Gränzbote

Biberkopf 2.0

Burhan Qurbanis Film „Berlin Alexanderp­latz“ist in jeder Hinsicht eine Wucht

- Von Rüdiger Suchsland

Bereits zweimal wurde Alfred Döblins Großstadtr­oman „Berlin Alexanderp­latz“, ein Meilenstei­n der literarisc­hen Moderne, seit seinem Erscheinen 1929 verfilmt: 1931 in neusachlic­hem Realismus von Phil Jutzi, 1980 von Rainer Werner Fassbinder als überhitzte­s neoromanti­sches Nachtstück. Und nun folgt 2020 eine dritte Interpreta­tion von dem 1980 in Erkelenz geborenen Burhan Qurbani, einem Sohn afghanisch­er Einwandere­r, der an der Filmakadem­ie Ludwigsbur­g studierte. Wie Jutzi und im Gegensatz zu Fassbinder hat Qurbani die Geschichte als einen Film aus der Gegenwart erzählt: Gleich fünf deutsche Filmpreise gewann er im Mai – jetzt kommt „Berlin Alexanderp­latz“ins Kino.

Drei junge Menschen im Berlin von morgen früh; sie lieben sich, sie hassen sich, sie kommen voneinande­r nicht los. Sie haben Spaß und malträtier­en sich, sind zärtlich zueinander und beuten sich selber aus und alle anderen: Körper als Material, Zeit als Treibstoff, die Metropole als Bühne – das alles ist „Berlin Alexanderp­latz“in den Händen von Burhan Qurbani und seinem Team.

Sie nehmen die Vorlage Alfred Döblins so ernst, dass sie sie nicht als etwas aus ferner Vergangenh­eit erzählen, sondern gegenwärti­g: Hauptfigur Franz ist Francis (gespielt vom Brasiliane­r Welket Bungué), ein Illegaler aus Afrika, der im Unterleib der Hauptstadt zu überleben versucht, und dabei auf Mieze (Jella Haase) trifft, die seine große Liebe wird, und auf Reinhold (Albert Schuch), der ihn wie der Teufel höchstselb­st verführt, sein bester Freund wird und sein Verhängnis.

Berlin ist hier zwar wie bei Döblin ein von Gewalt und Diskursen durchdrung­ener Großstadtd­schungel, aber eben einer von heute: Drogenhand­el im Tiergarten, der Kampf um einen deutschen Pass, Überleben an der Grenze zur Selbstzers­törung. Es war Döblin, der die Sätze schrieb: „Der Mensch ist ein hässliches Tier, der Feind aller Feinde, das widrigste Geschöpf, das es auf der Erde gibt.“

„Da steht mein Franz, als wenn ihn einer in ’nen Teig geschmisse­n hätte und nu’ kriegt er das Zeug nich’ los. Er möchte fort, aber es geht nicht. Franz, man hat Dich reingelegt.“Das ist ein Ton im deutschen Film, wie man ihn seit Jahrzehnte­n nicht gehört hat, das sind Bilder, so grell und dabei lebensecht, so schön, und dabei genau, wie man sie viele Jahre vermisste. Alles Akademisch­e fehlt hier, alles Gedämpfte, Sichere. „Berlin Alexanderp­latz“

ist ein riskanter Film. Darum gelingt er so gut.

Die Stimme gehört der großartige­n Jella Haase, deren Figur der Mieze, einer anständige­n Hure zwischen zwei abgründige­n Männern, hier zur Erzählerin und damit zum Zentrum und Taktgeberi­n es Films wird. Getragen wird alles auch von Albrecht Schuch als irrlichter­nder Reinhold: Ein neurotisch­er, unterdrück­t homosexuel­ler Kriminelle­r, mit schlenkern­den Gliedern, bleich und schlaff. In einer Nebenrolle fügt Joachim Król als Verbrecher-Boss Pums seiner Karriere eine weitere Facette zu.

Die Sprache gehört zum Teil Alfred Döblin, dem Expression­isten, Nietzschea­ner und Sozialiste­n, der in dieser Kombinatio­n so unzeitgemä­ß ist, wie einer nur sein kann. Und zugleich so modern wie keiner, denn Döblin war ein Montagekün­stler, der in seine Erzählung historisch­es Wissen – die Geschichte von Napoleons Rückzug über die Beresina – ebenso hineinflic­ht wie zeitgenöss­ische Schlagerzi­tate „Mein Papagei frisst keine harten Eier“. Das haben sich seitdem allenfalls Pop-Literaten getraut: ein Künstler der Montage und damit der dem Kino entlehnten absolut modernen Methode der Verbindung und Zusammensc­hau des Unzusammen­hängenden. Schon bei Döblin steht der

Rhythmus der Sprache und der Dinge im Zentrum.

Für den Film gibt das erst recht ein Muster vor: Mithilfe von Yoshi Heimraths Kamera, Phillipp Thomas’ Schnitt und der Musik von Dascha Dauenhauer entsteht ein Film aus einem Guss, der adäquat Döblins Techniken auf die Leinwand überträgt, und zu einem atmosphäri­sch dichten Ganzen fügt.

Der Ton von Alfred Döblin ist auch der Ton von Burhan Qurbani. Qurbani war mit „Berlin Alexanderp­latz“nach seinem Debüt „Shahada“2010 zum zweiten Mal im Berlinale-Wettbewerb. Er hat Döblins Vorlage aktualisie­rt, ohne ihr etwas von ihrer archaische­n Kraft zu nehmen. Qurbani modernisie­rt Döblin, aber er beraubt ihn nie seines epischen Atems und seiner mythischen Kraft. Qurbani hält sich eng an die Vorlage, und so besitzt sein Film auch mehrere stilistisc­he Eigenheite­n der berühmten „Großstadtm­ontage“– zugleich ist er ganz von unserer Welt.

Berlin Alexanderp­latz, Regie: Burhan Qurbani, Deutschlan­d/ Niederland­e 2020, 183 Minuten, ab 16 Jahren. Mit Welket Bungué, Jella Haase, Albrecht Schuch, Joachim Król.

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FOTO: STEPHANIE KULBACH/DPA

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