Wie Trump sich an der Macht halten könnte
Donald Trump hat nachgekartet, und sei es vielleicht auch nur aus Freude an der Provokation. Erst weigerte er sich, im Fall einer Niederlage einen friedlichen Übergang der Macht zu garantieren. Dann sprach er, statt das unglaubliche Statement zurückzunehmen, von einem Votum, bei dem angesichts der großen Zahl der Briefwähler mit massivem Betrug zu rechnen sei. Seine Parteifreunde im Senat sahen sich veranlasst, der Wählerschaft zu versichern, dass man keineswegs daran denke, den friedlichen Machttransfer zu blockieren. Natürlich werde der jeweils Unterlegene das Ergebnis respektieren, in dem Punkt werde sich das Wahljahr 2020 in nichts von all den vorangegangenen Wahljahren unterscheiden, seit die Gründer der Republik das Fundament der Demokratie legten.
So weit ist es gekommen in Trumps Amerika. Der Senat muss, wie am Donnerstag geschehen, extra eine Resolution verabschieden, um – sinngemäß – klarzustellen, dass die USA nicht Nordkorea oder Weißrussland sind. Kein autoritäres Regime. Als wäre das nicht selbstverständlich für ein Land, als dessen Symbole Freiheitsstatue und Freiheitsglocke gelten und das noch vor nicht allzu langer Zeit versuchte, das eigene Demokratiemodell in den Irak zu exportieren. Bei alledem fragt man sich: Meint Trump es wirklich ernst? Oder blufft er nur? Verfolgt er das Ziel, die Wählerschaft dermaßen zu verunsichern, dass sie der Wahl zu beträchtlichen Teilen fernbleibt? Ist das alles nur Poker? Letztlich kann nur der Präsident die Fragen beantworten, doch wenn man die Vorgeschichte bedenkt, ist man gut beraten, das, was er sagt, wörtlich zu nehmen. Zu systematisch hat Trump an dem Narrativ gebastelt, wonach ein Urnengang, den er verliert, nur ein manipulierter sein kann. Zu oft hat der Milliardär, der sich als Rebell im Kampf gegen die Elite inszeniert, schon das Märchen verbreitet, nach dem das Establishment mit seinen im Hintergrund operierenden Seilschaften ihn um den verdienten Lohn bringen will.
Schon 2016, bei einer Debatte mit Hillary Clinton, erwiderte er auf die Moderatorenfrage, ob er das Resultat der Wahl anerkenne: „Ich werde es mir anschauen, wenn es so weit ist.“Im Grunde wiederholt er heute nur, was er damals schon an Zweifeln säte. Der Unterschied ist: Damals war er Präsidentschaftsanwärter, heute ist er ein Präsident, der qua Verfassung über enorme Befugnisse verfügt. Seiner Macht hat er sich bereits bedient in dem Versuch, die amerikanische Post kaputtzusparen. Im Wissen darum, dass die Post in Zeiten der Pandemie, wenn viele den Gang ins Wahllokal meiden und lieber per Brief abstimmen, alles verträgt, nur keinen Rotstift. Nun steht es in seiner Macht, eine Nachfolgerin für die verstorbene Verfassungsrichterin Ruth Bader Ginsburg zu benennen. Dieser Macht bedient er sich ohne jeden Skrupel, ohne das Votum des Souveräns abzuwarten, wie es den Regeln politischer Hygiene eigentlich entspräche. Wobei das Motiv auf der Hand liegt. Sollte der Streit um das Wahlergebnis irgendwann vorm Supreme Court landen, wie im Jahr 2000, als Juristen das Duell zwischen George W. Bush und Al Gore entschieden, will er sich dort auf eine Richtermehrheit verlassen können, die in seinem Sinne urteilt.
Das Szenario, auf das sich ein Amerika einstellt, in dem die Nerven blank liegen, geht ungefähr so: Am Abend des 3. November liegt der Amtsinhaber in den „battleground states“, auf die es ankommt, deutlich vor dem Herausforderer. Was insofern denkbar ist, weil Republikaner eher dazu neigen, ein Wahllokal aufzusuchen, während die vorsichtigeren Demokraten eher per Post votieren. Auf der Grundlage eines Teilresultats erklärt Trump sich zum Sieger. Was danach kommen kann, ignoriert er nicht, er stempelt es zu einem Betrugsmanöver. Dass sich das Blatt womöglich zugunsten Joe Bidens wendet, wenn erst die Briefwählerstimmen ausgezählt sind, damit muss er rechnen. Genau aus dem Grund stellt er die Briefwahl unter einen Generalverdacht, für den es keinerlei Faktenbasis gibt. Eines muss man dem Mann im Weißen Haus lassen: Er folgt einem Plan.