Mehr Wohlwollen bei Einzelschicksalen
Innenminister Strobl folgt der Härtefallkommission wieder stärker – Noch Luft nach oben
STUTTGART - Die Unzufriedenheit war groß: Seit 14 Jahren untersucht die Härtefallkommission Einzelschicksale von abgelehnten Asylsuchenden. Nur wenige Dutzend reicht sie jährlich ans Innenministerium weiter mit der Bitte, dass diese Betroffenen in Baden-Württemberg bleiben dürfen. Die Haltung im Ministerium wurde in den vergangenen Jahren immer restriktiver – sehr zum Unmut der Kommissionsmitglieder. Der aktuelle Bericht für 2019 zeigt: Der Trend scheint sich umzukehren.
Manchmal fallen Menschen durchs Raster, weil Gesetze nur die Allgemeinheit und nicht den Einzelfall betrachten. Das sollen die Härtefallkommissionen tun, die es in allen Bundesländern gibt. Die in BadenWürttemberg hat im September 2005 ihre Arbeit aufgenommen. Zehn Ehrenamtliche von Innenministerium, Wohlfahrts- und Kommunalverbänden sowie Kirchen befassen sich seitdem mit Schicksalen von Menschen, die alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft haben.
Lange Zeit ist das Innenministerium – egal unter welcher parteipolitischen Führung – in mehr als 90 Prozent der Fälle den Vorschlägen der Kommission gefolgt. Das hat sich 2017 geändert. Das Gremium leitete 42 Anträge ans Innenministerium weiter, nur 62 Prozent bekamen ein Bleiberecht. Der restriktive Kurs setzte sich 2018 fort. Die Kommission hatte 62 Härtefälle erkannt, Innenminister Thomas Strobl (CDU) indes nur 35 – das entspricht einer Quote von 56 Prozent.
Unter den Ehrenamtlichen hatte sich darüber Ärger breitgemacht. Grünen-Landeschef Oliver Hildenbrand hatte Strobl deshalb dazu aufgerufen, der Arbeit der Kommission mit mehr Wertschätzung zu begegnen. Die Zahlen für 2019 scheinen darauf hinzudeuten, dass die Rufe gehört wurden. Der 14. Tätigkeitsbericht der Kommission ist seit Dienstag öffentlich. Das Gremium hat sich mit 187 Anträgen befasst und 39 davon ans Innenministerium weitergeleitet. In 32 Fällen (82 Prozent) folgte das Ministerium der Kommission.
Daniel Lede Abal, Sprecher für Integration und Migration der GrünenFraktion, spricht von einer Korrektur einer Fehlentwicklung. „Wir sind noch nicht dort, wo wir einmal waren – bei einer beinahe 100-prozentigen Anerkennungsquote. Aber auf einem sehr guten Weg dahin.“Die Härtefallkommission sei eine Gnadeninstanz, die zu Recht hohe Akzeptanz und Wertschätzung genieße. „Es war uns Grünen wichtig, dass das Innenministerium den Empfehlungen der Härtefallkommission wieder deutlich häufiger folgt.“
„Wir freuen uns natürlich über die Entwicklung“, sagt auch Kommissionsmitglied Agnes Christner (SPD), Bürgermeisterin von Heilbronn. Aber auch sie betont den Wunsch, dass sich das Ministerium noch stärker an den Empfehlungen des Gremiums orientiert. „Wir machen uns ja die Entscheidungen in der Kommission nicht leicht. Wir befassen uns eingehend mit den einzelnen Fällen.“
Ähnlich äußert sich Friedhelm Nöh. Der Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt in Stuttgart ist auf Vorschlag der Liga der freien Wohlfahrtspflege in der Kommission tätig – und zwar seit deren Gründung. „Mein Verständnis unserer Arbeit ist, dass wir uns nicht als vorschlagender Beirat verstehen.“Er wünscht sich, dass das Ministerium nur dann anders entscheidet als die Kommission, wenn ihm negative Faktoren bekannt sind, die dem Gremium bei den Beratungen fehlten.
Warum entschied das Ministerium in 18 Prozent der Fälle anders? „Bei der Entscheidung, ob das Innenministerium einem Ersuchen der Härtefallkommission entsprechen kann, findet eine Gesamtabwägung statt“, so ein Sprecher Strobls. Er nennt vor allem drei Aspekte: Ist ein Antragsteller straffällig gewesen? Sorgt er selbst für seinen Lebensunterhalt? Und wichtig sei insbesondere, ob seine Identität geklärt sei.
„Das sind auch für uns negative Indizien, aber wir schauen uns immer den ganzen Fall an“, sagt Friedhelm Nöh. Wenn alles andere stimme, dürfe nicht ein einziger Grund ausschlaggebend sein. Agnes Christner sagt dazu: „Mitunter sehen wir eine Straftat als einmaligen Ausrutscher und sehen dennoch eine sehr positive Zukunftsprognose, wenn der Antragsteller etwa eingebunden ist im Gemeinwesen und viele Unterstützer hat.“Nöh beschreibt zudem einen Teufelskreis: „Wenn sich jemand nach Ansicht der Ausländerbehörde nicht genug um die Klärung seiner
Identität bemüht, bekommt er keine Arbeitserlaubnis.“Dann sei er hier zum Nichtstun verdammt, da er auch nicht abgeschoben werden könne.
Das treibt auch Unternehmer wie den Brauer Gottfried Härle aus Leutkirch um. „Oft wird im Duldungsstatus die Arbeitserlaubnis entzogen, das darf nicht passieren.“Er ist Mitbegründer der Unternehmensinitiative „Bleiberecht durch Arbeit“, die ihren Ursprung in Oberschwaben hat. Deren Ziel: Asylsuchende dürften nicht abgeschoben werden, wenn sie in Beschäftigung sind. Die Unternehmer seien auf sie angewiesen.
Zwar gibt es seit Anfang des Jahres eine Beschäftigungsduldung. Diese greift aber erst, wenn ein Beschäftigter zwölf Monate nach Ende seines Asylverfahrens hier gelebt hat. In der Zwischenzeit könnte er also jederzeit abgeschoben werden. Auf Initiative Baden-Württembergs hat der Bundesrat Anfang Juli nun den Bund aufgefordert, die Duldung „maßvoll“zu erweitern. Wann und ob der Bundestag zustimmt, ist derweil offen. Vor allem in der CDU gibt es Gegenwehr.
Solche Fälle beschäftigen auch die Härtefallkommission. „Wir erleben zunehmend, dass Arbeitgeber die Anträge stellen und sehr überzeugend für ihre Beschäftigten werben“, sagt Agnes Christner. Von den 39 Ersuchen ans Innenministerium waren 25 Antragsteller in Arbeit. 19 davon seien laut Strobls Sprecher positiv beschieden worden. „Wir empfehlen unseren Mitgliedern, diesen Weg zu beschreiten“, sagt Härle von der Unternehmensinitiative. So könne zumindest etwas Zeit gewonnen werden, die für eine Beschäftigungsduldung so nötig sei. So lange sich die Kommission mit dem Fall beschäftige, werde der Mitarbeiter nicht abgeschoben.