3D-Druck-Revolution lässt auf sich warten
Beispiele aus dem Südwesten zeigen, dass die Technik zwar viele Vorteile hat, aber noch lange nicht an herkömmliche Produktionsverfahren rankommt
RAVENSBURG/TUTTLINGEN - Rein von der Form erinnert das kleine Wirbelsäulenimplantat an eine zu groß geratene Kidneybohne. An einem Ende ist das Titanteil aufgeschlitzt, in der Mitte durchbohrt. Im menschlichen Körper soll es die Bandscheibe ersetzen und dafür sorgen, dass die Wirbelsäule beweglich bleibt. An den Oberflächen ist eine Wabenstruktur zu erkennen. 3DDruck macht`s möglich. Für René Pröll, Geschäftsführer bei Diener Implants in Tuttlingen, ist das der entscheidende Wettbewerbsvorteil. „In die Wabenstruktur kann der Knochen super reinwachsen. Die Verbindung von Implantat und Knochen ist dadurch schneller und besser.“Rein von der Funktion sind sie besser als die Implantate aus der Zerspanung. Trotzdem kann der 3D-Druck noch lange nicht mit der Serienproduktion mithalten.
Die Medizintechnik ist eine der Branchen, in denen besonders viel am 3D-Druck getüftelt wird. Deutschland nimmt weltweit eine Spitzenposition ein bei der Entwicklung des Verfahrens. Das verkündete das Europäische Patentamt (EPA) Mitte Juli, als es seine Studie zur Zahl der Patentanmeldungen vorstellte. Aber noch lohnt sich der Einsatz von 3D-Druckern häufig nicht. Qualitativ und finanziell. Da ist es eher ungewöhnlich, dass man bei Diener Implants schon in Serie mit 3D-Druckern produziert. In diesem Jahr mache die additive Fertigung sogar erstmals die Hälfte der Produktion aus, sagt Pröll.
Meinrad Kempf, Projektmanager bei Medical Mountains, ein ClusterNetzwerk für die Medizintechnikbranche in Tuttlingen, sieht große Chancen in der additiven Fertigung. Ein 3D-Drucker könne im Gegensatz zur Serienfertigung individualisierte Medizinprodukte herstellen. Und diesen neue Eigenschaften verleihen. Seien es – wie bei Diener Implants – neue Oberflächenstrukturen und Geometrien oder Hohlräume. So weit wie Diener Implants seien aber die wenigsten, sagt Kempf. „Viele Unternehmen forschen an der Technik. Aber es ist noch ein Zukunftsthema. Es ist noch oft unwirtschaftlich.“
Für bestimmte Implantate rechnet sich das 3D-Druckverfahren bei Diener Implants. „Ich kann Komplexität hinzufügen, ohne dass sie zusätzlich Geld kostet“, sagt René Pröll. „Früher hätte ich zerspant und dann Extrakosten gehabt, um die Oberflächenstruktur zu bearbeiten.“Bis sich die Umstellung auf die additive Fertigung aber richtig auszahlt, müssen die vier Drucker noch eine Weile laufen. „Den Break-even erreichen wir 2022“, schätzt Pröll. Denn die Investitionskosten sind hoch. Allein die Kosten für einen 3DDrucker liegen im mittleren sechsstelligen Bereich. Hinzu kommt eine gut einjährige Validierungsphase für jedes Gerät. Denn die müssen stets gleich hohe Qualität liefern. Bislang müsse im Produktionsprozess aber noch jedes Teil manuell an der Schleifmaschine nachbearbeitet werden.
3D-Drucker hielten noch lange nicht mit der Serienfertigung mit, erklärt Hagen Tschorn, Beiratsvorsitzender im Verband 3D-Druck. „Während die Serie bis auf hundertstel Millimeter genau produzieren kann, liegen die Toleranzen im 3DDruck im Zehntelmillimeterbereich.“Das sei nicht unbedingt schlimm. Man müsse nur darüber reden. Tschorn sieht noch eine Menge Schulungsbedarf im Umgang mit der Technik. Man dürfe sich nicht über hohe Zahlen bei Patentanmeldungen hinwegtäuschen lassen. Die Studie des EPA sage nicht automatisch etwas über die Qualität des technischen Fortschritts aus. „Patente und massive Umsätze spiegeln nur das Interesse an der Technologie wieder.“Jährlich werde zwar immer mehr mit 3D-Druckern produziert. „Aber das sind keine disruptiven
Veränderungen, sondern immer nur kleine Revolutionen.“
Die große Umwälzung ist auch nicht unbedingt gewollt. Das zeigt das Beispiel des Autobauers Porsche aus Stuttgart. Aktuell entwickelt das Unternehmen Kolben für die Hochleistungsmotoren seines Sport modells911GT2RS aus dem 3 D- Drucker. In einer Pressemitteilung heißt es: „Dadurch wiegen die Kolben zehn Prozent weniger als die geschmiedeten Serienkolben. Zudem verfügen sie über einen integrierten und geschlossenen Kühlkanal im Kolbenboden, der mit herkömmlichen Verfahren nicht herstellbar gewesen wäre.“Weniger Gewicht bedeute auch weniger störende Massenkräfte. Dadurch könne der Motor höher drehen. Noch stecke man in der Vorentwicklung. Generell berge der 3D-Druck ein hohes Potenzial und komme auch schon im Prototypenbau und der Ersatzteil fertigung zum Einsatz. Durch additive Fertigung ließen sich Autos individualisieren, zum Beispiel mit Zier teilen. Außerdem könnten aufwändige Zusammenbau-Schritte reduziert werden. Ein komplettes Auto werde man aber wohl kaum drucken. „Gerade in der Groß serienfertigung gibt es bewährte, kostengünstige Produktionsmethoden. Karosserie bleche bis hin zu kompletten bis zu vier Meter langen Seitenteilen beispielsweise werden in hoher Stückzahl in Pressen hergestellt. Es ergibt weder technisch noch wirtschaftlich Sinn, solche Teile im 3D-Druck zu fertigen.“
Noch sind Technik und auch das Material recht teuer. Werkstoffe müssten extra für den 3D-Druck aufbereitet werden, erklärt Hagen Tschorn. Aber die Entwicklung schreite voran. Und wenn immer mehr Konkurrenz auf den Markt komme, könnten die Kosten langfristig sinken. Tschorn sieht Deutschland auf einem guten Weg. „Wir liegen definitiv weit vorne. Hersteller von 3D-Druckern wie EOS oder Trumpf gehören weltweit zu den renommiertesten. Auch inder Automobil industrie und der Medizin technik gehören wir zu den besten weltweit .“Wer sich jetzt Wettbewerbs vorteile mit neuen Produkten aus dem 3D-Drucker erschließe, könne seine Vorreiter stellung behalten.
Zumindest in der Medizintechnik sieht Meinrad Kempf neben der finanziellen aber noch andere Hürden. „Medizin produkte haben ein sehr reguliertes Umfeld. Neben derWi eder herstellungs genauigkeit geht es dabei zum Beispiel auch um Fragen derBio kompatibilität, also inwieweit der Körper sie verträgt. Oder um das Thema Reinheit. Wenn ich zum Beispiel einen Hohlraum einbaue, muss dieser gereinigt werden.“Zudem eigne sich nicht jedes Material für den 3D-Druck.
René Pröll jedenfalls fühlt sich nicht ausgebremst. Neben dem Titandruck steigt er bald in den Kunststoffdruck ein. Ein erstes Testmodell steht schon in der Werkshalle.