Gränzbote

Mit Milliarden-Krediten gegen Corona

Grün-Schwarz einigt sich auf Neuverschu­ldung – Wohin das Geld fließen soll, ist offen

-

STUTTGART (lsw) - Mit milliarden­schweren Neuschulde­n will die grün-schwarze Landesregi­erung die krisengepl­agte Wirtschaft im Land stützen und den Südwesten vor einer zweiten Corona-Welle wappnen. Die Haushaltsk­ommission einigte sich am Freitagabe­nd darauf, 1,2 Milliarden Euro in ein Zukunftspr­ogramm für den Wirtschaft­sstandort zu investiere­n und 800 Millionen Euro für die Pandemie-Vorsorge zurückzuha­lten. Die Opposition wirft der Landesregi­erung Verschwend­ung und Verfassung­sbruch vor.

Auf die Schuldensu­mme von zwei Milliarden hatten sich Grüne und CDU bereits zu Wochenbegi­nn verständig­t. Nun ist auch die Aufteilung des Geldes klar. Die CDU hatte einen größeren Anteil für Investitio­nen in den Wirtschaft­sstandort gefordert, die Grünen wollten den Großteil für Vorsorgema­ßnahmen für eine zweite Corona-Welle zurückhalt­en.

CDU-Fraktionsc­hef Wolfgang Reinhart wertet das Ergebnis als Verhandlun­gserfolg seiner Partei. „Die Finanzmini­sterin hat uns vorgeschla­gen, 1,2 Milliarden Euro für etwaige Haushaltsr­isiken zurückzuha­lten und 800 Millionen Euro für Zukunftsin­vestitione­n zu verwenden“, sagte er. „Diese Aufstellun­g war uns zu defensiv, wir müssen ja auch nach vorne spielen, Tore schießen. Also haben wir verhandelt und am Ende das Verhältnis umgedreht.“

Grünen-Fraktionsc­hef Andreas Schwarz zeigte sich aber ebenfalls zufrieden und berichtete vom Beschluss einer sogenannte­n einseitige­n Deckungsfä­higkeit. Demnach könnten Gelder aus dem Zukunftspr­ogramm in die Pandemievo­rsorge überführt werden, wenn das nötig sei.

Corona reißt Riesenlöch­er in die Landeskass­en.

Die Steuerschä­tzung geht für den laufenden Dop- pelhaushal­t von Steuermind­erein- nahmen von rund

4,4 Milliarden Euro aus. Das Land will diese Ausfälle über Kredite kompensier­en. Nach den Regeln der Schuldenbr­emse sind konjunktur­bedingt sogar 6,4 Milliarden Euro neue Schulden möglich. Um diese übrigen zwei Milliarden ging es nun in den Verhandlun­gen.

Neben Konjunktur­hilfen lässt die Schuldenbr­emse aber noch weitere Kredite zu, etwa bei Naturkatas­trophen. Der Landtag hatte bereits im März wegen Corona den Katastroph­enfall

festgestel­lt und auf dieser Basis Kredite in Höhe von fünf Milliarden Euro freigegebe­n. Um ein Hilfspaket für die Kommunen zu finanziere­n, plant man, für den Nachtragsh­aushalt weitere Kredite in Höhe von 2,2 Milliarden Euro mit einem Katastroph­enfall zu begründen. Diese Schulden (7,2 Milliarden Euro) sollen ab 2024 im Laufe von 25 Jahren zurückgeza­hlt werden. Die konjunktur­bedingten Schulden (6,4 Milliarden Euro) müssen nur abgestotte­rt werden, wenn die Konjunktur auch gut läuft.

Die Nettoneuve­rschuldung im aktuellen Haushalt dürfte sich damit auf knapp 14 Milliarden Euro belaufen. Gegenüber dem Vor-CoronaSchu­ldenstand des Landes von 45 Milliarden Euro wäre das ein Zuwachs von mehr als 30 Prozent.

In welche konkreten Projekte das Geld des Wirtschaft­sprogramms fließen soll, müssen die Fraktionen nun in den nächsten Tagen klären. Schwerpunk­te der Grünen sind etwa die Gesundheit­swirtschaf­t sowie die Batterie- und Wasserstof­ftechnik. Die CDU setzt den Fokus auf das Förderprog­ramm „BW Invest“, den Breitbanda­usbau und Mittel für die Schulsanie­rung, um schnelles Internet an die Schulen zu bringen.

Jede Seite müsse in den nächsten Tagen konkret sagen, wofür sie jeweils die Hälfte der 1,2 Milliarden Euro investiere­n wolle, hieß es aus Teilnehmer­kreisen. Mit dieser glatten Aufteilung werde deutlich, dass es um Wahlkampf gehe und nicht um Pandemiebe­kämpfung, kritisiert­e FDP-Fraktionsc­hef Hans-Ulrich Rülke. Die FDP behalte sich vor, die Haushaltsp­olitik gerichtlic­h überprüfen zu lassen. „Dass jetzt jede der Regierungs­fraktionen 600 Millionen Euro als ,Verfügungs­masse’ erhält, wirkt wie ein Basar, nicht aber wie wirksames und strategisc­hes Krisenmana­gement“, sagte SPD-Fraktionsc­hef Andreas Stoch.

„Die Farbenlehr­e spielt für mich keine Rolle“, entgegnete GrünenFrak­tionschef Schwarz. Ein Beschluss zu solch einer Aufteilung sei nicht gefallen. Es gehe um Inhalte und Schwerpunk­te. „Mir ist egal, wer den Hut aufhat, mir ist wichtig, dass Projekte gemacht werden.“„Grün wie Schwarz können Themen und Projekte bestimmen. Das ist nicht zwingend deckungsgl­eich mit den Ressorts, die von Grünen oder CDU besetzt werden“, sagte auch ein Regierungs­sprecher.

Bis Mittwoch sollen die Pläne im Umlaufverf­ahren vom Kabinett beschlosse­n werden. Der Nachtragsh­aushalt soll Ende September ins Parlament eingebrach­t und Mitte Oktober verabschie­det werden. Einig sind sich Grüne und CDU, dass man gegenwärti­g nicht sparen will. Die FDP-Fraktion wirft der Landesregi­erung deshalb „hemmungslo­ses Schuldenma­chen“vor. „Nirgendwo wird auch nur in Ansätzen gespart“, sagte FDP-Fraktionsc­hef Rülke.

Auch für die erneute Aufnahme von Schulden mit der Begründung eines Katastroph­enfalls hat die Opposition kein Verständni­s. „Angesichts der Tatsache, dass das Sozialmini­sterium die Zahl der Intensivbe­tten in den Krankenhäu­sern wegen Corona reduziert, kann man nicht weiter von einem Katastroph­enfall reden“, sagte Rülke.

Nach Auffassung der SPD riskiert die Landesregi­erung damit sogar einen Bruch der Verfassung. „Die jetzt zu bekämpfend­en mittelbare­n Folgen der Corona-Pandemie auf Wirtschaft und Gesellscha­ft stellen nach den Regeln der Landesverf­assung eine ,allgemeine Notlage’ dar, für die es eine Zweidritte­lmehrheit im Parlament bedarf“, sagte SPD-Mann Stoch.

 ?? FOTO: TOM WELLER/DPA ?? Grün-Schwarz ist sich einig: Gespart werden soll in Corona-Zeiten nicht. Der Nachtragsh­aushalt soll Ende September in den Landtag eingebrach­t und Mitte Oktober verabschie­det werden.
FOTO: TOM WELLER/DPA Grün-Schwarz ist sich einig: Gespart werden soll in Corona-Zeiten nicht. Der Nachtragsh­aushalt soll Ende September in den Landtag eingebrach­t und Mitte Oktober verabschie­det werden.
 ?? FOTO: DPA ?? Wolfgang Reinhart, Vorsitzend­er der CDU-Fraktion.
FOTO: DPA Wolfgang Reinhart, Vorsitzend­er der CDU-Fraktion.
 ?? FOTO: DPA ?? Andreas Schwarz, Fraktionsv­or- sitzender der Grünen.
FOTO: DPA Andreas Schwarz, Fraktionsv­or- sitzender der Grünen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany