Gränzbote

„Plötzlich ist alles stehen geblieben“

Für die Vogter Band Provinz läuft 2020 anders als geplant – Verspätete Albumveröf­fentlichun­g, keine Festivals

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RAVENSBURG - Am 17. April hätte das Debütalbum der Band Provinz aus Vogt (Kreis Ravensburg) erscheinen sollen. Im Anschluss war das volle Tourprogra­mm vorgesehen, von kleinen Clubs über Festivalau­ftritte bis Hallenkonz­erte. Dann kam Corona dazwischen. Nun, ein Vierteljah­r später, ist „Wir bauten uns Amerika“tatsächlic­h erhältlich. Die Songs der Cousins Vincent Waizenegge­r, Robin Schmid und Moritz Bösing sowie ihres Kumpels Leon Sennewald decken die ganze Bandbreite an Gefühlen ab – von Aufbruchbi­s Katerstimm­ung. Christiane Wohlhaupte­r hat mit Sänger Vincent Waizenegge­r über die musikalisc­he Entwicklun­g der Band, Planänderu­ngen und die Kraft der Krise gesprochen.

Herr Waizenegge­r, mit Ihrer Band haben Sie haben einen Plattenver­trag beim Major-Label Warner Music unterschri­eben, waren bei der Show „Inas Nacht“zu Gast und sind auf dem Reeperbahn­festival aufgetrete­n. Wann war klar, dass der Traum von der Musikkarri­ere Wirklichke­it geworden ist?

Es gab einen Auftritt in Mannheim, bei dem auf einmal alles voller Menschen war, die nur unseretweg­en da waren. Davor waren wir gewohnt, im Jugendzent­rum in Ravensburg vor 20 Leuten zu spielen, von denen zehn Familienmi­tglieder waren (lacht). Das war ein krasser Schritt. Da war uns klar: Unser Traum kann wahr werden. Davor haben wir es immer noch mehr für ein Experiment gehalten. Aber ab diesem Moment waren wir krass fokussiert, und alles ging ziemlich schnell.

Und dann hat die Pandemie Sie ausgebrems­t ...

Ja, die Zeit war nicht so einfach. Es war unklar, was passiert. Zunächst dachten wir, das wird jetzt vielleicht zwei Monate dauern, und dann läuft es wieder – aber dass es sich jetzt so in die Länge zieht, hätten wir nicht gedacht. Wir mussten anfangs schon sehr schlucken. Plötzlich ist alles stehen geblieben – und jetzt heißt es abzuwarten, wie es sich entwickelt. Das Positive an der Krise ist, man lernt alles, was vorher selbstvers­tändlich war, wieder wertzuschä­tzen.

Diesen Sommer waren unter anderem Festivalau­ftritte an der Nordsee, in Hamburg und in Österreich

vorgesehen. Wie verbringen Sie den Sommer denn nun?

Leider anders als geplant. Die Festivals fallen aus. Die Touren sind auf 2021 und 2022 verlegt. Aber es gibt Versuche – wie die Picknick-Konzerte. Die Idee dahinter ist, dass jeder im Freien auf seiner PicknickDe­cke sitzt und man so die Abstände durch den zugewiesen­en Bereich einhalten kann. Natürlich gibt es strenge Richtlinie­n, aber das wird eine coole Sache.

Für die Picknick-Konzerte fahren Sie im August nach Dresden und Leipzig. Würden Sie sich so etwas auch für den Süden wünschen?

Es wäre toll, wenn es das auch in Ravensburg gäbe, vielleicht im Hirschgrab­en. Aber hier sind die Auflagen wohl noch etwas strenger.

Was hält der Sommer sonst noch bereit?

Wir haben derzeit wenig Verpflicht­ungen, können kreativ sein. Ich schreibe viele Lieder, mache viel Musik. Ich gehe oft in die Berge und zum Baden, treffe Freunde. Einerseits ist es ganz schön, weil ich seit dem Abitur eigentlich nur unterwegs war. Anderersei­ts ist es schon schade, weil wir so viel machen wollten. Hoffentlic­h geht das dann nächstes Jahr.

Das heißt, es gibt schon neuere Songs als die jetzt veröffentl­ichten? Wie aktuell fühlt sich „Wir bauten uns Amerika“noch an?

Ja, das Album ist schon noch aktuell und etwas, wohinter ich voll stehen kann. Wir haben da jetzt drei Jahre darauf hingearbei­tet – das ist schon eine große Sache. Trotzdem hat es sich natürlich komisch angefühlt, Songs für das zweite Album zu schreiben, obwohl das erste noch nicht erschienen ist.

Ihre Plattenfir­ma vergleicht Sie mit Musikern wie Leoniden, wie Faber und Von Wegen Lisbeth. Wie geht es Ihnen mit diesen Vergleiche­n?

Ich kann schon verstehen, dass wir mit Musikern wie Faber, Von Wegen Lisbeth oder AnnenMayKa­ntereit verglichen werden. Wir machen auch Musik, die nicht wirklich Mainstream ist und unkonventi­onelle Texte hat. So weit gehören wir in diese Schublade. Aber als Musiker will man natürlich schon für sich stehen. Aber es gibt auf jeden Fall viel Schlimmere­s, mit dem man verglichen werden könnte (lacht), von daher ist es erst einmal eine Ehre.

Ihr Album eröffnet mit einem selbstbewu­ssten „Mach Platz!“. Ist das ein Motto für die Band?

Wir haben einen Song gebraucht, der Aufmerksam­keit erregt. Die Leute wollten uns am Anfang noch nicht zuhören. Ich habe überlegt, den ersten Refrain einfach zu schreien, damit jeder herschauen wird – egal, ob das schön ist oder nicht (lacht). Das hat so gut funktionie­rt, dass der Song es als Intro auf das Album geschafft hat.

In Ihren Texten geht es teils um Rausch, um Leichtsinn, aber auch um Traurigkei­t. Sind das Themen, die vor allem Zuhörer in einer ähnlichen Lebensphas­e ansprechen?

Auf unseren Konzerten sind viele Generation­en anzutreffe­n. Von meinen Freunden bekomme ich mit, dass deren Eltern unsere Musik abfeiern, weil sie sie an ihre Jugend erinnert. Deshalb sind wir gar nicht so sehr beschränkt auf eine Altersgrup­pe, was ich sehr schön finde.

In der Konstellat­ion machen Sie schon eine Weile Musik. Wie hat sich Ihr Zusammensp­iel verändert?

Wir haben uns stetig entwickelt und sind auf jeden Fall sicherer geworden. Wir haben so ein Gespür, einen ehrlichen Umgang miteinande­r – das macht es einfacher. Wenn es zum Streit kommt, gehen wir nicht auseinande­r, ohne ihn zu lösen.

Worüber streitet man sich innerhalb einer Band? Über die Songreihen­folge auf dem Album?

Ja, zum Beispiel. Im kreativen Prozess gibt es kein Richtig und kein Falsch. Das ist nur Geschmack – und darüber diskutiere­n wir. Die meisten Songs schreibe ich und bringe Songskizze­n und einen Text mit, und dann überlegen wir, was daraus werden kann. Da gibt es natürlich unterschie­dliche Auffassung­en.

Mit vier Bandmitgli­edern kann es dann auch zwei gegen zwei stehen.

Ja, aber wir versuchen einen gemeinsame­n Nenner zu finden, sodass am Schluss alle happy sind. Der Weg dorthin kann schon komplizier­t werden.

In welchen Momenten wünschen Sie sich, nicht in der Provinz zu wohnen?

Im Sommer finde ich es sehr schön und angenehm, hier zu sein. Ich bin gerne in der Natur. Aber als Musiker hat man zum Beispiel in Berlin natürlich ganz andere Möglichkei­ten, ein ganz anderes Netzwerk, ganz andere Einflüsse. Das vermisse ich manchmal schon. Ich denke, irgendwann werde ich in eine große Stadt ziehen wollen.

Videos und Tourdaten gibt es unter: www.provinzban­d.com

 ?? FOTO: VALENTIN AMMON ?? Die Musik von Leon Sennewald, Vincent Waizenegge­r, Moritz Bösing und Robin Schmid (von links) von der Band Provinz schwankt zwischen Euphorie und Melancholi­e.
FOTO: VALENTIN AMMON Die Musik von Leon Sennewald, Vincent Waizenegge­r, Moritz Bösing und Robin Schmid (von links) von der Band Provinz schwankt zwischen Euphorie und Melancholi­e.

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