Das Sterben der Wälder
Wegen wachsender Schäden fordern Forscher einen „Green Deal“für den Neuanfang
BERLIN - Er höre täglich von „verstörten Reaktionen“der Touristen, sagt Wernigerodes Oberbürgermeister Peter Gaffert. Das pittoreske Fachwerkstädtchen unter einem malerischen Schloss gehört zu den TopAdressen des Harzes. Doch wer von dort zum nahen Brocken will, fährt mit der Schmalspurbahn etwa eine Stunde lang durch Gerippe toter Fichten. Dabei wollten die Besucher Wald, „und der möge nach Möglichkeit grün sein. Und das ist er nicht mehr“, sagt Gaffert. Sondern grau.
Im Harz zeigen sich die Probleme der deutschen Wälder wie unter einem Brennglas. Eine Kombination aus Stürmen und langen Trockenperioden trifft hier auf angegriffene Fichten-Monokulturen aus der Nachkriegszeit. Eine ideale Mischung für Milliarden Borkenkäfer, gegen die auch die verbliebenen Fichten chancenlos sind. So schlimm wie im Harz ist es zwar im größten Teil Deutschlands nicht, doch das neue Waldsterben hat bundesweit gewaltige Ausmaße angenommen. Es rafft inzwischen selbst Bäume wie die Buchen hinweg, die lange als widerstandsfähig galten.
„Wir erleben gerade die schwerwiegendste Waldschadenssituation seit mehr als 200 Jahren“, sagt der Dresdner Waldschutzprofessor Michael Müller. Eine derartige Kombination aus Stürmen, Trockenheiten, Schädlingen und Krankheiten wie jetzt habe es so noch nicht gegeben. Schäden finden sich an vielen Stellen der 11,4 Millionen Hektar großen Waldflächen in Deutschland. 245 000 Hektar – eine Fläche fast so groß wie das Saarland – sind nach Angaben des Bundeslandwirtschaftsministeriums derzeit so beschädigt, dass sie wiederbewaldet werden müssen.
Doch das wird schwierig. Zwar hat die EU vergangene Woche grünes Licht für ein 800 Millionen Euro umfassendes Hilfspaket Deutschlands gegeben. Doch die Wiederbewaldung dauert: Es fehlen Experten, Zeit und oft auch die Eigenmittel. Wegen der vielen toten Bäume – bundesweit sollen 160 Millionen Kubikmeter Schadholz angefallen sein – ist der Holzpreis eingebrochen. Doch damit haben viele Waldbesitzer ihren Umbau oft finanziert. Der Stadtwald
brachte Wernigerode früher jährlich rund eine halbe Million Euro. Nun kostet er die Stadt das Doppelte. „Trotz der bereits auf den Weg gebrachten Hilfen stehen viele Waldeigentümer vor dem Nichts, ihnen fehlt Liquidität“, sagt Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner. Grüne und FDP fordern deshalb mehr Hilfe für den Wald. Die Grünen wollen mehr Geld, die FDP eine bundesweite Waldschutzoffensive. Baden-Württembergs Forstminister Peter Hauk (CDU) hat bereits eine Flächenprämie für Waldbesitzer in Aussicht gestellt, die ihre Bestände weiter pflegen, auch wenn es sich finanziell nicht mehr lohnt.
So etwas gab es schon nach dem Orkan Lothar 1999. Möglicherweise sorgten Stürme wie Lothar dafür, dass der Waldumbau im Süden früher einsetzte, und deshalb die Schäden im Harz größer sind als hierzulande. Denn die umgebauten Mischwälder gelten als widerstandsfähiger, und Waldumbau ist langwierig, betont Müller.
Die Vorstellung, man könne die Freiflächen einfach mit Mischbeständen bepflanzen, hält er für „Unsinn“. Die Idee, der Natur die Wiederaufforstung zu überlassen, ist für Müller in Wirtschaftswäldern naiv. „Die Natur ist uns Menschen nicht besonders zugetan“, betonte er. Daher sei es auch eine „träumerische Vorstellung“, sie innerhalb kurzer Zeit regeln zu wollen. Notfalls brauche man auch Pflanzenschutzmittel, sagt Müller. Hinzu kommt, dass der Klimawandel auch das Anpflanzen neuer Arten erfordert, meint der Forstprofessor Andreas Bitter. Douglasien, Roteichen, Robinien oder Libanonzedern sollen demnach künftig in den hiesigen Mischwäldern mitwachsen. Bitter sieht im Wiederaufbau der Wälder eine Gemeinschaftsaufgabe und fordert deshalb von der Gesellschaft einen „New Green Deal“. Auch jeder Einzelne habe Macht, könne mit dem Kauf PEFC-zertifizierter Produkte nachhaltige Waldwirtschaft unterstützen.
Wann die Besucher in Wernigerode wieder gesunde Bäume sehen, kann Oberbürgermeister Gaffert nicht absehen. Der Förster hofft, dass die aktuellen Schäden in 30 Jahren nicht mehr zu sehen sind. Dann könne der Wald wieder grün sein.