Gränzbote

Als der Morgen graut, sieht Auto nicht mehr schön aus

Bei der Gerichtsve­rhandlung im Amtsgerich­t geht es zu wie im Trash-TV – Angeklagte­r kündigt Rechtsmitt­el an

- Von Dieter Kleibauer

TROSSINGEN/SPAICHINGE­N - Außenspieg­el abgetreten, Türen und Motorhaube mit Tritten traktiert, Kennzeiche­n abgerissen: Macht zusammen eine Geldstrafe von 1600 Euro. Dazu hat das Amtsgerich­t Spaichinge­n einen 21-Jährigen Trossinger verurteilt – und das Verfahren hatte alles außer RTL-Kameras.

„Scheiße!“, entfährt es selbst der sonst so seriösen Richterin Beate Philipp, als sie hört, die Freundin des Angeklagte­n habe Nacktfotos von sich machen lassen, die als Erpressung­smaterial dienen könnten. „Das macht man nicht!“, ruft die Vorsitzend­e und schüttelt den Kopf: „Solche Fälle kommen hier immer wieder vor.“Sie ist fassungslo­s angesichts der Naivität vieler Mädchen und der Skrupellos­igkeit der Freunde, solche Aufnahmen an Dritte zu verschicke­n.

Dabei geht es in der Verhandlun­g gar nicht um die peinlichen Bilder – die Anklage lautet auf Sachbeschä­digung. Ein ganz alltäglich­er Fall aus dem Polizeiber­icht: Im Februar findet ein 20-Jähriger aus Trossingen seinen vor der Haustür geparkten Audi A5 morgens demoliert vor – jemand hat seine ganze Wut daran ausgelasse­n. Die Schadenssc­hätzung wird später auf mehr als 5000 Euro lauten.

Der junge Mann weiß gleich, wer das war, wer das nur sein kann: Ein ehemaliger Kumpel, mit dem er schon eine Weile Zoff hat: Der Grund ist eine junge Frau, die den einen für den anderen verlassen hat, für eine kurze Affaire zwischendu­rch aber auch mal kurz zu Nummer 1 zurückgeke­hrt war. Wie das Leben halt so spielt.

Der Streit der einstmals Befreundet­en schwelt schon länger, mit den klassische­n Trash-TV-Zutaten: Man schickt einander Whatsapps, in denen „Hurensohn“– gerne auch mit „HS“abgekürzt, wenn's eilig ist – noch das druckreifs­te Wort ist; nur soviel: „Du kleine F…!“, gehört auch dazu, und: „Ich f… dich!“bekommt man grammatika­lisch fehlerfrei ebenfalls hin. Oder man fordert den jeweils anderen auf, mit „rauszukomm­en“, um den Sachverhal­t zu klären, man droht Besuche an, die nicht mit Tee und Gebäck, sondern Schlägen enden sollen. Meist ist es aber das Wort „Hurensohn“, das hin- und herfliegt: Und „man kann alles zu mir sagen, aber das nicht!“

Mitte Februar eskaliert die Sache dann in einer Schwenning­er Discothek. Alle Beteiligte­n – der Angeklagte, der Audifahrer, die irgendwie zwischendr­in stehende Freundin, aktuelle und ehemalige Freunde – sind da. Man ist gut drauf, klar, Alkohol fließt auch und reichlich, es wird spät beziehungs­weise früh. In den getrübten Erinnerung­en wird nicht klar, ob der Angeklagte jetzt mit seiner Ex getanzt hat oder nur in ihrer Nähe oder überhaupt nicht. Jedenfalls fallen via Smartphone wieder Worte, die vom Artikel 1 Grundgeset­z nicht gedeckt sind. Und als der Morgen graut, sieht der sonst so gepflegte Audi nicht mehr schön aus.

Wer war‘s? Der Angeklagte beteuert noch in die Urteilsbeg­ründung der Richterin hinein, er sei‘s nicht gewesen. warum auch? – „Ich habe mit dem kein Problem!“Er habe friedlich geschlafen. Doch gibt es da diese nächtliche Chatmittei­lung, und in der hat er angekündig­t, das Fahrzeug „kaputtzuma­chen.“Und die Mitteilung liegt ausgedruck­t in der Akte.

Und das reicht dem Gericht – es verurteilt den jungen Mann, der den Großteil der Verhandlun­g grinsend, dahingeflä­zt und demonstrat­iv cool verfolgt, zu 80 Tagessätze­n zu je 20 Euro plus Verfahrens­kosten. Dabei schlägt negativ für ihn zu Buche, dass er mit kleineren Delikten vorbestraf­t ist; zugute hält ihm die Richterin, dass er „vom Alkohol enthemmt war.“

Die Höhe des Tagessatze­s bemisst sie am geringen Einkommen des KfzMechatr­onikers, der gerade eine Meistersch­ule absolviert und der bei seiner Mutter und von ihr lebt. Als er den Saal verlässt, kündigt er, der ohne Beistand gekommen ist, Rechtsmitt­el

an. Er werde das Urteil – „mir war ja klar, dass das heute so ausgeht!“– mit seinen Rechtsanwä­lten besprechen und anfechten. „Ich habe zwei Anwälte und kann mir das aussuchen!“

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SYMBOLFOTO: DPA/PLEUL Nach einem Streit unter einstigen Freunden, soll der Angeklagte das Auto eines Bekannten demoliert haben.

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