Gränzbote

„Der Zufall muss mitspielen“

Fall Nawalny: Toxikologe Daldrup erklärt, wie schwer die Suche nach Giftstoffe­n ist

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BERLIN - Der russische Opposition­spolitiker Alexej Nawalny wurde wahrschein­lich vergiftet, melden die Mediziner der Berliner Charité. Der renommiert­e Toxikologe und Düsseldorf­er Rechtsmedi­ziner Thomas Daldrup, bekannt aus dem Prozess um vergiftete Pausenbrot­e in Bielefeld und dem Medikament­enpfusch eines Heilprakti­kers, beschreibt im Gespräch mit Igor Steinle die langwierig­e Suche nach dem Giftstoff. Das Vorgehen der Mediziner gleiche dabei einem Puzzlespie­l – mit offenem Ausgang.

Herr Daldrup, wie schwer ist es, ein Gift zu finden, wenn man nicht weiß, wonach man sucht?

Es gibt drei Szenarien. Man hat entweder aufgrund der Symptome eine Idee, welche Substanz es sein kann, und sucht direkt nach dieser. Dann hat man natürlich schnell Erfolg, wenn es die war. Oder es handelt sich um einen gängigen Stoff, wie etwa häufig eingenomme­ne Arzneimitt­el oder Drogen, wovon ich im Falle Nawalnys jedoch nicht ausgehe. Der wäre durch Routine-Screeningt­ests entdeckt worden. Hat man mit diesen Methoden keinen Erfolg, kann es sehr lange dauern, bis man den Verursache­r der Vergiftung entdeckt.

Wenn die Symptome wichtig sind, sind also Zeugen von Bedeutung?

Zeugen helfen auch, deren Angaben sind aber oft zu subjektiv. Vor allem die Not- und Krankenhau­särzte sind wichtig. Hätte sich der Fall etwa in Deutschlan­d ereignet, würden alle Symptome in der Krankenges­chichte dokumentie­rt. Die kann dann von Toxikologe­n ausgewerte­t werden. Welche Veränderun­gen wurden festgestel­lt, welche Entwicklun­g haben die Symptome genommen, was kam zuerst, was dann?

Ein Beispiel?

Es war etwa von deutlicher Unterzucke­rung die Rede. Das ist ein dramatisch­es Symptom, das für erhöhte Insulinwer­te spricht. Ursächlich hierfür könnte ein zugeführte­r Fremdstoff sein. Sinkt der Zucker unter einen bestimmten Wert, fällt der Patient ins Koma, davor sind unter anderem Verwirrthe­itszuständ­e möglich. Ich würde in einem solchen Fall zuerst nach Stoffen suchen, die den Blutzucker stark absenken können.

Klingt nach einer nicht unbedingt

aussichtsr­eichen Aufgabe.

Der Zufall muss mitspielen. Die Charité-Ärzte haben hoffentlic­h Blutoder Urinproben, die direkt nach der Krankenhau­seinliefer­ung genommen wurden, aus Omsk mitgebrach­t. Wenn, dann hat man vermutlich in diesen Proben noch die Chance, etwas zu finden. Weniger in denen, die erst in Berlin entnommen wurden.

Es ist also wichtig, dass die russischen Kliniken kooperiere­n?

Ja, und dass die Charité-Ärzte, die vor Ort waren, Materialen mitbekomme­n haben. Kleidung etwa, auf der womöglich Erbrochene­s drauf ist. Das erhöht die Chance, einen Fremdstoff zu finden. Manchmal hilft auch ein Hilfsstoff, den man findet, Farbstoff etwa. Es ist ein Puzzle, das man mit analytisch­en Methoden zusammense­tzt. Man kann das Gift finden, aber es ist durchaus möglich, dass gar nichts gefunden wird und dass trotzdem eine Vergiftung vorliegt.

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FOTO: PR Thomas Daldrup

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