Am Glühwein scheiden sich die Geister
Baden-Württembergs Regierung streitet über den Alkoholausschank auf Weihnachtsmärkten
RAVENSBURG - Noch sind es gut drei Monate bis Heiligabend, doch die Debatte über die Ausrichtung von Weihnachtsmärkten und den Alkoholausschank nimmt angesichts der steigenden Zahl an Neuinfektionen mit dem Coronavirus bereits jetzt Fahrt auf. Baden-Württembergs grün-schwarze Landesregierung ist in der Frage gespalten. Während sich beide Parteien darin einig sind, dass die beliebten Märkte – unter strengen Auflagen – abgehalten werden können, so scheiden sich am Glühwein die Geister. Im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“plädierte Justizminister Guido Wolf (CDU) nun dafür, den Ausschank alkoholischer Getränke zuzulassen und widersprach damit seinem grünen Kabinettskollegen Manfred Lucha, dem Sozial- und Gesundheitsminister.
„Wenn wir den Glühweinausschank auf dem Weihnachtsmarkt verbieten, strömen die Menschen möglicherweise verstärkt in Gaststätten oder veranstalten private Weihnachtstreffen“, sagte Wolf, der in diesem Zusammenhang daran erinnerte, dass „gerade bei privaten Treffen die Infektionsgefahr nicht unerheblich ist“. Zuletzt hatte es auf Geburtstagsfeiern, unter anderem im Kreis Reutlingen, zahlreiche Neuinfektionen gegeben.
Lucha hatte in den vergangenen Wochen mehrfach davor gewarnt, Alkohol auf Christkindlesmärkten auszuschenken und für ein Verbot plädiert. Noch vor einer Woche hatte eine Sprecherin Luchas erklärt: „Wir bestehen darauf, dass der Konsum alkoholhaltiger Getränke untersagt wird.“Justizminister Wolf äußerte hierbei jedoch auch rechtliche Bedenken. Ein Verbot für die Betreiber der Stände sei nur schwer vertretbar. „Dann müsste man Alkoholausschank generell verbieten und das wäre aus meiner Sicht unverhältnismäßig“, erklärte der CDU-Politiker aus Tuttlingen.
Der Streit schwelt somit weiter. Auch beim Treffen des Corona-Lenkungsausschusses am Mittwochabend hatte es keine Eingung in der Frage gegeben.
RAVENSBURG – Das Coronavirus ist noch nicht besiegt, die Zahlen auch im Südwesten wachsen langsam, aber stetig wieder an. Derweil wird im Land diskutiert, ob Weihnachtsmärkte und die Fasnet stattfinden können – und wenn ja, in welchen Rahmenbedingungen. Guido Wolf (CDU), Minister für Justiz, Europa und Tourismus in Baden-Württemberg ist eher ein Befürworter für öffentliche Veranstaltungen. Theresa Gnann, Hendrik Groth und Jochen Schlosser haben mit ihm gesprochen.
Herr Wolf, die Corona-Infektionen steigen wieder. Blicken wir nach München oder Dornbirn, sehen wir die Hotspots näherkommen. Wie wahrscheinlich ist es, dass wir das gesellschaftliche Leben bald wieder auf Frühjahrsniveau zurückfahren müssen?
Einen zweiten Lockdown kann ich mir nicht vorstellen. Die Auswirkungen wären verheerend. Wir sind jetzt deutlich besser vorbereitet als im Frühjahr. Die Menschen sind vorsichtiger geworden, auch wenn es da und dort mal Ausreißer gibt. Wir sind in den Krankenhäusern ebenfalls gut aufgestellt. Ich denke, wir müssen weiterhin vorsichtig bleiben und die geltenden Regeln einhalten. Dann kann man nach meiner Einschätzung einen flächendeckenden Lockdown wie im März verhindern.
Gesundheitsminister Manfred Lucha sagt, Weihnachtsmärkte mit Alkoholausschank seien kaum vorstellbar. Sehen Sie das anders?
Ich nehme positiv zur Kenntnis, dass man nicht über pauschale Verbote von Weihnachtsmärkten spricht. Das halte ich für richtig. Ein Weihnachtsmarkt verkörpert ein Lebensgefühl. Er ist Brauch und Tradition und er verkörpert Heimat. So etwas kann man nicht einfach verbieten. Aber man kann gewisse Rahmenbedingungen schaffen und den Markt räumlich anders anordnen, ihn dezentralisieren. Menschenanhäufungen, wie wir sie klassischerweise von Weihnachtsmärkten kennen, kann ich mir in diesem Jahr nicht vorstellen. Beim Alkoholausschank bin ich aber anderer Meinung als Herr Lucha. Bei allem, was die Politik tut, muss sie bedenken, was sie damit auslöst.
Was würde ein Alkoholverbot denn auslösen?
Wenn wir den Glühweinausschank auf dem Weihnachtsmarkt verbieten, strömen die Menschen möglicherweise verstärkt in Gaststätten oder veranstalten private Weihnachtstreffen. Und inzwischen wissen wir ja, dass gerade bei privaten Treffen die Infektionsgefahr nicht unerheblich ist. Deshalb bin ich eher ein Befürworter der öffentlichen Veranstaltung, die einsehbar und kontrollierbar ist. Außerdem: Ein Weihnachtsmarkt ist aus meiner Sicht keine Veranstaltung, bei der sich Menschen klassischerweise betrinken.
Mit welchem Recht könnte man dem Standbetreiber den Alkoholausschank überhaupt verbieten, wenn der Gastwirt nebenan Bier verkauft?
Genau, das ist rechtlich nur schwer vertretbar. Dann müsste man Alkoholausschank generell verbieten und das wäre aus meiner Sicht unverhältnismäßig. In dieser Frage gibt es also noch unterschiedliche Einschätzungen, die wir aber sicherlich noch klären werden.
Und wie sieht es mit der Fasnet aus?
Auch hier muss man differenzieren. Eine Fasnet mit Ringtreffen, mit Tausenden von Menschen, die die Straßen säumen, wird es nicht geben können. Aber Fasnet, wie ich sie auch als Oberschwabe kenne, hat ja noch ganz andere Facetten: Ränkespiele auf den Straßen, das Narrenbaumstellen, die Brunnenputzete in Weingarten. Das sind alles Bräuche, die nicht zwingend mit großen Menschenansammlungen verbunden sind. Und eine solche Form von Ortsfasnet halte ich auch in diesen Zeiten für machbar. Vielleicht wird das sogar origineller, authentischer und närrischer, wenn man die Fasnet im Kleinen wieder kreativ belebt. Am Ende des Tages geht es für uns auch darum, die Akzeptanz dafür, was wir den Menschen in dieser Krise abverlangen, nicht ohne Not aufs Spiel zu setzen.
Welche Projekte im Bereich Tourismus sollen außerdem mit den neuen Mitteln gefördert werden?
Beim Tourismus ist mir wichtig, dass wir Gasthäuser und Hotels, die trotz der Krise bereit sind zu investieren, zum Beispiel in Energietechnik und Barrierefreiheit, in dieser schwierigen Phase mit einem neuen, zusätzlichen Programm unterstützen. Wir hatten ja bereits im Sommer das Gastro- und Hotelpaket im Umfang von 330 Millionen geschnürt. Dafür haben wir jetzt zudem die Frist verlängert, weil erkennbar ist, dass die Krise im Herbst und Winter in Teilen dieser Branche erst richtig zuschlagen wird.
Gibt es auch in der Justiz Bereiche, die vom Geld profitieren sollen?
Weitere zehn Millionen haben wir für die Digitalisierung der Justiz etatisiert. Bis 2023 wollen wir eine Flächenausstattung mit modernen ITund Stromnetzen in Gerichtssälen, also den Gerichtssaal 4.0 schaffen.
Aber wäre es in der aktuellen Situation nicht sinnvoller, sich auf zwei oder drei Wachstumsfelder zu beschränken, anstatt mit der Gießkanne viele einzelne Projekte zu fördern?
Wir haben im Maßnahmenpakt von insgesamt 1,2 Milliarden Euro vier Themenkörbe gebildet. Einer davon ist Digitalisierung und Künstliche Intelligenz, davon wiederum ist das Justizprogramm ein Teil. In diesem Korb sind auch nochmals 100 Millionen enthalten, die wir an die Kommunen für den Breitbandausbau weitergeben. Ein weiterer Themenkorb ist „BW Invest“, ein Innovationsund Investitionsförderprogramm für Zukunftsthemen wie biointelligente Systeme oder Medizintechnik, damit wir auch aus dieser Krise heraus innovative Produkte und Ideen generieren können.
Seit Jahren wird über die Vorratsdatenspeicherung gestritten – vor allem mit Blick auf den Datenschutz. Das Ende 2015 in Kraft getretene Gesetz ist derzeit ausgesetzt, weil dazu ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) aussteht. Wie werden momentan Verbindungsdaten gespeichert?
Bei der Vorratsdatenspeicherung geht es darum, dass Telekommunikationsunternehmen gesetzlich verpflichtet werden, bestimmte Telekommunikationsund Internetdaten ihrer Kunden für eine gewisse Zeit zu speichern. Es geht um Verbindungsdaten, nicht um Inhalte. Wir haben im Moment eine ungeregelte Situation, eine Rechtsunsicherheit. Die führt dazu, dass jeder Telekommunikationsdienstleister die Daten in unterschiedlicher Form und unterschiedlich lange speichert. Da es keine gesetzliche Regelung gibt, ist es für Ermittler also Glückssache, ob die Daten beim Dienstleister vorliegen. In der Praxis kann das drastische Auswirkungen haben. Ein Hauptanwendungsbereich der Vorratsdatenspeicherung sind zum Beispiel Ermittlungen im Bereich der Kinderpornografie und des sexuellen Missbrauchs von Kindern. Da hatte das Bundeskriminalamt im vergangenen Jahr aus den USA und Kanada ungefähr 2000 Hinweise auf solche Straftaten, denen man wegen der rechtlichen Unsicherheiten nicht nachgehen konnte. Das muss dringend verbindlich geregelt werden und ich hoffe, die Bundesjustizministerin gibt da ihre bisherige Blockadehaltung auf.
Wie stehen denn die Chancen für Ihren Vorstoß angesichts der aktuellen Mehrheiten?
Für mich gilt das Prinzip: Steter Tropfen höhlt den Stein. Wir müssen immer wieder den Finger in diese Wunde legen. Auch wenn die Vorratsdatenspeicherung nicht auf Kindesmissbrauch und Kinderpornografie reduziert werden darf, ist das ein bedeutender Anwendungsbereich, in dem sie uns in vielen Fällen helfen könnte. Da habe ich immer das einzelne Kind vor Augen, das möglicherweise davor bewahrt werden könnte, grausam missbraucht zu werden. Und jedes einzelne Kind ist es wert, endlich diesen Schritt zu gehen.