SHS-Medizintechnikindex nimmt Branche unter die Lupe
Wie hat sich die Branche in den vergangenen Jahren entwickelt?
TUTTLINGEN - Wie hat sich die Medizintechnikbranche im Vergleich zur Gesamtwirtschaft in den vergangenen Jahren entwickelt? Das soll der SHS-Medizintechnikindex zeigen, der in diesem Jahr zum ersten Mal erschienen ist.
„In der Auswertung kann man sehen, dass die Medizintechnikbranche gegenüber der Gesamtwirtschaft recht stabil ist und in den vergangenen zehn Jahren besser performt hat, als viele andere Branchen“, fasst Hubertus Leonhardt zusammen. Er ist Geschäftsführender Partner bei SHS – einer Gesellschaft für Beteiligungsmanagement. Der Medizintechnikindex wurde in Zusammenarbeit mit Christian Koziol, Inhaber des Lehrstuhls für Finanzwirtschaft der Universität Tübingen, entwickelt und ist an verschiedene Kriterien geknüpft. Dazu gehören unter anderem die Anzahl der Patentzulassungen, der Umsatz, beziehungsweise das Bruttoinlandsprodukt, die Anzahl der Mitarbeiter und die Aktienkurse.
Bislang wurden die Jahre 2010 bis 2019 unter die Lupe genommen. Der
Index soll nun aber jedes Jahr aktualisiert werden. „2010 lag der Wert bei 100 Prozent. Stand heute liegt der Index bei 113 Prozent“, erläutert Leonhardt. Und das, obwohl die Jahre 2017 und 2018 eher schwach waren. „Ein Grund dafür könnte sein, dass im Jahr 2017 die neue EU-Verordnung zu Medizinprodukten eingeführt wurde, welche höhere Anforderungen an Medizintechnik Unternehmen gestellt hat.“Mittlerweile hätte sich der Index aber wieder erholt und sei 2019 sogar um vier Prozentpunkte gestiegen.
Das gute Abschneiden der Branche vermutet der Geschäftsführer in dem sogenannten „Vorzieheffekt“. „Damit meine ich vor allem den Brexit oder die möglichen Zollschranken der USA. Die Aussicht darauf könnte viele Kunden bewegt haben, ihre Lager noch einmal mit Medizintechnik-Gütern aus Deutschland aufzufüllen. Auch der Handelsstreit zwischen den USA und China hat zu einer erhöhten Nachfrage geführt“, erklärt Leonhardt. Dazu käme die ursprünglich für Mai 2020 geplante Einführung der europäischen Medizinprodukteverordnung. „Viele fürchten Zertifizierungsengpässe. Das könnte zu einer grundsätzlichen Lagerauffüllung bei vielen Medizintechnikkunden geführt haben“, so Leonhardt.
Die Medizintechnik sei in Deutschland schon immer eine wichtige exportorientierte Industrie
– vor allem auch hier in der Region. Denn der Anteil der medizintechnischen Unternehmen im Landkreis Tuttlingen und auch in Baden-Württemberg sei im Vergleich zu anderen Kreisen und Bundesländern überproportional hoch. „Sowohl auf der wirtschaftlichen Seite, als auch bei der Gesundheitsversorgung ist die Branche unverzichtbar. Das merkt man in Zeiten von Corona umso mehr“, sagt der Geschäftsführer.
Trotzdem sei die Pandemie auch auch in der Medizintechnik spürbar. „Allerdings sind die Auswirkungen hier extrem unterschiedlich“, sagt Leonhardt und erläutert: „Diejenigen, die im Bereich Intensivmedizin oder Beatmung unterwegs sind oder zum Beispiel Schutzkleidung herstellen, die wachsen in der jetzigen Zeit.“Unternehmen, die elektive Eingriffe vornehmen – also Eingriffe, bei denen es für den Patienten nicht wichtig ist, ob sie aktuell stattfinden, oder erst in einigen Monaten – hätten es schwieriger. „Darunter zählen unter anderem Hersteller von DentalImplantaten und sogar Herzkatheter. Auch, weil nicht alle Eingriffe wirklich nachgeholt werden“, erklärt Leonhardt.
Trotz allem glaube er an einen steigenden Index im Jahr 2020: „Der Index misst ja das Verhältnis von Medizintechnik zur Gesamtwirtschaft. Deshalb gehen wir davon aus, dass der Prozentwert trotz Corona steigt.“Dass es um die Branche gut steht, sehe man auch an der Anzahl der Patente. So wurden allein im Jahr 2019 1222 neue Patente in der deutschen Medizintechnik zugelassen. „Das ist ein Zuwachs von 11,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr“, weiß Leonhardt.
Und wie bleiben die Medizintechnikunternehmen auf dem aufsteigenden Ast? „Wir glauben, dass es wichtig ist, eine Vorwärtsstrategie zu fahren“, sagt der SHS-Geschäftsführer. Man müsse bereit sein, internationale Zulassungen voranzutreiben. „Wir gehen davon aus, dass gerade jetzt aktive Unternehmen ihre Marktposition durch eine kluge Strategie und ausreichend Eigenkapital ausbauen können“, sagt er.
Man müsse neue Produkte fit für den Weltmarkt machen. Leonhardt: „Ich glaube, das ist ganz wichtig, dass man sich den Herausforderungen aktiv stellt.“