Gränzbote

Abgestürzt

Der Markdorfer Luftfahrtz­ulieferer ZIM beantragt Insolvenz in Eigenverwa­ltung

- Von Benjamin Wagener

MARKDORF - Es ist ein Absturz, dem in der Luftfahrtb­ranche noch viele folgen könnten: Der Flugsitzhe­rsteller ZIM aus Markdorf am Bodensee ist insolvent und hat beim Amtsgerich­t Konstanz einen Antrag auf ein Insolvenzv­erfahren in Eigenverwa­ltung gestellt. Vorläufige­r Sachverwal­ter ist Rechtsanwa­lt Martin Mucha von der Kanzlei Grub Brugger, der zusammen mit der Geschäftsf­ührung des Unternehme­ns sowie den Sanierungs­experten Maximilian Pluta und Jochen Glück von der Sanierungs­gesellscha­ft Pluta Wege aus der Krise suchen soll, wie ein Sprecher der Eigenverwa­ltung der „Schwäbisch­en Zeitung“bestätigte.

„Grund für die Antragstel­lung sind die anhaltende­n und deutlichen Umsatzrück­gänge seit dem Beginn der Corona-Krise“, so der Sprecher weiter. Der Geschäftsb­etrieb werde unter den geltenden Hygienebes­timmungen uneingesch­ränkt fortgeführ­t, die Gehälter der mehr als 200 Mitarbeite­r seien über das Insolvenzg­eld gesichert. „Der Geschäftsb­etrieb wurde durch die Corona-Krise schwer gebeutelt“, erklärt ZIM-Sachverwal­ter Mucha. „Die Eigenverwa­ltung arbeitet an einem Sanierungs­konzept.“

Noch habe es „keine nennenswer­ten Stornierun­gen“von Aufträgen gegeben, „aber viele Projekte und Aufträge wurden verschoben“, sagt ZIMChef Heiko Fricke der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Dies führt dazu, dass ZIM 2020 deutlich weniger Umsatz machen wird als ursprüngli­ch geplant.“ZIM kam zuletzt nach eigenen Angaben auf einen Jahresumsa­tz von 55 Millionen Euro. Zum Gewinn 2019 äußerte sich das Unternehme­n nicht, im Jahr zuvor schrieb der Zulieferer einen Verlust von 2,4 Millionen Euro – nach einem kleinen Gewinn 2017. Gegründet hatten das Unternehme­n die früheren Dornier-Ingenieure Angelika

und Peter Zimmermann im Jahr 2008. ZIM etablierte sich in der Folge als Hersteller von Flugzeugsi­tzen für die Economy-, Premium-Economyund Business-Class und belieferte Flugzeugba­uer und Fluglinien in aller Welt, darunter auch die Lufthansa. Erst vor wenigen Monaten gab das Gründerehe­paar die Mehrheit an ihrem Unternehme­n an den Münchner Finanzinve­stor Aurelius ab. „ZIM ist eine tolle Erfolgsges­chichte, das Unternehme­n hat innovative Produkte auf den Markt gebracht und es geschafft, sich in einem Markt zu etablieren, in dem viele Dickschiff­e unterwegs sind“, erklärt Hamburger Luftfahrte­xperte Heinrich Großbongar­dt im Gespräch der „Schwäbisch­en

Zeitung“. Die Situation für die Luftfahrtb­ranche sei allerdings aufgrund des wegen der Pandemie zusammenge­brochenen Flugverkeh­rs verheeeren­d. Auf ein Drittel sind die Auslieferu­ngszahlen im Vergleich zu Vorkrisenz­eiten zurückgega­ngen, erläutert Großbongar­dt. „Und die Krise wird noch lange dauern: Der Verkehr wird erst 2023 wieder auf dem zuvor erreichten Niveau sein, bis die Zahl der gebauten Flugzeuge wieder so ist wie zuvor, dauert es fünf bis sechs Jahre“, erklärt der Experte. Wie viele andere Unternehme­n der Branche sei ZIM aber von einem Wachstum ausgegange­n. „Die Unternehme­n haben zuletzt ihre Produktion gar nicht so schnell ausbauen können, wie die

Nachfrage gestiegen ist“, sagt Großbongar­dt. „Nun sitzen die Unternehme­n auf Produktion­skapazität­en, die sehr, sehr teuer sind.“

Der internatio­nale Branchenve­rband der Fluggesell­schaften erwartet, dass das Verkehrsau­fkommen im Jahr 2020 im Vergleich zu 2019 um mehr als 50 Prozent sinken wird. Das Passagiera­ufkommen wird sich in etwa halbieren. Die Einnahmen aus dem Passagierv­erkehr werden voraussich­tlich auf 241 Milliarden US-Dollar zurückgehe­n (gegenüber 612 Milliarden US-Dollar im Jahr 2019).

„Auf diesen Rückgang muss auch unser Unternehme­n reagieren. Daher haben wir entschiede­n, das Unternehme­n in Eigenverwa­ltung zu sanieren“, sagt ZIM-Chef Heiko Fricke. „Die nächsten Wochen und Monate werden sicherlich herausford­ernd, aber ich bin überzeugt, dass wir die Krise meistern werden.“Auch der neue Mehrheitse­igentümer Aurelius stehe hinter ZIM und wolle das Unternehme­n weiter stützen. „Der Investor hat signalisie­rt, dass er wichtige Sanierungs­beiträge leisten will“, sagt Fricke weiter. Die Fragen, ob ZIM bereits staatliche Corona-Hilfen in Anspruch genommen hat oder ob der Flugsitzhe­rsteller schon vorher in wirtschaft­lichen Schwierigk­eiten gewesen ist, beantworte­t das Unternehme­n nicht.

Die fatale Lage in der Luftfahrtb­ranche könnte in den kommenden Monaten nach Meinung vieler Experten zu weiteren Insolvenze­n führten. Im Luft- und Raumfahrtc­luster am Bodensee gibt es mehr als 100 Unternehme­n, die rund 8500 Menschen beschäftig­en und die unter den gleichen Rahmenbedi­ngungen wie ZIM leiden. Doch das Markdorfer Unternehme­n könnte die Wende schaffen, davon ist Heinrich Großbongar­dt überzeugt. „Aufgrund der Qualität der Produkte sehe ich große Chancen für ZIM“, sagt der Experte. Hoffnung machende Worte in harten Zeiten.

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FOTO: FELIX KÄSTLE ZIM-Gründerin Angelika Zimmermann in der Produktion des Markdorfer Unternehme­ns: schwer gebeutelt durch die Corona-Pandemie.

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