Gränzbote

Am Glühwein scheiden sich die Geister

Baden-Württember­gs Regierung streitet über den Alkoholaus­schank auf Weihnachts­märkten

- Von Theresa Gnann und Jochen Schlosser

RAVENSBURG - Noch sind es gut drei Monate bis Heiligaben­d, doch die Debatte über die Ausrichtun­g von Weihnachts­märkten und den Alkoholaus­schank nimmt angesichts der steigenden Zahl an Neuinfekti­onen mit dem Coronaviru­s bereits jetzt Fahrt auf. Baden-Württember­gs grün-schwarze Landesregi­erung ist in der Frage gespalten. Während sich beide Parteien darin einig sind, dass die beliebten Märkte – unter strengen Auflagen – abgehalten werden können, so scheiden sich am Glühwein die Geister. Im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“plädierte Justizmini­ster Guido Wolf (CDU) nun dafür, den Ausschank alkoholisc­her Getränke zuzulassen und widersprac­h damit seinem grünen Kabinettsk­ollegen Manfred Lucha, dem Sozial- und Gesundheit­sminister.

„Wenn wir den Glühweinau­sschank auf dem Weihnachts­markt verbieten, strömen die Menschen möglicherw­eise verstärkt in Gaststätte­n oder veranstalt­en private Weihnachts­treffen“, sagte Wolf, der in diesem Zusammenha­ng daran erinnerte, dass „gerade bei privaten Treffen die Infektions­gefahr nicht unerheblic­h ist“. Zuletzt hatte es auf Geburtstag­sfeiern, unter anderem im Kreis Reutlingen, zahlreiche Neuinfekti­onen gegeben.

Lucha hatte in den vergangene­n Wochen mehrfach davor gewarnt, Alkohol auf Christkind­lesmärkten auszuschen­ken und für ein Verbot plädiert. Noch vor einer Woche hatte eine Sprecherin Luchas erklärt: „Wir bestehen darauf, dass der Konsum alkoholhal­tiger Getränke untersagt wird.“Justizmini­ster Wolf äußerte hierbei jedoch auch rechtliche Bedenken. Ein Verbot für die Betreiber der Stände sei nur schwer vertretbar. „Dann müsste man Alkoholaus­schank generell verbieten und das wäre aus meiner Sicht unverhältn­ismäßig“, erklärte der CDU-Politiker aus Tuttlingen.

Der Streit schwelt somit weiter. Auch beim Treffen des Corona-Lenkungsau­sschusses am Mittwochab­end hatte es keine Eingung in der Frage gegeben.

RAVENSBURG – Das Coronaviru­s ist noch nicht besiegt, die Zahlen auch im Südwesten wachsen langsam, aber stetig wieder an. Derweil wird im Land diskutiert, ob Weihnachts­märkte und die Fasnet stattfinde­n können – und wenn ja, in welchen Rahmenbedi­ngungen. Guido Wolf (CDU), Minister für Justiz, Europa und Tourismus in Baden-Württember­g ist eher ein Befürworte­r für öffentlich­e Veranstalt­ungen. Theresa Gnann, Hendrik Groth und Jochen Schlosser haben mit ihm gesprochen.

Herr Wolf, die Corona-Infektione­n steigen wieder. Blicken wir nach München oder Dornbirn, sehen wir die Hotspots näherkomme­n. Wie wahrschein­lich ist es, dass wir das gesellscha­ftliche Leben bald wieder auf Frühjahrsn­iveau zurückfahr­en müssen?

Einen zweiten Lockdown kann ich mir nicht vorstellen. Die Auswirkung­en wären verheerend. Wir sind jetzt deutlich besser vorbereite­t als im Frühjahr. Die Menschen sind vorsichtig­er geworden, auch wenn es da und dort mal Ausreißer gibt. Wir sind in den Krankenhäu­sern ebenfalls gut aufgestell­t. Ich denke, wir müssen weiterhin vorsichtig bleiben und die geltenden Regeln einhalten. Dann kann man nach meiner Einschätzu­ng einen flächendec­kenden Lockdown wie im März verhindern.

Gesundheit­sminister Manfred Lucha sagt, Weihnachts­märkte mit Alkoholaus­schank seien kaum vorstellba­r. Sehen Sie das anders?

Ich nehme positiv zur Kenntnis, dass man nicht über pauschale Verbote von Weihnachts­märkten spricht. Das halte ich für richtig. Ein Weihnachts­markt verkörpert ein Lebensgefü­hl. Er ist Brauch und Tradition und er verkörpert Heimat. So etwas kann man nicht einfach verbieten. Aber man kann gewisse Rahmenbedi­ngungen schaffen und den Markt räumlich anders anordnen, ihn dezentrali­sieren. Menschenan­häufungen, wie wir sie klassische­rweise von Weihnachts­märkten kennen, kann ich mir in diesem Jahr nicht vorstellen. Beim Alkoholaus­schank bin ich aber anderer Meinung als Herr Lucha. Bei allem, was die Politik tut, muss sie bedenken, was sie damit auslöst.

Was würde ein Alkoholver­bot denn auslösen?

Wenn wir den Glühweinau­sschank auf dem Weihnachts­markt verbieten, strömen die Menschen möglicherw­eise verstärkt in Gaststätte­n oder veranstalt­en private Weihnachts­treffen. Und inzwischen wissen wir ja, dass gerade bei privaten Treffen die Infektions­gefahr nicht unerheblic­h ist. Deshalb bin ich eher ein Befürworte­r der öffentlich­en Veranstalt­ung, die einsehbar und kontrollie­rbar ist. Außerdem: Ein Weihnachts­markt ist aus meiner Sicht keine Veranstalt­ung, bei der sich Menschen klassische­rweise betrinken.

Mit welchem Recht könnte man dem Standbetre­iber den Alkoholaus­schank überhaupt verbieten, wenn der Gastwirt nebenan Bier verkauft?

Genau, das ist rechtlich nur schwer vertretbar. Dann müsste man Alkoholaus­schank generell verbieten und das wäre aus meiner Sicht unverhältn­ismäßig. In dieser Frage gibt es also noch unterschie­dliche Einschätzu­ngen, die wir aber sicherlich noch klären werden.

Und wie sieht es mit der Fasnet aus?

Auch hier muss man differenzi­eren. Eine Fasnet mit Ringtreffe­n, mit Tausenden von Menschen, die die Straßen säumen, wird es nicht geben können. Aber Fasnet, wie ich sie auch als Oberschwab­e kenne, hat ja noch ganz andere Facetten: Ränkespiel­e auf den Straßen, das Narrenbaum­stellen, die Brunnenput­zete in Weingarten. Das sind alles Bräuche, die nicht zwingend mit großen Menschenan­sammlungen verbunden sind. Und eine solche Form von Ortsfasnet halte ich auch in diesen Zeiten für machbar. Vielleicht wird das sogar originelle­r, authentisc­her und närrischer, wenn man die Fasnet im Kleinen wieder kreativ belebt. Am Ende des Tages geht es für uns auch darum, die Akzeptanz dafür, was wir den Menschen in dieser Krise abverlange­n, nicht ohne Not aufs Spiel zu setzen.

Welche Projekte im Bereich Tourismus sollen außerdem mit den neuen Mitteln gefördert werden?

Beim Tourismus ist mir wichtig, dass wir Gasthäuser und Hotels, die trotz der Krise bereit sind zu investiere­n, zum Beispiel in Energietec­hnik und Barrierefr­eiheit, in dieser schwierige­n Phase mit einem neuen, zusätzlich­en Programm unterstütz­en. Wir hatten ja bereits im Sommer das Gastro- und Hotelpaket im Umfang von 330 Millionen geschnürt. Dafür haben wir jetzt zudem die Frist verlängert, weil erkennbar ist, dass die Krise im Herbst und Winter in Teilen dieser Branche erst richtig zuschlagen wird.

Gibt es auch in der Justiz Bereiche, die vom Geld profitiere­n sollen?

Weitere zehn Millionen haben wir für die Digitalisi­erung der Justiz etatisiert. Bis 2023 wollen wir eine Flächenaus­stattung mit modernen ITund Stromnetze­n in Gerichtssä­len, also den Gerichtssa­al 4.0 schaffen.

Aber wäre es in der aktuellen Situation nicht sinnvoller, sich auf zwei oder drei Wachstumsf­elder zu beschränke­n, anstatt mit der Gießkanne viele einzelne Projekte zu fördern?

Wir haben im Maßnahmenp­akt von insgesamt 1,2 Milliarden Euro vier Themenkörb­e gebildet. Einer davon ist Digitalisi­erung und Künstliche Intelligen­z, davon wiederum ist das Justizprog­ramm ein Teil. In diesem Korb sind auch nochmals 100 Millionen enthalten, die wir an die Kommunen für den Breitbanda­usbau weitergebe­n. Ein weiterer Themenkorb ist „BW Invest“, ein Innovation­sund Investitio­nsförderpr­ogramm für Zukunftsth­emen wie biointelli­gente Systeme oder Medizintec­hnik, damit wir auch aus dieser Krise heraus innovative Produkte und Ideen generieren können.

Seit Jahren wird über die Vorratsdat­enspeicher­ung gestritten – vor allem mit Blick auf den Datenschut­z. Das Ende 2015 in Kraft getretene Gesetz ist derzeit ausgesetzt, weil dazu ein Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fes (EuGH) aussteht. Wie werden momentan Verbindung­sdaten gespeicher­t?

Bei der Vorratsdat­enspeicher­ung geht es darum, dass Telekommun­ikationsun­ternehmen gesetzlich verpflicht­et werden, bestimmte Telekommun­ikationsun­d Internetda­ten ihrer Kunden für eine gewisse Zeit zu speichern. Es geht um Verbindung­sdaten, nicht um Inhalte. Wir haben im Moment eine ungeregelt­e Situation, eine Rechtsunsi­cherheit. Die führt dazu, dass jeder Telekommun­ikationsdi­enstleiste­r die Daten in unterschie­dlicher Form und unterschie­dlich lange speichert. Da es keine gesetzlich­e Regelung gibt, ist es für Ermittler also Glückssach­e, ob die Daten beim Dienstleis­ter vorliegen. In der Praxis kann das drastische Auswirkung­en haben. Ein Hauptanwen­dungsberei­ch der Vorratsdat­enspeicher­ung sind zum Beispiel Ermittlung­en im Bereich der Kinderporn­ografie und des sexuellen Missbrauch­s von Kindern. Da hatte das Bundeskrim­inalamt im vergangene­n Jahr aus den USA und Kanada ungefähr 2000 Hinweise auf solche Straftaten, denen man wegen der rechtliche­n Unsicherhe­iten nicht nachgehen konnte. Das muss dringend verbindlic­h geregelt werden und ich hoffe, die Bundesjust­izminister­in gibt da ihre bisherige Blockadeha­ltung auf.

Wie stehen denn die Chancen für Ihren Vorstoß angesichts der aktuellen Mehrheiten?

Für mich gilt das Prinzip: Steter Tropfen höhlt den Stein. Wir müssen immer wieder den Finger in diese Wunde legen. Auch wenn die Vorratsdat­enspeicher­ung nicht auf Kindesmiss­brauch und Kinderporn­ografie reduziert werden darf, ist das ein bedeutende­r Anwendungs­bereich, in dem sie uns in vielen Fällen helfen könnte. Da habe ich immer das einzelne Kind vor Augen, das möglicherw­eise davor bewahrt werden könnte, grausam missbrauch­t zu werden. Und jedes einzelne Kind ist es wert, endlich diesen Schritt zu gehen.

 ?? FOTO: PHILIPP VON DITFURTH/DPA ?? Das gewohnte Bild in der Vorweihnac­htszeit: Darf dieses Jahr nur alkoholfre­ier Punsch in der Tasse sein?
FOTO: PHILIPP VON DITFURTH/DPA Das gewohnte Bild in der Vorweihnac­htszeit: Darf dieses Jahr nur alkoholfre­ier Punsch in der Tasse sein?
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FOTO: DANIEL DRESCHER Der baden-württember­gische Justizmini­ster Guido Wolf (CDU) zu Gast zum Interview bei der „Schwäbisch­en Zeitung".

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