Diskurs am Donaustrand
Lebhafter Austausch bei Talk-Runde zum Thema „Selbstbestimmung“– Drei weitere Abende geplant
TUTTLINGEN - Können wir heute noch selbstbestimmt leben? Zum Austausch über diese Frage lädt Yogalehrer Franz Stettwieser aus Aixheim Interessierte insgesamt fünfmal zum „Sommer-Talk am Steg“ins Golem ein. Am Mittwochabend ist die Reihe im Rahmen von „Sommer im Park“in die zweite Runde gegangen.
Das Thema „Selbstbestimmung“ist hochaktuell angesichts der bestehenden Einschränkung persönlicher Freiheiten durch die staatlichen Maßnahmen zum Schutz gegen die Corona-Pandemie. Franz Stettwieser, Initiator und Moderator des „Sommer-Talks“, möchte Corona aber nicht in den Vordergrund stellen. Sein Anliegen ist es vielmehr, der zunehmenden Polarisierung verschiedenster Gesellschaftsgruppen mit offenen Gesprächsangeboten entgegenzuwirken. „Das Wichtigste ist jede Art des Aufeinanderzugehens“, sagt er zu seiner Motivation für die fünfteilige Veranstaltungsreihe. Der ehemalige Volkswirt arbeitet seit über 25 Jahren als Yogalehrer und lebt in Aixheim.
Mitten unter den vielen GolemBesuchern im Ferien-Freizeit-Modus hat sich an diesem sommerlichen Mittwochabend auf den Liegestühlen die bunt zusammengewürfelte neunköpfige Runde zum politisch-soziologisch-philosophischen Diskurs eingefunden. „Identität und Identifikation“lautet das Thema des zweiten Abends der Reihe.
Definiert die Steueridentifikationsnummer wirklich unsere Identität? Oder setzt sie sich nicht aus einer Fülle von Komponenten zusammen? Spontan kommt ein lebhafter Austausch in Gang: Körpermerkmale und Temperament gehören demnach genauso zu unserer Identität wie Faktoren unserer Herkunft wie Nationalität, Sprache, Dialekt und Kultur. Und vielleicht macht gar die Summe aller unserer Lebenserfahrungen unsere Identität aus? Dann würde sie sich ja mit jeder neuen Erfahrung und Selbstreflexion auch lebenslang weiterentwickeln?
Wofür steht dann der Begriff „Identifizierung“? Womit identifizieren wir uns? Und warum tun wir das? Auf Stettwiesers Fragen nennen die Diskussionsteilnehmer PopKult-Figuren genauso wie politische Organisationen oder Religionsgemeinschaften, denen Menschen zugehören. Die Sehnsucht nach dem „Dazugehören“als Beweggrund wird dabei durchaus kritisch hinterfragt. Genannt wurde die Gefahr, dogmatische Grundsätze, etwa von Religionsgemeinschaften, könnten Strukturen der Angst schaffen, von denen sich Betroffene nur sehr mühsam wieder lösen können. Andere Menschen fühlten sich durch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe plötzlich über Gebühr stark und gäben, wie bei den Straftaten der Hooligans, ihre persönliche Verantwortung an die Gruppe ab.
Einen „guten Stand“, ein gutes Selbstwertgefühl, sieht Stettwieser als Voraussetzung dafür, die Verantwortung für das eigene Tun nicht so einfach abzulegen. Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen sieht er als eine Herausforderung an.
Beim Abgeben von Verantwortung, beim Befolgen fremder Regeln sieht Stettwieser die Gefahr der Trägheit für den Einzelnen. Das könne sich auch körperlich auswirken: „Selbstbestimmt zu agieren stärkt unsere Immunkraft“, sagt der Yogalehrer. Das Abgeben von Verantwortung dagegen schwäche das Immunsystem.
Sein Ziel hat Stettwieser an diesem Abend erreicht: Unter seiner Moderation hat sich unter zuvor weitgehend fremden Menschen ein lebendiger, von Toleranz geprägter Meinungsaustausch entwickelt.