Grimm geht Polzer „an die Gurgel“
Stadt- und Kreisrat will sich nicht fotografieren lassen und greift Kreistagskollegen an
SPAICHINGEN - „Sich an die Gurgel gehen“, eigentlich nur eine Redewendung, wenn eine Debatte einmal hitzig wird, ist am Montag im Rahmen der Spaichinger Gemeinderatssitzung in der Stadthalle Realität geworden: In der Pause zwischen öffentlicher und nicht-öffentlicher Sitzung hat, so mehrere Quellen, Gemeinde- und Kreisrat Leo Grimm (FDP) seinen Kreistagskollegen und früheren Spaichinger Gemeinderat Hermann Polzer (Grüne) tätlich angegriffen. Der Grund: Polzer hatte ihn im Gespräch mit dem Blogger Jochen
Kastilan aus Lahr fotografieren wollen.
Was war passiert? Hermann Polzer, auch Ortsvorsitzender der Grünen in Spaichingen, hatte zusammen mit gut 15 weiteren Zuhörern der Ratssitzung beigewohnt. Diese war im Großen und Ganzen sachlich verlaufen. An mehreren Punkten schienen aber die Lager-Konflikte im Zusammenhang mit der Bürgermeisterzeit von Hans Georg Schuhmacher durch. Der ist am 15. März abgewählt worden.
Unter den Zuhörern auch der frühere Berater Leo Grimms im Landtag, der umstrittene Blogger, der Rentner Jochen Kastilan, der seit
Herbst 2011 von Lahr aus das Spaichinger politische Geschehen auf seinem Blog aus der Perspektive des „Schuhmacher-Lagers“kommentierte.
Offiziell hat Grimm vor einiger Zeit die Zusammenarbeit mit Kastilan als Berater beendet. Kastilan war vor dem Lahrer Amtsgericht wegen Volksverhetzung verurteilt worden. Das Berufungsverfahren ruht derzeit, es ist noch kein neuer Termin vor dem Landgericht Offenburg festgesetzt.
Und so stand Kastilan mit Grimm gegen 21.45 Uhr im Gespräch nach der öffentlichen Ratssitzung beisammen. Und so wollte Hermann Polzer beide fotografieren. Da sei Grimm auf ihn zugestürmt und habe ihn am Hals gepackt („kurzer kräftiger Würgegriff“, der Druckpunkt des rechten Daumens habe noch am nächsten Morgen geschmerzt) und gerufen: „Du fotografierst mich nicht!“
Das dabei entstandene Foto zeige Grimm, als er auf ihn zustürme, so Polzer. Die Szene hat sein Parteikollege Alexander Efinger, Fraktionsvorsitzender im Rat, zufällig gesehen, weil er Polzer im Raum gesucht habe, so berichtet er auf unsere Anfrage.
Er habe gesehen, wie Grimm wutentbrannt auf Polzer zugestürmt sei und ihn angefasst habe. Er, Efinger, sei dazwischen gegangen, wohl in der Befürchtung, es könne noch mehr passieren, und habe Grimm aufgefordert, sich zurück zu nehmen: „Was du da machst, ist ein tätlicher Angriff!“habe er ihm zugerufen. „Ich habe meinen Augen nicht getraut“, als er den Übergriff gesehen habe, so Efinger gegenüber dieser Zeitung.
Es sei noch verbal laut hin und hergegangen, aber als Bürgermeister Markus Hugger nachdrücklich darauf bestanden habe, dass Kastilan den Raum verlasse und die anderen Zuhörer auch, sei die nicht öffentliche Sitzung begonnen worden. Die Lage habe sich beruhigt.
Bürgermeister Hugger sagte auf unsere Anfrage, er habe vorne im Saal gesessen, als die laute und emotionale Auseinandersetzung los ging, weshalb er nichts detailliert gesehen hatte. Er habe als Bürgermeister im
Zusammenhang mit Ratssitzungen auch noch nie eine tätliche Auseinandersetzung erlebt. „Das sind Zustände, wie man sie von manchen Parlamenten kennt.“Als Hausherr habe er Kastilan gebeten, den Raum zu verlassen, um die Sitzung fortzuführen, was dieser auch widerspruchslos getan habe.
Leo Grimm schreibt auf unsere Bitte um Stellungnahme: Polzer habe ihn fotografiert, „während ich ein privates Gespräch geführt habe. Da dies Herr Polzer in der Vergangenheit schon einmal getan hat, und ich ihn gebeten habe, dies zu unterlassen, wurde ich wütend. Ich wollte Herrn Polzer daran hindern, Lichtbilder von mir zu fertigen.“Und weiter: „Es kann sein, dass ich dabei an seinen Hals gekommen bin. Von einer Verletzung habe ich aber nichts bemerkt. Ich wollte Herrn Polzer auch nicht verletzen.“
Die Sache habe ihm sofort leid getan und er habe sich sofort entschuldigt. Polzer habe diese Entschuldigung ausdrücklich und per Handschlag angenommen. Dafür gebe es Zeugen. Damit sei die Angelegenheit für ihn eigentlich erledigt gewesen.
Das sieht Polzer anders: „Hier wurde in der politischen Auseinandersetzung eine Grenze überschritten: das kann und will ich einfach nicht hinnehmen.“Grimms sinngemäße Bemerkung „Ok, das war nicht in Ordnung, aber...“habe er nicht als Entschuldigung gesehen. „Einen versöhnlichen Handschlag gab es nicht.“Juristische Schritte behalte er sich vor. „Ich möchte mich beraten lassen.“Allerdings hat er Bürgermeister Hugger, Landrat Bär und seine Vorstandskollegen, die grünen Räte sowie die Fraktions-Kollegen im Kreistag per Mail informiert.
Was die Gemeindeordnung zu einem solchen Übergriff eines Mandatsträgers
sagt, wollten wir vom Ersten Landesbeamten Stefan Helbig wissen. Es gebe die allgemeine Vorschrift, dass ehrenamtlich tätige Bürger, also auch Gemeinderäte, ihr Amt uneigennützig und verantwortungsbewusst führen müssten. Solch eine Konstellation wie in Spaichingen sei aber aus Sicht der Gemeindeordnung und jenseits etwaiger strafrechtlicher Dimensionen sicherlich ein Graubereich. Politisch gesehen sei klar: „So etwas geht nicht.“