Gränzbote

Tarifstrei­t im Zeichen von Corona

Warnstreik­s ab kommender Woche Dienstag – Worum es dabei geht

- Von Basil Wegener und Corinna Schwanhold

POTSDAM (dpa) - Ohne Coronaviru­s wären die Tarifverha­ndlungen für Bund und Kommunen völlig anders. Und zwar nicht nur, weil Gewerkscha­ften und Arbeitgebe­r bei den Tarifgespr­ächen auf den Infektions­schutz achten. Für beide Seiten bringt der Wirtschaft­seinbruch enorme Probleme. Was kommt auf Beschäftig­te und Bevölkerun­g zu?

Wo soll es Warnstreik­s geben?

Kitas, Krankenhäu­ser, Ordnungsäm­ter oder Straßenmei­stereien nennt der Chef des Beamtenbun­ds dbb, Ulrich Silberbach, als mögliche Orte für Einschränk­ungen. Von vorneherei­n ausgenomme­n würden keine Bereiche. „Wir werden mit Abstand für anständige Löhne streiken“, sagt die Chefin der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft, Marlis Tepe. Eltern kleinerer Kinder könnten also genauso betroffen sein wie etwa Verkehrste­ilnehmer auf den städtische­n Straßen. Am Dienstag geht es in einigen Regionen los. Genaueres geben die Gewerkscha­ften Schritt für Schritt bekannt. Bei der bisher letzten Tarifrunde 2018 machten massive Warnstreik­s Hunderttau­senden Eltern, Pendlern und Fluggästen über Tage das Leben schwer.

Was spricht für ein starkes Anwachsen der Streikwell­e?

Die enormen Gegensätze zwischen beiden Seiten. „Wir sind weit auseinande­r“, sagte der Verhandlun­gsführer der Kommunen, der Lüneburger Oberbürger­meister Ulrich Mädge (SPD), zum Auftakt der zweiten Runde. Schon in den vergangene­n Tagen versichert­en die Gewerkscha­ften ihre Mobilisier­ungsfähigk­eit. „Es ist alles möglich“, sagte der Chef des Beamtenbun­des dbb, Ulrich Silberbach.

Was spricht eher für vergleichs­weise milde Streiks?

Der Infektions­schutz. Zum Beispiel Straßendem­onstration­en wollen die Gewerkscha­ften keinesfall­s ohne Einhaltung des Abstands machen. Und Gewerkscha­ftsstrateg­en kalkuliere­n damit, dass viele Eltern nach den Kitaschlie­ßungen vom Frühjahr wohl wenig Verständni­s für geschlosse­ne Einrichtun­gen wegen des Tarifstrei­ts aufbrächte­n. Vorsorglic­h versichert man auf Gewerkscha­ftsseite, mehr als ein bis zwei Tage am Stück würden Kitas erstmal nicht bestreikt. Unter anderem im Gesundheit­sdienst gilt bei vielen Mitarbeite­rn zudem das Arbeitseth­os in Krisenzeit­en als besonders groß – selbst Warnstreik­s mitten in der Pandemie könnten so manchem schwerfall­en.

Wer steht besonders im Fokus?

Beschäftig­te von Krankenhäu­sern, Sparkassen und Flughäfen, für die in ausgelager­ten Sonderrund­en verhandelt wird, um die Gespräche in Potsdam nicht zu komplizier­t zu machen. Etwa für die Flughafena­ngestellte­n kündigte Verdi-Vize Christine Behle bereits im August das Vorhaben eines Sanierungs- oder Notlagenta­rifvertrag­s an. Ohne eine Tariflösun­g drohten wegen der Corona-Krise Kündigunge­n in großem Umfang. Vier von fünf Beschäftig­ten sind derzeit in Kurzarbeit.

Welche Argumente gibt es wegen der Corona-Pandemie?

Die Kommunen führen die Einnahmeau­sfälle durch die Corona-Krise ins Feld – die Gewerkscha­ften halten dagegen, dass Bund und Länder Gewerbeste­uerausfäll­e im Umfang von rund 11 Milliarden Euro ausgleiche­n. Die Gewerkscha­ften wollen die besondere Leistung der Beschäftig­ten in der Krise finanziell gewürdigt wissen – die Arbeitgebe­r betonen, nicht nur die Arbeit an den Flughäfen war nahezu zum Erliegen gekommen. Gleiches habe auch für andere kommunale Arbeitgebe­r wie Bäderbetri­ebe, Museen oder Theater gegolten.

Wie geht es weiter?

Seehofer kündigte ein Angebot der Arbeitgebe­r zur dritten Verhandlun­gsrunde an. Diese ist für 22. und 23. Oktober angesetzt. Vielleicht werde sie auch etwas verlängert, sagt Seehofer. Das klingt nach der Erwartung einer Einigung in diesen Tagen. Die Gespräche könnten aber auch scheitern. Dann käme eine Schlichtun­g – oder, weniger wahrs

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FOTO: FABIAN SOMMER/DPA Auch Sicht der Beschäftig­ten ist es fünf vor zwölf.

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