit dem niedrigeren Lohnniveau in der Altenpflege. Außerdem sei die Belastung in den Kliniken insgesamt sehr unterschiedlich ausgefallen.
Je nach Bundesland fallen die tatsächlichen Bezüge aber verschieden aus: Fast alle Bundesländer, unter ihnen auch Baden-Württemberg, wollen den Betrag um 500 Euro aufstocken. Bayern und Berlin sind eigene Wege gegangen: Im Freistaat konnten bis Ende Juni auch Pflegekräfte in Klinken und Behinderteneinrichtungen, Notfallsanitäter und Rettungsassistenten eine Prämie einfordern, 351 248 Anträge wurden gezählt. In Berlin will das Land den besonderen Corona-Einsatz von Beschäftigten würdigen, darunter auch von Polizisten oder Erziehern im Notbetrieb. Familienministerin Franziska Giffey forderte unterdessen mehr Gehalt, bessere Arbeitsbedingungen und mehr Aufstiegschancen in sozialen Berufen. „Wir brauchen dringend Nachwuchskräfte für die Pflege und die frühe Bildung“, sagte die SPD-Politikerin am Dienstag in Berlin. Anlass ist die Vorstellung einer Jugendbefragung zu den Berufsfeldern. Demnach kann sich zwar knapp ein Viertel vorstellen, in sozialen Berufen zu arbeiten. Allerdings beklagten viele Befragte niedrige Gehälter und schlechte Perspektiven.
RAVENSBURG - In der Corona-Krise wurde eine Forderung immer lauter: Pflegekräfte sollen mehr Wertschätzung erfahren. Für ihren Einsatz hatte ihnen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) einen Bonus versprochen. Nun schafft die „Corona-Sonderprämie“aber viele lange Gesichter. Denn zahlreiche Pflegekräfte gehen leer aus.
Allabendlich standen Menschen auf ihren Balkonen und beklatschten die Pfleger, auch der Bundestag applaudierte ihnen und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dankte dem medizinischen Personal. Als Gesundheitsminister Spahn ihnen eine Prämie von 1500 Euro in Aussicht stellte, war die Freude groß. Doch sie währte nur so lange, bis der Bundestag Mitte Mai ein zweites Maßnahmenpaket im Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie verabschiedet hat. Demnach sollen nur noch Beschäftigte in der Altenpflege oder in der ambulanten Pflege bis zu 1000 Euro bekommen – je nach Funktion und Arbeitszeit.
Das zuständige Ministerium beschreibt auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“die Gründe für diese Kehrtwende. Ein Sprecher erklärt, dass Altenpfleger in den vergangenen Monaten besonderen physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt waren.
Und Gesundheitsminister Spahn erinnerte im ZDF-„Morgenmagazin“daran, dass es in der Krankenhauspflege in der Regel Tarifverträge gebe, anders als in der Altenpflege. Dementsprechend sei die Bezahlung dort niedriger, weswegen man als Gesetzgeber dort eingegriffen habe.
Yvonne Baumann, Verdi-Gewerkschaftssekretärin im Landesbezirk Baden-Württemberg, begrüßt den Pflegebonus. Er sei für die Pflegekräfte ein nettes Dankeschön. „Mehr aber auch nicht.“Vielmehr sei die Prämie wieder so ein „typischer Spahn“, sagt sie. Der Gesundheitsminister schwinge sich zunächst immer als vermeintliche Stimme des Volkes auf, gehe es aber an das Konkrete, dann bleibe bei ihm immer wenig übrig, kritisiert Baumann.
Dass nur Personal in der Altenpflege einen Bonus bekommen soll, sorgt für viel Kritik. „Es gibt keine hundertprozentige Erklärung für diese Gerechtigkeitslücke“, sagte Baden-Württembergs grüner Gesundheitsminister Manfred Lucha – selbst gelernter Krankenpfleger – im ZDF-„Heute-Journal“. Der Bund habe sich für die Berufsgruppe entschieden, die im Einkommensvergleich niedriger liege. „Das heißt nicht, dass die anderen es nicht verdient hätten.“Eine Prämie aus Landesmitteln sei derzeit aber nicht möglich.
Die Bundesländer können die steuerfreie Corona-Prämie um bis zu 500 Euro aufstocken. Doch jedes Bundesland handhabt das unterschiedlich. Die baden-württembergische Landesregierung will Mitarbeitern in der Altenpflege im Juli einmalig 1500 Euro ausbezahlen. Eingeplant seien dafür rund 30 Millionen
Euro, sagt Sozialministeriums-Sprecher Pascal Murmann.
Im Freistaat erhalten alle Pfleger die Prämie. Man zahle einen extra Pflegebonus für alle Pflegekräfte, twitterte jüngst Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Die bayerische Staatsregierung kündigte bereits im April an, sämtliche Pfleger, Rettungssanitäter, Rettungsassistenten oder Notfallsanitäter
finanziell zu belohnen. Bis Ende Juni konnten sie für diesen Bonus einen Antrag stellen. Rund 350 000 solcher Formulare seien eingegangen, rund 180 000 wurden bislang bearbeitet und etwa 80 Millionen Euro ausbezahlt, sagte Bayerns Gesundheits- und Pflegeministerin Melanie Huml (CSU) in München. Im Haushalt sind dafür 131,6 Millionen Euro vorgesehen. Das
Geld dafür kommt vom Freistaat selbst.
Die Kosten für den Bund werden mit rund einer Milliarde Euro veranschlagt. Das Geld hierfür kommt aus der sozialen Pflegeversicherung und wird über einen Bundeszuschuss finanziert. Die gesetzliche Krankenversicherung beteiligt sich anteilig an den Kosten im ambulanten Bereich. Eine Prämie, beispielsweise für Krankenpfleger,
müsste jedoch über die gesetzlichen Krankenkassen finanziert werden. Die Kassen hätten für eine Sonderprämie gar keinen Spielraum, sagt Verdi-Gewerkschaftssekretärin Baumann. Die Folgen: Die Beiträge der Versicherten könnten steigen und die Prämie würde zu einem Teil von den Pflegekräften selbst finanziert, so Baumann. „Das macht nun wirklich keinen Sinn.“