Abgestürzt
Der Markdorfer Luftfahrtzulieferer ZIM beantragt Insolvenz in Eigenverwaltung
MARKDORF - Es ist ein Absturz, dem in der Luftfahrtbranche noch viele folgen könnten: Der Flugsitzhersteller ZIM aus Markdorf am Bodensee ist insolvent und hat beim Amtsgericht Konstanz einen Antrag auf ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung gestellt. Vorläufiger Sachverwalter ist Rechtsanwalt Martin Mucha von der Kanzlei Grub Brugger, der zusammen mit der Geschäftsführung des Unternehmens sowie den Sanierungsexperten Maximilian Pluta und Jochen Glück von der Sanierungsgesellschaft Pluta Wege aus der Krise suchen soll, wie ein Sprecher der Eigenverwaltung der „Schwäbischen Zeitung“bestätigte.
„Grund für die Antragstellung sind die anhaltenden und deutlichen Umsatzrückgänge seit dem Beginn der Corona-Krise“, so der Sprecher weiter. Der Geschäftsbetrieb werde unter den geltenden Hygienebestimmungen uneingeschränkt fortgeführt, die Gehälter der mehr als 200 Mitarbeiter seien über das Insolvenzgeld gesichert. „Der Geschäftsbetrieb wurde durch die Corona-Krise schwer gebeutelt“, erklärt ZIM-Sachverwalter Mucha. „Die Eigenverwaltung arbeitet an einem Sanierungskonzept.“
Noch habe es „keine nennenswerten Stornierungen“von Aufträgen gegeben, „aber viele Projekte und Aufträge wurden verschoben“, sagt ZIMChef Heiko Fricke der „Schwäbischen Zeitung“. „Dies führt dazu, dass ZIM 2020 deutlich weniger Umsatz machen wird als ursprünglich geplant.“ZIM kam zuletzt nach eigenen Angaben auf einen Jahresumsatz von 55 Millionen Euro. Zum Gewinn 2019 äußerte sich das Unternehmen nicht, im Jahr zuvor schrieb der Zulieferer einen Verlust von 2,4 Millionen Euro – nach einem kleinen Gewinn 2017. Gegründet hatten das Unternehmen die früheren Dornier-Ingenieure Angelika
und Peter Zimmermann im Jahr 2008. ZIM etablierte sich in der Folge als Hersteller von Flugzeugsitzen für die Economy-, Premium-Economyund Business-Class und belieferte Flugzeugbauer und Fluglinien in aller Welt, darunter auch die Lufthansa. Erst vor wenigen Monaten gab das Gründerehepaar die Mehrheit an ihrem Unternehmen an den Münchner Finanzinvestor Aurelius ab. „ZIM ist eine tolle Erfolgsgeschichte, das Unternehmen hat innovative Produkte auf den Markt gebracht und es geschafft, sich in einem Markt zu etablieren, in dem viele Dickschiffe unterwegs sind“, erklärt Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt im Gespräch der „Schwäbischen
Zeitung“. Die Situation für die Luftfahrtbranche sei allerdings aufgrund des wegen der Pandemie zusammengebrochenen Flugverkehrs verheeerend. Auf ein Drittel sind die Auslieferungszahlen im Vergleich zu Vorkrisenzeiten zurückgegangen, erläutert Großbongardt. „Und die Krise wird noch lange dauern: Der Verkehr wird erst 2023 wieder auf dem zuvor erreichten Niveau sein, bis die Zahl der gebauten Flugzeuge wieder so ist wie zuvor, dauert es fünf bis sechs Jahre“, erklärt der Experte. Wie viele andere Unternehmen der Branche sei ZIM aber von einem Wachstum ausgegangen. „Die Unternehmen haben zuletzt ihre Produktion gar nicht so schnell ausbauen können, wie die
Nachfrage gestiegen ist“, sagt Großbongardt. „Nun sitzen die Unternehmen auf Produktionskapazitäten, die sehr, sehr teuer sind.“
Der internationale Branchenverband der Fluggesellschaften erwartet, dass das Verkehrsaufkommen im Jahr 2020 im Vergleich zu 2019 um mehr als 50 Prozent sinken wird. Das Passagieraufkommen wird sich in etwa halbieren. Die Einnahmen aus dem Passagierverkehr werden voraussichtlich auf 241 Milliarden US-Dollar zurückgehen (gegenüber 612 Milliarden US-Dollar im Jahr 2019).
„Auf diesen Rückgang muss auch unser Unternehmen reagieren. Daher haben wir entschieden, das Unternehmen in Eigenverwaltung zu sanieren“, sagt ZIM-Chef Heiko Fricke. „Die nächsten Wochen und Monate werden sicherlich herausfordernd, aber ich bin überzeugt, dass wir die Krise meistern werden.“Auch der neue Mehrheitseigentümer Aurelius stehe hinter ZIM und wolle das Unternehmen weiter stützen. „Der Investor hat signalisiert, dass er wichtige Sanierungsbeiträge leisten will“, sagt Fricke weiter. Die Fragen, ob ZIM bereits staatliche Corona-Hilfen in Anspruch genommen hat oder ob der Flugsitzhersteller schon vorher in wirtschaftlichen Schwierigkeiten gewesen ist, beantwortet das Unternehmen nicht.
Die fatale Lage in der Luftfahrtbranche könnte in den kommenden Monaten nach Meinung vieler Experten zu weiteren Insolvenzen führten. Im Luft- und Raumfahrtcluster am Bodensee gibt es mehr als 100 Unternehmen, die rund 8500 Menschen beschäftigen und die unter den gleichen Rahmenbedingungen wie ZIM leiden. Doch das Markdorfer Unternehmen könnte die Wende schaffen, davon ist Heinrich Großbongardt überzeugt. „Aufgrund der Qualität der Produkte sehe ich große Chancen für ZIM“, sagt der Experte. Hoffnung machende Worte in harten Zeiten.