„Papier ist für mich unerschöpflich“
Die Immenstaader Künstlerin Silvia Heger findet in der Natur Inspiration für ihre zarten Raumskulpturen
IMMENSTAAD - Silvia Heger zählt zu den herausragenden Künstlerinnen im Bodenseegebiet. Mit handgeschöpftem Papier lässt sie faszinierende Raumobjekte entstehen. Im Gespräch mit Antje Merke erzählt die 57-Jährige, was sie an diesem Material begeistert und wie sie mit der derzeitigen Situation umgeht.
Diese Frage muss man in Zeiten der Pandemie auf jeden Fall stellen: Wie geht es Ihnen?
Inzwischen wieder ganz gut, aber anfangs bin ich schon in eine Schockstarre gefallen. Mit der Folge: Ich konnte nicht mehr arbeiten. In Anbetracht, dass so viele Menschen um ihr Leben kämpften, kam mir mein künstlerisches Arbeiten zuerst fehl am Platz vor. Meine Objekte, die ja mit Leichtigkeit, Stille und Konzentriertheit zu tun haben, stießen auf einmal auf das Gefühl der Schwere, Angst und Ungewissheit. Aber zugleich war diese unglaubliche Ruhe und dieser Moment der Entschleunigung überall zu spüren. Genau dieser gefühlte Stillstand hat mich dann auch wieder in meine kreative und innere Kraft zurückgeführt. Mit dem Ziel, dem Betrachter einen neuen Zugang zu diesem Zustand der Leere zu vermitteln.
Arbeiten Sie jetzt anders?
Kurz davor haben meine Kollegin Waltraud Späth aus Friedrichshafen und ich an einer Ausstellung für die Städtische Galerie in Tuttlingen gearbeitet. Im Laufe der Zeit sind wir dann aber zu dem Entschluss gekommen, dass wir etwas zu dieser Ausnahmesituation machen müssen. Jetzt sind wir dabei, gemeinsam eine künstlerische Rauminstallation zu entwerfen. Das beflügelt uns beide im Moment. Zugleich liegen andere Werkstücke, die ich noch vor der Art Karlsruhe begonnen hatte, bei mir im Atelier unverändert herum. An diesen kann ich gerade nicht weiterarbeiten.
Ihre zarten Raumskulpturen wirken wie eine flüchtige Erscheinung. Was fasziniert Sie am Material Papier?
Als ich das erste Mal vor rund 20 Jahren bei einem Workshop zum Thema Papierschöpfen damit zu tun hatte, war das wie so eine Initialzündung. Ich wusste sofort: Das ist mein Material! Denn ich kann von Anfang an bestimmen, was ich damit machen möchte. Ob ich mein Rohmaterial, die pflanzliche Zellulose, dick oder dünn verarbeite, ob ich es in Weiß verwende oder einfärbe. All das macht es so spannend für mich. Damals dachte ich, mal schauen, wie weit ich damit komme. Und jetzt bin ich immer noch dran, ohne dass mir die Ideen ausgehen. Papier ist für mich unerschöpflich.
Gibt es ein Motiv, das Sie im Moment besonders beschäftigt?
Ich bin ja eine abstrakte Künstlerin. Es geht mir nicht um Gegenständlichkeit, sondern um die Arbeit mit dem Unsichtbaren, mit all den Kräften, die wir nicht sehen, die aber trotzdem da sind. Deshalb verändern sich meine Objekte auch immer mit meiner eigenen Gefühlswelt. Diese weltweite Veränderung im Zuge der Pandemie berührt mich ungemein. Aber ehe ich diese Gefühle in eine Form bringen kann, muss ich das erst einmal für mich ordnen.
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag im Atelier aus? Sind Sie diszipliniert?
Ich arbeite strukturiert, würde ich sagen. Ich bin zwar täglich im Atelier, aber es entsteht nicht ständig eine neue Arbeit. Geistig bin ich immer mit Ideen beschäftigt, nehme Impulse aus meiner Umgebung auf, aber das kreative Arbeiten hat bei mir auch immer etwas mit Eintauchen zu tun. Das liegt vor allem an dem feuchten Material des Zellulosebreis, der schnell verarbeitet werden muss, sonst zersetzt er sich und stinkt ungemein. Wenn ich also einmal angefangen habe, bin ich konzentriert dabei und lasse dann alles andere liegen.
Was ist Ihre Inspirationsquelle?
Meine Inspirationsquelle ist in erster Linie die Natur: angefangen vom Kosmischen über das Feinstoffliche bis zum Kleinteiligen. Vor allem fasziniert mich die Vollkommenheit der Natur. Prinzipiell lasse ich aber dem Zufall und der Intuition sehr viel freien Raum.
Was vermissen Sie derzeit am meisten?
Ich vermisse generell das Miteinander in unserer Gesellschaft. Das hat sich jetzt in der Corona-Krise zwar etwas verbessert, aber da ist schon noch Luft nach oben. Es macht so viel mehr Spaß, auch einmal gemeinsam an einem Projekt zu arbeiten, statt immer nur die eigenen Ziele zu verfolgen. Denn nur im Miteinander kommt man wirklich weiter. Man potenziert die Kraft, die im unmittelbaren Austausch entsteht. Abgesehen davon, nehme ich auch gern Kritik und Anregungen von anderen an. Das bringt mich weiter.
Viele Künstlerinnen beklagen auch heute noch, dass der Kunstmarkt weit entfernt von Gleichbehandlung ist. Sehen Sie das auch so?
Die Dominanz der Männer auf dem Kunstmarkt hat mich zu Beginn meiner Karriere schon verunsichert. Aber ich finde, dass sich das in den vergangenen zehn Jahren deutlich verändert hat – und zwar zum Positiven. Viele Galerien haben mehr Künstlerinnen im Programm; umgekehrt gibt es auch mehr Galeristinnen. Auf meine eigene Arbeit bezogen stelle ich fest, dass sich inzwischen auch Männer für meine Kunst interessieren und nicht nur - wie lange Jahre - ausschließlich Frauen. Das freut mich.