Mehr Bergtote bei weniger Unfällen
DAV meldet Anstieg von Todesfällen im vergangenen Jahr – Corona treibt unerfahrene Menschen in die Alpen
MÜNCHEN (dpa) - In den Bergen sind im vergangenen Jahr 54 Mitglieder des Deutschen Alpenvereins bei Unfällen gestorben, das sind 23 mehr als im Vorjahr. Gleichzeitig gab es unter den Mitgliedern weniger Unfälle als 2018. Das geht aus der Statistik für 2019 hervor, die der Deutsche Alpenverein (DAV) am Mittwoch in München vorstellte.
MÜNCHEN - Derzeit geht es hoch her in den Bergen. Viele, die zum Urlaub nicht ins Ausland reisen wollen oder können, stürmen insbesondere die bayerischen Alpen. Viele davon sind unerfahren und wagen sich zum ersten Mal auf einen Berg, der höher ist als ein paar hundert Meter – und gehen dabei unachtsam mit dem Risiko von Unfällen um.
Wie oft es dazu kommt, zeigt die Bergunfallstatistik des Deutschen Alpenvereins (DAV). Aus ihr geht hervor: Die Wahrscheinlichkeit, beim Bergwandern tödlich zu verunglücken, ist verschwindend gering – und das obwohl die Zahl zuletzt deutlich anstieg. Statistisch gesehen müsse man derzeit etwa 2 500 Jahre ununterbrochen in den Bergen wandern, um einmal dabei umzukommen, hat Stefan Winter, Ressortleiter für Sportentwicklung beim DAV, anhand der DAV-Bergunfallstatistik 2019 ausgerechnet, die am Mittwoch in München vorgelegt wurde. Sie erfasst die Unfälle und Notlagen, die den 1,3 Millionen DAV-Mitgliedern im Zeitraum vom 1. November 2018 bis zum 31. Oktober 2019 zustießen.
54 DAV-Mitglieder starben demnach in diesem Zeitraum beim Bergsport – und damit 23 mehr als im Vorjahr. 1140 Mitglieder gerieten in eine Notlage. Das sind 55 weniger als im Vorjahreszeitraum. Die „überraschend deutliche Steigerung“der Todesfälle bewege sich in der Schwankungsbreite der letzten 20
Jahre, sagte Winter. Immerhin zählte der DAV vor 16 Jahren nur 686 000 Mitglieder – heute sind es doppelt so viele.
Weil die überwiegende Zahl der Menschen in den Bergen wandert, ereigneten sich dabei auch die meisten tödlichen Unfälle, nämlich 17 (43 Prozent aller tödlichen Unfälle). Beim risikoreicheren Hochtourengehen kamen neun und beim Alpinklettern fünf Bergbegeisterte ums Leben. Unfallursachen Nummer Eins waren Stolpern, Ausrutschen, Hängenbleiben und in der Folge der Sturz zu Boden oder der Absturz. Bei den tödlichen Unfällen erkannte man in 19 Prozent der Fälle Kreislaufversagen als Ursache, bei weiteren 19 Prozent wird dies zumindest vermutet. Die Zahl der Unfälle im Wintersport sank erheblich von 319 auf 258 bei den Pistenfahrern und Langläufern und von 122 auf 79 bei den Skitourengehern. Winter macht dafür RekordNeuschneemengen im Januar 2019 in den Nordalpen verantwortlich, der den Wintersportbetrieb für Wochen lahmlegte. In Bayern wurde die höchste Lawinenwarnstufe ausgerufen, weshalb Skisportler auf Touren verzichteten.
Wegen der Corona-Pandemie erwarten DAV und Bergwacht ein ungewöhnliches Bergjahr 2020. Zur Hochphase der Pandemie seien die Menschen kaum in die Berge gegangen, berichtete Winter. Schlagartig mit dem Ende der Ausgangsbeschränkungen ziehe es aber mehr Menschen denn je in die Alpen, die „auf so einen Ansturm nicht vorbereitet sind“. Menschen entdeckten die Berge für sich, die zuvor mit ihnen nichts zu tun hatten. Wo viele Menschen seien, steige auch das Unfallrisiko.
Ein Trend, den die Bergrettung Vorarlberg bestätigt. Dort habe die Corona-Pandemie die Einsatzzahlen deutlich nach oben schnellen lassen. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum hat es 27 Prozent mehr Einsätze gegeben, heißt es auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Zwischen 1. Juni und 12. Juli 2020 mussten die Retter insgesamt 84 Mal ausrücken (ohne Einsätze mit Helikopter). Landesleiter Martin Burger sieht einen klaren Zusammenhang zwischen diesem Anstieg und Corona. „Viele haben keine Ahnung vor den alpinen Gefahren“, sagt Burger. Gästen empfiehlt er deshalb, sich im Vorfeld und vor Ort bei Einheimischen nach geeigneten Routen zu informieren. In Vorarlberg sind die Routen farblich markiert, um den entsprechenden Schwierigkeitsgrad anzuzeigen.
Gegenwärtig bestätige sich laut DAV, dass es in den Monaten Juli und August zu den meisten Unfällen und Notfällen am Berg komme. Dazu zählen auch sogenannte Blockierungen, wenn Bergsteiger weder vor noch zurück können, sich verlaufen haben oder zum Weitergehen zu erschöpft sind. Die Zahl dieser Blockierungen war 2019 nach der DAV-Statistik wieder um sechs Prozent angestiegen.