Welpen als Ramschware
Der Handel mit illegal eingeführten Hunden aus Osteuropa boomt – Die Tiere leiden und die Käufer zahlen am Ende einen hohen Preis
- In dem kleinen Büro von Ralf Peßmann, Leiter des Tierheims Ulm, geht es an einem frühen Samstagmorgen zu wie im Taubenschlag. Mitarbeiter stecken ihre Köpfe durch die Tür, wollen etwas wissen über Futteranschaffung, Tiertransporte oder Hundeschulung. Gleichzeitig weiß Peßmann nicht, welchen digitalen Kanal er zuerst bedienen soll. Auf seinem Handydisplay erscheint die Nummer der Polizei. „Oh, mal sehen, was die wollen“, doch bevor er zurückrufen kann, macht es „Pling“und per WhatsApp kommt vom Tierarzt die Nachricht rein, auf die er gewartet hat. „Der Welpe ist über den Berg“, sagt Peßmann erleichtert. „Gut!“Das Tier war über Nacht schwach und lethargisch geworden, es drohte zu verenden. Die rasche Fahrt zum Tierarzt im Morgengrauen kam für den kleinen Retriever gerade noch rechtzeitig. Dieses Glück haben nicht alle Hunde, die illegal aus Osteuropa eingeschleust werden.
Für das Tierheim Ulm kam es zuletzt ziemlich dicke. Ende August wurde dort eingebrochen und dabei die Spendenkasse genauso geknackt wie ein Tresor. Ein Tag später stoppte der Zoll Ulm auf der A 8 einen Transporter aus der Slowakei mit 94 Hundewelpen, 27 von ihnen wurden beschlagnahmt, darunter der Retriever. Und nur einen weiteren Tag darauf konfiszierte die Polizei auf einem Grundstück im Kreis Biberach rund 70 Hunde, die zur Zucht gehalten wurden. Auch unter ihnen waren vermutlich Vierbeiner aus Osteuropa. Die statistische Häufung ist kein Zufall. „Der Markt für Welpen ist ein riesiges Geschäft geworden“, sagt Peßmann.
In diesen Zeiten sowieso. „Die gestiegene Nachfrage nach Tieren während der Corona-Krise macht den Handel mit Welpen noch lukrativer“, warnte erst kürzlich der Deutsche Tierschutzbund. „Gerade dubiose Züchter aus dem In- und Ausland sind nur profitgetrieben und führen keine Vermittlungsgespräche“, so Lisa Hoth, Fachreferentin für Heimtiere beim Tierschutzbund. „Es besteht die Gefahr, dass Tiere unüberlegt angeschafft werden und über kurz oder lang im Tierheim landen.“
Nicht wenige finden sich in Ulm und Umgebung wieder, ist die Autobahn 8 doch eine Einfuhrschneise für die illegalen Hundetransporte aus Osteuropa. Der Zoll erwischt davon durch seine Stichproben nur einen Bruchteil, ist Peßmann überzeugt. Für die kriminellen Händler sind die Beschlagnahmungen ohnehin ein einkalkuliertes Risiko. Routinemäßig lassen sie die Verfahren wegen gewerbsmäßigen Betrugs und Verstößen gegen Tierschutzund Tiergesundheitsgesetz über sich ergehen. Die Papiere sind meist gefälscht und die Welpen oft zu jung, ganz zu schweigen von ihrer schlechten Verfassung.
Peßmann kennt die Leiden der Kreaturen nur zu gut. Neulich eilte auch er auf die Autobahn zu dem Transporter aus der Slowakei, in dem fast hundert Tiere unter jämmerlichen Bedingungen steckten. „Manche Welpen verkrümeln sich in die Ecke ihres Käfigs“, berichtet der Tierheimleiter, „andere flippen am Zaun aus“, aber alle befinden sich im Ausnahmezustand. „Ein bis zwei Wochen sind sie in diesem Verhalten gefangen.“Dann spüren sie die menschliche Nähe im Tierheim, fassen durch Zuwendung und Zuneigung der Mitarbeiter Vertrauen. Und kommen bestenfalls auch körperlich wieder auf die Beine.
„Von den Transporthunden hatte ich noch keinen einzigen, der gesund war“, berichtet Peßmann. Die Welpen leiden an Parasiten und Würmern, werden kurz vor dem Handel noch gespritzt, damit sie für kurze Zeit verkaufsfördernd vital wirken. Zusammenbruch und Krankheit folgen wenig später. Im Tierheim erholen sie sich zunächst in Quarantäne, erhalten Medizin und Impfungen. Meist sind es reinrassige Hunde wie Zwergspitz, französische Bulldogge, Retriever oder Dackel. Bei anerkannten Züchtern kosten solche Tiere in der Regel mehr als 1000 Euro. Für Welpen aus Osteuropa zahlen die Käufer nur zwischen 300 und 500 Euro. Diese Rechnung geht jedoch nicht auf, erklärt Peßmann: „Wenn der Tierarzt später mehrfach kommen muss, ist man locker über 1000 Euro los – und schlimmstenfalls stirbt das Welpchen.“
Diese Aussicht hält aber nicht unbedingt vom Kauf ab. „Manche wollen dadurch das Tier retten“, sagt Peßmann. „Dabei machen sie nur Platz für den nächsten Hund.“Und das nächste Elend aus illegalem Handel. „Wer dort einen Welpen kauft, unterstützt – bewusst oder unterbewusst – das Leid der Welpen“, warnt Lisa Hoth vom Tierschutzbund, „ebenso wie das der Muttertiere, die als Gebärmaschinen missbraucht werden, und der Deckrüden.“
Gegen diese Gräuel stemmt sich auch die bundesweite Arbeitsgruppe Welpenhandel, gegründet von Tierschützern, Hundeverbänden und Tierärztlichen Vereinigungen. „In den Massenzuchten leiden die Tiere unter der extremen Belastung der vielen Geburten“, so das Aktionsbündnis. Die Hündinnen litten an Tumoren und Gebärmutterentzündungen, die Deckrüden seien traumatisiert und hätten kein Vertrauen mehr zu den Menschen. Das Ende sei in beiden Fällen grausam. „Die Euthanasie würde die Profite der Vermehrer schmälern, so werden die Hunde meistens einfach totgeprügelt oder sie lassen sie verdursten und verhungern.“Die Landestierärztekammer Baden-Württemberg appelliert in diesem Zusammenhang, „nur Welpen von seriösen Züchtern und Tierschutzorganisationen zu übernehmen, denen das Wohl der Tiere am Herzen liegt“. Aber auch dafür braucht es ein waches Auge.
„Wer sich beim Hundekauf nicht informiert, läuft ins offene Messer“, sagt Tierheimleiter Peßmann. Bei dubiosen Geschäftsangeboten im Internet und Übergaben auf Autobahnraststätten sowieso, aber auch bei hiesigen Züchtern müsse man genau hinsehen. Was Ulrich Reidenbach, Vorsitzender des Landesverbandes Baden-Württemberg für Hundewesen (VDH), der „Schwäbischen Zeitung“bestätigt: „Die Käufer lassen sich leicht blenden.“Er rät zu Züchtern, die Mitglied im VDH sind, denn diese müssten zwangsläufig auch in einem Zuchtverein sein, der über den Zuchtwart die Tiere kontrolliert. Dadurch ließen sich schwarze Schafe zwar nicht komplett ausschließen, der Käufer könne laut Reidenbach aber „einigermaßen sicher“sein, einen gesunden Hund zu erhalten. „Bedauerlicherweise gibt es aber auch immer wieder Züchter, die sich nur den Anschein geben, im VDH zu sein“, warnt der Vorsitzende.
Bei einem Kauf sollte man sich daher die Ahnentafel genauso zeigen lassen wie mindestens das Muttertier sowie die anderen Hunde des Anbieters. „Ein typischer VDH-Züchter züchtet meistens auch nur eine Rasse“, ergänzt Reidenbach. „Wenn dagegen jemand Labrador, Doggen und Deutsche Schäferhunde anbietet, deutet das auf einen Hundehändler hin.“
Um denen das Handwerk zu legen, fordert das Aktionsbündnis Welpenhandel höhere Strafen, mehr Transportkontrollen und ein EUweites Datenbanksystem der Vollzugsbehörden. Vor allem wollen die Fachleute den Handel im Internet bekämpfen, dazu müsste aber die Anonymität der Verkäufer aufgehoben werden. Länder wie die Schweiz und Österreich hätten entsprechende Gesetze bereits verabschiedet. Tierheimleiter Peßmann sieht woanders das größte Problem: „Solange es eine Nachfrage gibt, gibt es auch einen illegalen Welpenhandel.“Sprich, die Verhältnisse ändern könnte nur der Verbraucher. Doch der hat offenbar mehr mit sich selbst zu tun.
„Hunde sollen heute viel zu oft die Defizite des Menschen oder seines Umfeldes ausgleichen“, klagt Peßmann, der auch als Hundetrainer arbeitet. Die Vierbeiner müssten als Sozialpartner herhalten, als Kinderersatz, als Therapeut und vieles mehr. „Das sind Tiere, Hunde, Jäger – doch weil es der Mensch nicht besser weiß, werden sie in Situationen gedrängt, in die sie nicht gehören“, kritisiert der Experte und stellt fest: „Der Hund darf nicht mehr Hund sein.“Und verkommt deshalb immer mehr zur Ware.
Den Welpen aus der Slowakei, deren Werdegang auf der A 8 plötzlich eine andere Richtung nahm, soll es nicht so ergehen. Jene, die im Tierheim Ulm Unterschlupf gefunden haben, machen an diesem Samstagmorgen einen fidelen Eindruck. Sie halten ihre Pfoten ans Gatter, beäugen den Besucher und sind bereit für neue Abenteuer. Sobald ihr Gesundheitszustand stimmt und das Veterinäramt sein Okay gibt, kann das Tierheim sie abgeben. „Dann steht das Telefon nicht mehr still“, sagt Peßmann, „dann kommen auf einen Welpen hundert Anfragen.“Kein Wunder, wer würde sich nicht von den kleinen Geschöpfen rühren lassen, wer ihnen nicht ein besseres Schicksal wünschen. Und bestenfalls auch eine artgerechte Zukunft.
„Wer sich beim Hundekauf nicht erkundigt, läuft ins offene Messer.“
Ralf Peßmann, Leiter des Tierheims Ulm