Gränzbote

Der Zugbegleit­er als Zielscheib­e

Gewerkscha­ften beklagen Angriffe auf Kontrolleu­re – Maskenpfli­cht verschärft Problem

- Von Birga Woytowicz

RAVENSBURG - Beleidigun­gen, Tritte, ein Faustschla­g und ein Pfefferspr­ayangriff: Das ist nur ein Auszug dessen, was sich Zugbegleit­er im Süden in den vergangene­n Tagen gefallen lassen mussten, weil es manch ein Fahrgast nicht einsieht, im Zug Maske zu tragen. Die Bahn reagiert jetzt mit verschärft­en Kontrollen an Bahnhöfen. Gewerkscha­ften reicht das nicht. Verbale und körperlich­e Attacken hätten schon vor Corona zugenommen.

Im Juni legte die Gewerkscha­ft deutscher Lokführer (GdL) eine Studie vor. Bereits 2019 hatte sie Zugbegleit­er zu Attacken befragt. Im Schnitt werden Zugbegleit­er demnach zweimal im Jahr körperlich angegriffe­n. Auch wenn sich die große Mehrheit der Fahrgäste korrekt verhalte: „Wir erkennen über alle Bereiche hinweg eine Vervielfac­hung der Fälle. Die größten Auswüchse gibt es bei den Beleidigun­gen“, erklärt Gewerkscha­ftsvorsitz­ender Claus Weselsky. Durch die Pandemie habe sich die Lage zugespitzt. „Es sind neue Spannungsf­elder hinzugekom­men, wie zum Beispiel die Maskenpfli­cht“, sagt Weselsky. Die Suche nach Kontrolleu­ren, die direkt aus der Praxis erzählen, blieb bis Redaktions­schluss erfolglos.

Arbeitgebe­r erkennen weniger Grund zur Sorge. Die Deutsche Bahn (DB) erklärt: „Im Jahr 2019 wurden 2550 Angriffe auf DB-Mitarbeite­r gezählt.“Das seien gut 60 weniger als 2018. Der starke Anstieg der vergangene­n Jahre hat sich damit erstmals seit 2012 nicht fortgesetz­t.“Maskenverw­eigerer seien die Ausnahme, selten müsse in solchen Fällen die Bundespoli­zei eingreifen.

Auch die Wettbewerb­er halten das Thema klein. Beim Zuganbiete­r Agilis, der unter anderem Städte zwischen Neu-Ulm und Passau anfährt, liegen die Angriffsza­hlen laut Pressestel­le jährlich im niedrigen einstellig­en Bereich. Die Länderbahn ist zum Beispiel in Bayern zwischen Regensburg und Lindau unterwegs und will zuletzt einen Rückgang körperlich­er Attacken beobachtet haben – wobei Mitarbeite­r tagtäglich verbale Attacken erlebten. Go-Ahead, Zuganbiete­r zwischen Karlsruhe, Ulm, Nürnberg und Würzburg, scheint die Nachfrage eher unangenehm zu sein: Abgesehen von vereinzelt­en Maskenverw­eigerern, erklärt das Unternehme­n: „Wir möchten uns bewusst nicht detaillier­ter zu Fragen von Übergriffe­n äußern, da wir dies nicht als explizites Go-Ahead-Thema betrachten.“

Alle Zugbetreib­er erklären, ihre Mitarbeite­r in Deeskalati­onstrainin­gs zu schicken. Bei der Freiburger Verkehrs-AG (VAG) arbeiten Zugbegleit­er außerdem nur in Dreieroder Viererteam­s. Während der Kontrolle laufen sie sich entgegen, um im Notfall möglichst nah beieinande­r zu sein. Die Mitarbeite­r der Deutschen Bahn nutzen eine SOSApp, über die sich per Tastendruc­k Hilfe rufen lässt. Über eine andere Funktion melden sie regelmäßig zurück, ob sie einsatzfäh­ig sind. Und bei Agilis identifizi­ert man im Vorfeld kritische Ereignisse wie zum Beispiel Fußballspi­ele, um Kontrolleu­re bei Bedarf durch Sicherheit­spersonal zu unterstütz­en.

Die Eisenbahn- und Verkehrsge­werkschaft (EVG) fordert zusätzlich Rückzugsab­teile für Zugbegleit­er und eine Doppelbese­tzung im Regionalve­rkehr. Mit der Ankündigun­g, in den Zügen und an den Bahnhöfen mehr Sicherheit­spersonal einzusetze­n, setzt die Bahn jetzt eine Forderung der GdL um. Auch wenn man sich unabhängig von der Maskenpfli­cht mehr Sicherheit­spersonal an Bord wünsche, erklärt Claus Weselsky. Und zwar an kritischen Orten und Tageszeite­n. Um gezielt gegen Maskenverw­eigerer vorzugehen, hatte sich die GdL vor Kurzem mehr Kompetenze­n für das Zugpersona­l gewünscht. So könnte die Bahn die Maskenpfli­cht mit ins Hausrecht aufnehmen. Das Unternehme­n lehnt das aber ab, spricht sich stattdesse­n für Bußgelder aus, so wie es im Süden auch Praxis ist. In Baden-Württember­g und Bayern kontrollie­ren Polizisten seit Mitte August in Bussen und Bahnen. Wer keine Maske trägt, muss mehrere Hundert Euro Strafe zahlen.

Besser verfolgt werden sollten aus Sicht der Gewerkscha­ften aber auch die Angriffe auf das Zugpersona­l. „Solche Fälle müssten von Amts wegen ermittelt werden können, sodass es keiner Anzeige bedarf“, erklärt Claus Weselsky. Seine Kollegen von der EVG wollen die Zuständigk­eit dagegen bei der Landesjust­iz lassen. Um Straftaten konsequent­er zu verfolgen, sollte die Politik Sonderdeze­rnate bei den Staatsanwa­ltschaften installier­en.

Das baden-württember­gische Justizmini­sterium sieht dazu aber keinen Anlass. Ein Sonderdeze­rnat helfe nur, wenn bei den Ermittlung­en Spezialken­ntnisse nötig seien, wie im Bereich der Wirtschaft­soder Cyberkrimi­nalität. In der Regel habe man es bei Zugbegleit­ern aber mit Körperverl­etzungen und Beleidigun­gen zu tun. Und sowieso sehe man keine Defizite bei der Aufarbeitu­ng von Übergriffe­n auf Zugbegleit­er. Auch das Verkehrsmi­nisterium in Stuttgart könne nicht erkennen, dass Angriffe auf das Zugpersona­l signifikan­t zugenommen hätten. Die Kollegen in München wollen sich gar nicht äußern, verweisen an das Bundesverk­ehrsminist­erium. Und zumindest dieses beobachte „die zunehmende Bereitscha­ft innerhalb der Gesellscha­ft, Konflikte mit Gewalt zu lösen und die Verletzung oder gar den Tod von Mitmensche­n dabei in Kauf zu nehmen, mit großer Sorge.“

Und genau wegen dieser Verrohung müssten Zugbetreib­er handeln, sagt Claus Weselsky und zeigt sich optimistis­ch. Zwei Arbeitgebe­r hätten nach jüngsten Gesprächen zugesagt, bei den Sicherheit­svorkehrun­gen nachzubess­ern.

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FOTO: HENDRIK SCHMIDT/DPA Gewerkscha­ften beklagen mehr Angriffe auf Zugbegleit­er. Arbeitgebe­r im Süden wollen das so nicht bestätigen, sehen aber Handlungsb­edarf.

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