Als der Morgen graut, sieht Auto nicht mehr schön aus
Bei der Gerichtsverhandlung im Amtsgericht geht es zu wie im Trash-TV – Angeklagter kündigt Rechtsmittel an
TROSSINGEN/SPAICHINGEN - Außenspiegel abgetreten, Türen und Motorhaube mit Tritten traktiert, Kennzeichen abgerissen: Macht zusammen eine Geldstrafe von 1600 Euro. Dazu hat das Amtsgericht Spaichingen einen 21-Jährigen Trossinger verurteilt – und das Verfahren hatte alles außer RTL-Kameras.
„Scheiße!“, entfährt es selbst der sonst so seriösen Richterin Beate Philipp, als sie hört, die Freundin des Angeklagten habe Nacktfotos von sich machen lassen, die als Erpressungsmaterial dienen könnten. „Das macht man nicht!“, ruft die Vorsitzende und schüttelt den Kopf: „Solche Fälle kommen hier immer wieder vor.“Sie ist fassungslos angesichts der Naivität vieler Mädchen und der Skrupellosigkeit der Freunde, solche Aufnahmen an Dritte zu verschicken.
Dabei geht es in der Verhandlung gar nicht um die peinlichen Bilder – die Anklage lautet auf Sachbeschädigung. Ein ganz alltäglicher Fall aus dem Polizeibericht: Im Februar findet ein 20-Jähriger aus Trossingen seinen vor der Haustür geparkten Audi A5 morgens demoliert vor – jemand hat seine ganze Wut daran ausgelassen. Die Schadensschätzung wird später auf mehr als 5000 Euro lauten.
Der junge Mann weiß gleich, wer das war, wer das nur sein kann: Ein ehemaliger Kumpel, mit dem er schon eine Weile Zoff hat: Der Grund ist eine junge Frau, die den einen für den anderen verlassen hat, für eine kurze Affaire zwischendurch aber auch mal kurz zu Nummer 1 zurückgekehrt war. Wie das Leben halt so spielt.
Der Streit der einstmals Befreundeten schwelt schon länger, mit den klassischen Trash-TV-Zutaten: Man schickt einander Whatsapps, in denen „Hurensohn“– gerne auch mit „HS“abgekürzt, wenn's eilig ist – noch das druckreifste Wort ist; nur soviel: „Du kleine F…!“, gehört auch dazu, und: „Ich f… dich!“bekommt man grammatikalisch fehlerfrei ebenfalls hin. Oder man fordert den jeweils anderen auf, mit „rauszukommen“, um den Sachverhalt zu klären, man droht Besuche an, die nicht mit Tee und Gebäck, sondern Schlägen enden sollen. Meist ist es aber das Wort „Hurensohn“, das hin- und herfliegt: Und „man kann alles zu mir sagen, aber das nicht!“
Mitte Februar eskaliert die Sache dann in einer Schwenninger Discothek. Alle Beteiligten – der Angeklagte, der Audifahrer, die irgendwie zwischendrin stehende Freundin, aktuelle und ehemalige Freunde – sind da. Man ist gut drauf, klar, Alkohol fließt auch und reichlich, es wird spät beziehungsweise früh. In den getrübten Erinnerungen wird nicht klar, ob der Angeklagte jetzt mit seiner Ex getanzt hat oder nur in ihrer Nähe oder überhaupt nicht. Jedenfalls fallen via Smartphone wieder Worte, die vom Artikel 1 Grundgesetz nicht gedeckt sind. Und als der Morgen graut, sieht der sonst so gepflegte Audi nicht mehr schön aus.
Wer war‘s? Der Angeklagte beteuert noch in die Urteilsbegründung der Richterin hinein, er sei‘s nicht gewesen. warum auch? – „Ich habe mit dem kein Problem!“Er habe friedlich geschlafen. Doch gibt es da diese nächtliche Chatmitteilung, und in der hat er angekündigt, das Fahrzeug „kaputtzumachen.“Und die Mitteilung liegt ausgedruckt in der Akte.
Und das reicht dem Gericht – es verurteilt den jungen Mann, der den Großteil der Verhandlung grinsend, dahingefläzt und demonstrativ cool verfolgt, zu 80 Tagessätzen zu je 20 Euro plus Verfahrenskosten. Dabei schlägt negativ für ihn zu Buche, dass er mit kleineren Delikten vorbestraft ist; zugute hält ihm die Richterin, dass er „vom Alkohol enthemmt war.“
Die Höhe des Tagessatzes bemisst sie am geringen Einkommen des KfzMechatronikers, der gerade eine Meisterschule absolviert und der bei seiner Mutter und von ihr lebt. Als er den Saal verlässt, kündigt er, der ohne Beistand gekommen ist, Rechtsmittel
an. Er werde das Urteil – „mir war ja klar, dass das heute so ausgeht!“– mit seinen Rechtsanwälten besprechen und anfechten. „Ich habe zwei Anwälte und kann mir das aussuchen!“