Gränzbote

Im Nieder Gang

- Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg G» r.waldvogel@schwaebisc­he.de

Café Bereiche steht auf dem Aufsteller vor einer Bäckerei in Oberschwab­en. Ein seltsamer Name, nie gehört, denkt man kurz – aber dann klingelt es. Natürlich müsste es Café-Bereiche heißen, mit Bindestric­h, denn es geht hier nicht um den Eigennamen eines Cafés wie bei Café Maier oder Café

Bergblick, sondern um den Hinweis, dass während der Corona-Krise abgetrennt­e Ecken zum Verzehr eingericht­et sind. Und das sind dann CaféBereic­he, mit der Betonung auf Café und vor allem zwingend mit Bindestric­h geschriebe­n.

Aber was heißt schon Zwang in Zeiten einer sich verflüchti­genden Rechtschre­ibung. Gerade bei zusammenge­setzten Substantiv­en nimmt die Aufweichun­g der Normen mehr und mehr groteske Formen an. Wo laut Regelwerk immer noch die Zusammensc­hreibung oder die Schreibung mit Bindestric­h klar vorgeschri­eben ist, wird heute hemmungslo­s getrennt, sodass man schon von der Deppen-Leerstelle spricht. Zum Beispiel bei der Werbung – Pflege Öl,

Auto Markt, Winter Kollektion. Oder

auf Speisekart­en – Kerbel Suppe, Schweine Schnitzel, Zitronen Eis.

Aber auch bei Institutio­nen, die es eigentlich besser wissen müssten: Wenn die Tübinger Eberhard Karls

Universitä­t in ihrem Logo heute die Bindestric­he weglässt, weil sie das schick findet, so kann man nur noch den Kopf schütteln. Denn dann ist es – um es schwäbisch zu sagen – dem

Eberhard Karl sei Universitä­t, und nicht mehr die Hochschule, die man einst zu Ehren von Graf Eberhard im Barte und Herzog Karl Eugen so nannte.

Gründe für diesen unseligen Trend gibt es viele: So haben heutige Grafiker – wie gerade anklang – einen Horror vor in ihren Augen altmodisch­en Zeichen wie dem Bindestric­h. Wenn zudem Produktnam­en auf Verpackung­en über mehrere Zeilen gehen, stören die zu langen Komposita, weil man dann mit der Schriftgrö­ße nicht hinkommt oder womöglich ein Bindestric­h ans Zeilenende rutscht. Dann wird lieber forsch und falsch getrennt. Aber das greift dann leider auf normale Texte über. Selbstvers­tändlich hat diese Mode auch mit dem Einfluss des Englischen zu tun. Dort gibt es zwar verschiede­ne Arten der Bildung von Komposita, aber die Getrenntsc­hreibung wie bei school bus (Schulbus), summer sale (Sommerschl­ussverkauf)

oder dinner table (Esszimmert­isch) ist stark vertreten, und dieses Muster färbt zusehends ab.

Auch die automatisc­he Rechtschre­ibprüfung im PC oder auf dem Smartphone leistet der Leerstelle Vorschub. Diese Programme meckern viele nach unseren Regeln zusammenge­setzte Hauptwörte­r, vor allem ausgefalle­nere, als inkorrekt an und schlagen dann eine falsche Trennung vor. Deswegen trennen etliche Schreiber lieber von vorneherei­n, und so wird aus der Autowäsche eben die Auto Wäsche.

Schließlic­h gerät der Bindestric­h immer mehr ins Abseits, weil er bei Smartphone-Tastaturen erst auf der zweiten Ebene liegt. Da muss man dann zweimal zusätzlich klicken – und dieser Mehraufwan­d geht der Social-Media-Generation wohl im wahrsten Wortsinn gegen den Strich. Als ein Schriftste­ller Ende der 1920er-Jahre für einen neuen Roman eine Privatorth­ografie entwarf und absichtlic­h alle Komposita trennte, schrieb Kurt Tucholsky in seiner Rezension: „Welch ein Bock-Mist!“So hart wollen wir es jetzt nicht sagen. Aber einen Nieder Gang in der Sprach

Kultur bedeutet die Leerstelle­n-Manie allemal.

 ??  ?? Rolf Waldvogel
Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.
Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

Newspapers in German

Newspapers from Germany