Die schönen Künste und die unendliche Gier
Der Kunsthistoriker Hubertus Butin erklärt in seinem neuen Buch, warum Kunstfälscher (zu) oft leichtes Spiel haben
Jahrelang hatte der Künstler Wolfgang Beltracchi Werke der Klassischen Moderne gefälscht und diese zu Fantasiesummen verkauft. Der Kunsthistoriker Hubertus Butin steigt in seinem neuen Buch tief in die Geschichte des Kunstfälschens hinab und erklärt, dass ausgerechnet der Kunstmarkt gefälschte Gemälde fördert. Denn der Fehler liegt im System, so seine These.
Kunsthistoriker sinnieren bei den früheren Werken Gerhard Richters über die eingesetzte Unschärfe, Investoren zucken nur mit ihren Schultern. Für sie sind Richters Bilder lediglich Aktien an der Wand. Beim traditionsreichen Aktionshaus Sotheby’s in New York wurde sein Gemälde „Domplatz, Mailand“für rund 29 Millionen Euro versteigert, die Londoner Dependance verkaufte 2015 ein abstraktes Werk von Richter für 46 Millionen US-Dollar. Der Einlieferer hatte es Jahre zuvor für rund 600 000 Dollar erworben.
Der Umsatz im weltweiten Kunsthandel lag im vergangenen Jahr bei rund 64 Milliarden US-Dollar. Der Kunstmarkt, die reinste Form des Kapitalismus. Wie von Geisterhand tauchen plötzlich immer wieder neue Werke auf. „Was begehrt ist, wird gefälscht“, schreibt der Berliner Kunsthistorikers Hubert Butin in seinem Buch „Kunstfälschung. Das betrübliche Objekt der Begierde.“Butin, als Gutachter und ehemaliger Mitarbeiter von Gerhard Richter selbst Teil des Systems, skizziert auf 500 Seiten ein System der gegenseitigen Verflechtungen und Abhängigkeiten von Fälschern, Galeristen, Sammlern, Gutachtern und Museumsdirektoren. Viele Akteure werden durch Fälschungen geschädigt, aber nur die wenigsten Geschädigten reden auch darüber. Denn eine aufgedeckte Fälschung „hinterlässt nichts als schweigende Scham bei den Beteiligten“, wusste bereits der verstorbene Kunsthistoriker Max J. Friedländer.
Es ist die Fülle an Geschichten, die das Buch so besonders macht. Es liest sich wie eine Kriminalgeschichte, wenn er den aufsehenerregendsten Fälschungsfall in den Vereinigten Staaten schildert, bei dem eine renommierte Kunsthandlung Fälschungen abstrakter Expressionisten in Umlauf brachte. Oder wenn er von einem Münchner Galeristen berichtet, dessen Kompagnon mit falschen
Dalí-Zeichnungen aus der Slowakei handelte.
Butin nennt Namen und Orte. Kunsthistoriker sind nicht davor gefeit, auf Betrüger hereinzufallen. Im Falle von Beltracchis Max-Ernst-Fälschungen verließen sich alle Beteiligten auf das Kopfnicken von Werner Spies. Der ehemalige Chef des Pariser Centre Pompidou stellte Echtheitszertifikate für sieben Fälschungen Beltracchis aus, die dann für Millionensummen verkauft wurden. Spies vermittelte Käufer und erhielt dafür Verkaufsprovisionen von den Beltracchis, wie auch von den Käufern selbst. Spies leugnete noch im Februar 2012, dass es Beweise für die Fälschungen gebe, schreibt Butin. Also zu einem Zeitpunkt, als Beltracchi vor Gericht schon die MaxErnst-Fälschungen zugegeben hatte.
Fassungslosigkeit schimmert durch die Zeilen, wenn Butin von der medialen Rehabilitierung Beltracchis berichtet. Der trat in unzähligen Talkshows auf und der Applaus war im stets gewiss. Der gesellschaftliche Status von Fälschern hat sich in all den Jahren verändert. Schuld daran sind auch die Medien, so Butin. Denn die hätten die kritische Distanz verloren und seien von dem „Meisterfälscher“geradezu verzückt.
Butin klopft sein ergiebiges Thema von allen Seiten ab. Vieles, was er schreibt ist bekannt, doch das Ausmaß überrascht dann doch. Kopfschüttelnd erfährt man, wie unvorsichtig die Beteiligten agieren. Butin benennt nicht nur eklatante Missstände, er bietet auch Lösungsvorschläge an: Eine vergleichende Stilkritik, chemische Analysen und abgesicherte Provenienzen hält er für unumgänglich, um nicht Fälschern aufzusitzen. Klappt man das Buch zu, stellt man sich die Frage, warum dies in dem Geschäft mit Millionen nicht eigentlich Standard ist.
Hubertus Butin: Kunstfälschung. Das betrügliche Objekt der Begierde, Suhrkamp Verlag, 476 Seiten, 28 Euro.