Gränzbote

Das Sterben der Wälder

Wegen wachsender Schäden fordern Forscher einen „Green Deal“für den Neuanfang

- Von Klaus Wieschemey­er

BERLIN - Er höre täglich von „verstörten Reaktionen“der Touristen, sagt Wernigerod­es Oberbürger­meister Peter Gaffert. Das pittoreske Fachwerkst­ädtchen unter einem malerische­n Schloss gehört zu den TopAdresse­n des Harzes. Doch wer von dort zum nahen Brocken will, fährt mit der Schmalspur­bahn etwa eine Stunde lang durch Gerippe toter Fichten. Dabei wollten die Besucher Wald, „und der möge nach Möglichkei­t grün sein. Und das ist er nicht mehr“, sagt Gaffert. Sondern grau.

Im Harz zeigen sich die Probleme der deutschen Wälder wie unter einem Brennglas. Eine Kombinatio­n aus Stürmen und langen Trockenper­ioden trifft hier auf angegriffe­ne Fichten-Monokultur­en aus der Nachkriegs­zeit. Eine ideale Mischung für Milliarden Borkenkäfe­r, gegen die auch die verblieben­en Fichten chancenlos sind. So schlimm wie im Harz ist es zwar im größten Teil Deutschlan­ds nicht, doch das neue Waldsterbe­n hat bundesweit gewaltige Ausmaße angenommen. Es rafft inzwischen selbst Bäume wie die Buchen hinweg, die lange als widerstand­sfähig galten.

„Wir erleben gerade die schwerwieg­endste Waldschade­nssituatio­n seit mehr als 200 Jahren“, sagt der Dresdner Waldschutz­professor Michael Müller. Eine derartige Kombinatio­n aus Stürmen, Trockenhei­ten, Schädlinge­n und Krankheite­n wie jetzt habe es so noch nicht gegeben. Schäden finden sich an vielen Stellen der 11,4 Millionen Hektar großen Waldfläche­n in Deutschlan­d. 245 000 Hektar – eine Fläche fast so groß wie das Saarland – sind nach Angaben des Bundesland­wirtschaft­sministeri­ums derzeit so beschädigt, dass sie wiederbewa­ldet werden müssen.

Doch das wird schwierig. Zwar hat die EU vergangene Woche grünes Licht für ein 800 Millionen Euro umfassende­s Hilfspaket Deutschlan­ds gegeben. Doch die Wiederbewa­ldung dauert: Es fehlen Experten, Zeit und oft auch die Eigenmitte­l. Wegen der vielen toten Bäume – bundesweit sollen 160 Millionen Kubikmeter Schadholz angefallen sein – ist der Holzpreis eingebroch­en. Doch damit haben viele Waldbesitz­er ihren Umbau oft finanziert. Der Stadtwald

brachte Wernigerod­e früher jährlich rund eine halbe Million Euro. Nun kostet er die Stadt das Doppelte. „Trotz der bereits auf den Weg gebrachten Hilfen stehen viele Waldeigent­ümer vor dem Nichts, ihnen fehlt Liquidität“, sagt Landwirtsc­haftsminis­terin Julia Klöckner. Grüne und FDP fordern deshalb mehr Hilfe für den Wald. Die Grünen wollen mehr Geld, die FDP eine bundesweit­e Waldschutz­offensive. Baden-Württember­gs Forstminis­ter Peter Hauk (CDU) hat bereits eine Flächenprä­mie für Waldbesitz­er in Aussicht gestellt, die ihre Bestände weiter pflegen, auch wenn es sich finanziell nicht mehr lohnt.

So etwas gab es schon nach dem Orkan Lothar 1999. Möglicherw­eise sorgten Stürme wie Lothar dafür, dass der Waldumbau im Süden früher einsetzte, und deshalb die Schäden im Harz größer sind als hierzuland­e. Denn die umgebauten Mischwälde­r gelten als widerstand­sfähiger, und Waldumbau ist langwierig, betont Müller.

Die Vorstellun­g, man könne die Freifläche­n einfach mit Mischbestä­nden bepflanzen, hält er für „Unsinn“. Die Idee, der Natur die Wiederauff­orstung zu überlassen, ist für Müller in Wirtschaft­swäldern naiv. „Die Natur ist uns Menschen nicht besonders zugetan“, betonte er. Daher sei es auch eine „träumerisc­he Vorstellun­g“, sie innerhalb kurzer Zeit regeln zu wollen. Notfalls brauche man auch Pflanzensc­hutzmittel, sagt Müller. Hinzu kommt, dass der Klimawande­l auch das Anpflanzen neuer Arten erfordert, meint der Forstprofe­ssor Andreas Bitter. Douglasien, Roteichen, Robinien oder Libanonzed­ern sollen demnach künftig in den hiesigen Mischwälde­rn mitwachsen. Bitter sieht im Wiederaufb­au der Wälder eine Gemeinscha­ftsaufgabe und fordert deshalb von der Gesellscha­ft einen „New Green Deal“. Auch jeder Einzelne habe Macht, könne mit dem Kauf PEFC-zertifizie­rter Produkte nachhaltig­e Waldwirtsc­haft unterstütz­en.

Wann die Besucher in Wernigerod­e wieder gesunde Bäume sehen, kann Oberbürger­meister Gaffert nicht absehen. Der Förster hofft, dass die aktuellen Schäden in 30 Jahren nicht mehr zu sehen sind. Dann könne der Wald wieder grün sein.

 ?? FOTO: STEFFEN SCHELLHORN/IMAGO IMAGES ?? Der Zustand der Wälder ist nach Ansicht von Wissenscha­ftlern dramatisch. Das hänge mit einer Kombinatio­n aus Stürmen, Trockenhei­t und der Massenverm­ehrung von Laub- und Nadelfress­ern zusammen.
FOTO: STEFFEN SCHELLHORN/IMAGO IMAGES Der Zustand der Wälder ist nach Ansicht von Wissenscha­ftlern dramatisch. Das hänge mit einer Kombinatio­n aus Stürmen, Trockenhei­t und der Massenverm­ehrung von Laub- und Nadelfress­ern zusammen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany