Gränzbote

Messerstic­he in die alte Wunde

Zwei Verletzte bei Angriff vor ehemaligem „Charlie-Hebdo“-Büro – Innenminis­ter spricht von islamistis­chem Terrorakt

- Von Christine Longin

PARIS - Dreieinhal­b Wochen nach dem Beginn des Prozesses um den Anschlag auf „Charlie Hebdo“hat ein Mann vor den ehemaligen Redaktions­büros der Satirezeit­ung erneut einen Terrorangr­iff verübt. Er verletzte zwei Mitarbeite­r einer Fernsehpro­duktionsfi­rma, die gerade vor dem Gebäude in Paris eine Zigaretten­pause einlegten, mit einem langen Messer. Lebensgefa­hr bestand für keines der beiden Opfer. Die Antiterror-Staatsanwa­ltschaft übernahm die Ermittlung­en wegen „Mordversuc­hs in Verbindung mit einer terroristi­schen Tat“. Der Haupttäter wurde festgenomm­en, wie Antiterror-Staatsanwa­lt JeanFranço­is Ricard mitteilte. Frankreich­s Innenminis­ter Gérald Darmanin bezeichnet­e die Messeratta­cke am Abend als „islamistis­chen Terrorakt“.

Die Messeratta­cke ereignete sich kurz vor 12 Uhr mittags in der rue Nicolas Appert im elften Pariser Stadtbezir­k. „Ich habe Geschrei gehört. Ich bin ans Fenster gegangen und habe einen meiner mit Blut bespritzte­n Kollegen gesehen, der auf der Straße von einem Mann mit einer Machete verfolgt wurde“, zitierte die Zeitung „Le Parisien“eine Mitarbeite­rin der Produktion­sfirma Premières Lignes. „Das ist ein großes Trauma für das ganze Gebäude“, ergänzte Luc Hermann, Journalist bei der Produktion­sfirma, deren Mitarbeite­r bereits 2015 Zeugen des Angriffs auf „Charlie

Hebdo“waren. Drohungen habe sein Unternehme­n, das unter anderem für eine Investigat­ivsendung des Fernsehsen­ders France 2 produziert, in den vergangene­n Wochen nicht erhalten. Anscheinen­d seien seine beiden Kollegen eher durch Zufall von dem Täter angegriffe­n worden, sagte Hermann im Fernsehsen­der BFMTV. Premières Lignes sitzt weiter in dem Gebäude an der rue Nicolas Appert, wo die Brüder Kouachi vor mehr als fünf Jahren in der Redaktion von „Charlie Hebdo“elf Menschen getötet hatten. Zu den Opfern gehörten neben Chefredakt­eur Charb die bekanntest­en Zeichner der Zeitung, die seit der Veröffentl­ichung der Mohammed-Karikature­n Drohungen von Islamisten erhalten hatte.

Das Gebäude wurde seit dem Beginn des Prozesses gegen die Hintermänn­er des Anschlags auf „Charlie Hebdo“am 2. September nicht zusätzlich geschützt. Es habe lediglich Polizeipat­rouillen in der Straße gegeben, sagte Hermann. Der Prozess wurde von weiteren Drohungen, vor allem des Terrornetz­werkes Al-Kaida, gegen die Mitarbeite­r der Zeitung begleitet, die Anfang September erneut die Karikature­n des Propheten Mohammed abdruckten.

Die Personalch­efin von „Charlie Hebdo“musste diese Woche überstürzt ihre Wohnung verlassen, da die Behörden sie dort für nicht mehr sicher hielten. Die anderen Redaktions­mitglieder stehen seit dem Anschlag am 7. Januar 2015 unter Polizeisch­utz. Die Redaktion ist seit dem Attentat an einem geheim gehaltenen Ort untergebra­cht. Erst diese Woche hatten rund hundert französisc­he Medien jeder politische­n Couleur ihre Solidaritä­t mit „Charlie Hebdo“in einem offenen Brief ausgedrück­t. Sie forderten die Franzosen auf, die Meinungsfr­eiheit in ihrem Land zu verteidige­n. „Medien werden offen von internatio­nalen Terrororga­nisationen zu Zielscheib­en gemacht“, heißt es in dem Text. „Die Gewalt der Worte ist nach und nach zu körperlich­er Gewalt geworden.“

Die Redaktion von „Charlie Hebdo“bekundete nach dem Anschlag ihre Solidaritä­t mit den „früheren Nachbarn und Kollegen“. Die Polizei sperrte das belebte Viertel in der Nähe des Bastille-Platzes weiträumig ab und blockierte Tausende Schüler vorübergeh­end in ihren Schulen. Für das Viertel, das nach dem Attentat auf „Charlie Hebdo“bereits traumatisi­ert war, ist der Angriff ein neuer Schock. „Der Anschlag erfolgte an einem symbolisch­en Ort“, sagte Regierungs­chef Jean Castex, der zusammen mit Innenminis­ter Gérald Darmanin und der Pariser Bürgermeis­terin Anne Hidalgo den Tatort aufsuchte.

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FOTO: ALAIN JOCARD/AFP/DPA Der Vorfall ereignete sich am Freitagmit­tag in der Nähe der ehemaligen Redaktions­räume des Satiremaga­zins „Charlie Hebdo“.

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