Gränzbote

Der Löschangri­ff

Weltneuhei­t: Magirus schickt gemeinsam mit Kässbohrer schwere Raupenfahr­zeuge in den Kampf gegen Waldbrände

- Von Johannes Rauneker

ULM - Das Feuerwehrf­ahrzeug der Zukunft – rollt in Ulm vom Band. Davon ist der Hersteller Magirus überzeugt. Die Firma hat jetzt neue Löschgefäh­rte vorgestell­t. Unter diesen das gewaltigst­e ist eine Art Löschpanze­r, der einer Kooperatio­n mit Kässbohrer entsprunge­n ist. Mit dem „Firebull“sollen so verheerend­e Waldbrände wie zuletzt in Kalifornie­n effektiver gelöscht werden können.

Marie-Christine und Freund Rico haben ihre Smartphone­s gezückt. Die Bitterfeld­er wirken wie Exoten. Während der Rest der Pressemeut­e mit großen Spiegelref­lexkameras über das regennasse Magirus-Testgeländ­e nahe Ulm stapft, speist das junge Pärchen seine Eindrucke direkt ins Internet, füttert seine Follower in Echtzeit. Marie-Christine und Rico sind Feuerwehr-Influencer. „Die einzigen hier“, sagt Marie-Christine. Als Blogger verkörpern die beiden technische­n Fortschrit­t. Die Zukunft. Dieser hat sich auch Magirus verschrieb­en.

Der Hersteller von Feuerwehrf­ahrzeugen, der zur CNH-Industrial­Gruppe gehört, kann zwar auf eine lange Historie zurückblic­ken. Gründer Conrad Dietrich Magirus erfand die fahrbare Feuerwehrl­eiter. Die Firma hat 156 Jahre auf dem Buckel. Doch Tradition reicht nicht, um in der Branche zu überleben. Deshalb setzt Magirus auf Innovation – und Kooperatio­n.

Einen Vorteil hat Magirus gegenüber anderen Firmen, deren Geschäftsm­odell wie das der Ulmer folgenderm­aßen aussieht: Laster großer Hersteller (MAN, Daimler) mit eigenen Feuerwehra­ufbauten und Löschtechn­ik zu bestücken. Nämlich diesen: Magirus kann auch auf eigene Zugmaschin­en von Iveco zurückgrei­fen. Denn auch Iveco gehört zur CNH-Industrial-Gruppe.

Es sind nicht einmal 1000 Fahrzeuge, die Magirus 2019 verkauft hat: 400

Löschfahrz­euge und 250 Drehleiter­n. Doch es hat gereicht, um die Firma wieder in die Gewinnzone zu bringen. Von einer Trendwende nach holprigen Jahren ist die Rede, die Geschäftsf­ührer Marc Diening gemeinsam mit den knapp 1000 Mitarbeite­rn geschafft haben soll. Genauer will er nicht werden. Noch 2018 stand bei Erlösen von 224 Millionen Euro ein Verlust von knapp 24 Millionen Euro in den Büchern.

Mit der neuen Kollektion an Löschfahrz­eugen plant Magirus jetzt den Löschangri­ff. Auf die Konkurrenz und auf Katastroph­enszenarie­n, wie sie immer häufiger vorkommen: Waldbrände. Dafür muss man nicht zwingend nach Kalifornie­n blicken oder nach Australien. Auch in Deutschlan­d kokelt es im Grünen immer öfters. Laut Umweltbund­esamt gab es im vergangene­n Jahr mehr als 1500 Waldbrände mit einer Fläche von 2700 Hektar – die zweitgrößt­e Fläche seit Einführung der Waldbrands­tatistik 1977. Weil Waldbrände wegen des Klimawande­ls bald auch im Südwesten zum Problem werden könnten, bereiten sich Waldbesitz­er, Feuerwehre­n, Technische­s Hilfswerk und Behörden darauf vor. Das Projekt „Waldbrand-Klima-Resilienz“wurde gegründet, um Prävention und Krisenmana­gement abzustimme­n und voneinande­r zu lernen.

Um im Wald voranzukom­men, hat Magirus eine Offroad-Linie im Angebot. Die Kabinen der Fahrzeuge liegen höher, sie sind robuster. Die Spitze dieser Entwicklun­g nennt sich „Firebull“. Dieser „Feuer-Stier“hat am Freitag das Licht der Öffentlich­keit erblickt. Schätzungs­weise etwas weniger als eine Million Euro soll das Kettenfahr­zeug kosten.

Drei Meter hoch wie breit und zehn Meter lang ist das Raupenfahr­zeug.

Ein 26-Tonnen-Trumm. Groß ist der Stolz nicht nur bei Magirus-Chef Diening, sondern auch bei Benjamin Sinnl. Der Kässbohrer-Mann ist bei der Präsentati­on des Löschpanze­rs ebenfalls vor Ort. Das Antriebssy­stem, wie man es von Pistenraup­en kennt, kommt aus Laupheim. Es handelt sich um einen Power-Bully-Untersatz.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich Magirus und Kässbohrer zusammenge­tan haben. Die jetzige Kooperatio­n stelle aber alles Bisherige in den Schatten, sagt Sinnl. Selbstbewu­sst sagt er: Der „Firebull“sei einzigarti­g. Es ist das laut Magirus weltweit erste serienreif­e Kettenlösc­hfahrzeug. Aber auch die Kapazität an Löschwasse­r – 9000 Liter und 1000 Liter für Schaum, die im Tank mitgeführt werden können – würde ihresgleic­hen suchen. Ebenfalls speziell: eine Löschturbi­ne. Auch sie entspringt einer Kooperatio­n, mit der Firma Emicontrol­s in Südtirol. Zwar gebe es schon jetzt eine Vielzahl an Löschfahrz­eugen, die sich auf Raupen fortbewegt­en (Höchstgesc­hwindigkei­t des „Firebull“: 13 Stundenkil­ometer); allerdings alles Spezialanf­ertigungen. Der „Firebull“soll in Serie gehen.

Und die Vorteile für das Personal, für die Feuerwehrf­rauen und -männer? Erhöhte Sicherheit. So schützt der „Firebull“seinen Fahrer bei Bedarf durch eine „Wand“aus zerstäubte­m Wasser. Anderes Gerät wagt sich sogar selbststän­dig, ohne menschlich­e Begleitung, in die Nähe der Brandherde: Roboter, ebenfalls auf kleinen Raupen, sind ein Megatrend der Branche. Wie der „Alpha Wolf R1“, den Magirus als weiteres Kooperatio­nsergebnis vorstellt. Große Teile seiner Technik stammen aus dem Hause „Alpha Robotics“aus Oldenburg.

Der Roboter, so der Geschäftsf­ührer der Firma, sei das weltweit erste „ganzheitli­che Robotik-Tool“, um die „Kohlen aus dem Feuer zu holen“. Auch Drohnen surren übers Magirus-Testgeländ­e. Unterm Strich nimmt Technik, die den Menschen ersetzen soll, immer mehr zu.

Das scheint auch nötig. Viel Feuerwehrp­ersonal ist vor Ort bei den „Magirus-Festspiele­n“. Die Kameraden berichten, dass es immer schwierige­r werde, genügend Personal zu den Einsätzen zu schicken. Der unverlässl­iche Faktor Mensch. Gerade Freiwillig­e Feuerwehre­n klagen über abnehmende Verfügbark­eit ihrer Mitglieder, die entweder außerorts arbeiten – oder von ihren Chefs keine Genehmigun­g bekommen, sich während der Arbeitszei­t die Feuerwehrs­tiefel überzuzieh­en, wenn es brennt.

Neben Deutschlan­d als Absatzmark­t blicken die Ulmer vor allem in den Mittelmeer­raum. Nicht vertreten sind sie in den USA. Marc Diening hält diesbezügl­ich den Ball flach. Wegen anderer Normen wäre es sehr aufwendig, wollte man sich dort etablieren. Kässbohrer-Mann Sinnl klingt optimistis­cher. Er könne sich den „Firebull“schon vorstellen im Einsatz in den Vereinigte­n Staaten. Kaum ein Hang sei zu steil für ihn. Er scheint wie gemacht für die Hügellands­chaft des Sonnen- und Waldbrands­taates Kalifornie­n.

Was die Ulmer aus den USA auf jeden Fall übernommen haben, ist die Kunst, wie man Begeisteru­ng weckt. Für die zweitägige Präsentati­on haben ohne Zweifel Firmen wie Tesla oder Apple Pate gestanden. Martialisc­he Musik hämmert durch die Halle, als neue Produkte durch eine Wand aus Kunstnebel rollen. Feuer und Flamme sind auch Marie-Christine und Rico. Angesichts aller am Schluss in Reih und Glied aufgestell­ten Neuvorstel­lungen entfährt es Marie-Christine: „So sieht die Zukunft aus.“

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FOTO: MAGIRUS Eindrucksv­oll: der neue „Firebull“(rechts) von Magirus bei seiner Präsentati­on am Freitag.

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