Der Löschangriff
Weltneuheit: Magirus schickt gemeinsam mit Kässbohrer schwere Raupenfahrzeuge in den Kampf gegen Waldbrände
ULM - Das Feuerwehrfahrzeug der Zukunft – rollt in Ulm vom Band. Davon ist der Hersteller Magirus überzeugt. Die Firma hat jetzt neue Löschgefährte vorgestellt. Unter diesen das gewaltigste ist eine Art Löschpanzer, der einer Kooperation mit Kässbohrer entsprungen ist. Mit dem „Firebull“sollen so verheerende Waldbrände wie zuletzt in Kalifornien effektiver gelöscht werden können.
Marie-Christine und Freund Rico haben ihre Smartphones gezückt. Die Bitterfelder wirken wie Exoten. Während der Rest der Pressemeute mit großen Spiegelreflexkameras über das regennasse Magirus-Testgelände nahe Ulm stapft, speist das junge Pärchen seine Eindrucke direkt ins Internet, füttert seine Follower in Echtzeit. Marie-Christine und Rico sind Feuerwehr-Influencer. „Die einzigen hier“, sagt Marie-Christine. Als Blogger verkörpern die beiden technischen Fortschritt. Die Zukunft. Dieser hat sich auch Magirus verschrieben.
Der Hersteller von Feuerwehrfahrzeugen, der zur CNH-IndustrialGruppe gehört, kann zwar auf eine lange Historie zurückblicken. Gründer Conrad Dietrich Magirus erfand die fahrbare Feuerwehrleiter. Die Firma hat 156 Jahre auf dem Buckel. Doch Tradition reicht nicht, um in der Branche zu überleben. Deshalb setzt Magirus auf Innovation – und Kooperation.
Einen Vorteil hat Magirus gegenüber anderen Firmen, deren Geschäftsmodell wie das der Ulmer folgendermaßen aussieht: Laster großer Hersteller (MAN, Daimler) mit eigenen Feuerwehraufbauten und Löschtechnik zu bestücken. Nämlich diesen: Magirus kann auch auf eigene Zugmaschinen von Iveco zurückgreifen. Denn auch Iveco gehört zur CNH-Industrial-Gruppe.
Es sind nicht einmal 1000 Fahrzeuge, die Magirus 2019 verkauft hat: 400
Löschfahrzeuge und 250 Drehleitern. Doch es hat gereicht, um die Firma wieder in die Gewinnzone zu bringen. Von einer Trendwende nach holprigen Jahren ist die Rede, die Geschäftsführer Marc Diening gemeinsam mit den knapp 1000 Mitarbeitern geschafft haben soll. Genauer will er nicht werden. Noch 2018 stand bei Erlösen von 224 Millionen Euro ein Verlust von knapp 24 Millionen Euro in den Büchern.
Mit der neuen Kollektion an Löschfahrzeugen plant Magirus jetzt den Löschangriff. Auf die Konkurrenz und auf Katastrophenszenarien, wie sie immer häufiger vorkommen: Waldbrände. Dafür muss man nicht zwingend nach Kalifornien blicken oder nach Australien. Auch in Deutschland kokelt es im Grünen immer öfters. Laut Umweltbundesamt gab es im vergangenen Jahr mehr als 1500 Waldbrände mit einer Fläche von 2700 Hektar – die zweitgrößte Fläche seit Einführung der Waldbrandstatistik 1977. Weil Waldbrände wegen des Klimawandels bald auch im Südwesten zum Problem werden könnten, bereiten sich Waldbesitzer, Feuerwehren, Technisches Hilfswerk und Behörden darauf vor. Das Projekt „Waldbrand-Klima-Resilienz“wurde gegründet, um Prävention und Krisenmanagement abzustimmen und voneinander zu lernen.
Um im Wald voranzukommen, hat Magirus eine Offroad-Linie im Angebot. Die Kabinen der Fahrzeuge liegen höher, sie sind robuster. Die Spitze dieser Entwicklung nennt sich „Firebull“. Dieser „Feuer-Stier“hat am Freitag das Licht der Öffentlichkeit erblickt. Schätzungsweise etwas weniger als eine Million Euro soll das Kettenfahrzeug kosten.
Drei Meter hoch wie breit und zehn Meter lang ist das Raupenfahrzeug.
Ein 26-Tonnen-Trumm. Groß ist der Stolz nicht nur bei Magirus-Chef Diening, sondern auch bei Benjamin Sinnl. Der Kässbohrer-Mann ist bei der Präsentation des Löschpanzers ebenfalls vor Ort. Das Antriebssystem, wie man es von Pistenraupen kennt, kommt aus Laupheim. Es handelt sich um einen Power-Bully-Untersatz.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich Magirus und Kässbohrer zusammengetan haben. Die jetzige Kooperation stelle aber alles Bisherige in den Schatten, sagt Sinnl. Selbstbewusst sagt er: Der „Firebull“sei einzigartig. Es ist das laut Magirus weltweit erste serienreife Kettenlöschfahrzeug. Aber auch die Kapazität an Löschwasser – 9000 Liter und 1000 Liter für Schaum, die im Tank mitgeführt werden können – würde ihresgleichen suchen. Ebenfalls speziell: eine Löschturbine. Auch sie entspringt einer Kooperation, mit der Firma Emicontrols in Südtirol. Zwar gebe es schon jetzt eine Vielzahl an Löschfahrzeugen, die sich auf Raupen fortbewegten (Höchstgeschwindigkeit des „Firebull“: 13 Stundenkilometer); allerdings alles Spezialanfertigungen. Der „Firebull“soll in Serie gehen.
Und die Vorteile für das Personal, für die Feuerwehrfrauen und -männer? Erhöhte Sicherheit. So schützt der „Firebull“seinen Fahrer bei Bedarf durch eine „Wand“aus zerstäubtem Wasser. Anderes Gerät wagt sich sogar selbstständig, ohne menschliche Begleitung, in die Nähe der Brandherde: Roboter, ebenfalls auf kleinen Raupen, sind ein Megatrend der Branche. Wie der „Alpha Wolf R1“, den Magirus als weiteres Kooperationsergebnis vorstellt. Große Teile seiner Technik stammen aus dem Hause „Alpha Robotics“aus Oldenburg.
Der Roboter, so der Geschäftsführer der Firma, sei das weltweit erste „ganzheitliche Robotik-Tool“, um die „Kohlen aus dem Feuer zu holen“. Auch Drohnen surren übers Magirus-Testgelände. Unterm Strich nimmt Technik, die den Menschen ersetzen soll, immer mehr zu.
Das scheint auch nötig. Viel Feuerwehrpersonal ist vor Ort bei den „Magirus-Festspielen“. Die Kameraden berichten, dass es immer schwieriger werde, genügend Personal zu den Einsätzen zu schicken. Der unverlässliche Faktor Mensch. Gerade Freiwillige Feuerwehren klagen über abnehmende Verfügbarkeit ihrer Mitglieder, die entweder außerorts arbeiten – oder von ihren Chefs keine Genehmigung bekommen, sich während der Arbeitszeit die Feuerwehrstiefel überzuziehen, wenn es brennt.
Neben Deutschland als Absatzmarkt blicken die Ulmer vor allem in den Mittelmeerraum. Nicht vertreten sind sie in den USA. Marc Diening hält diesbezüglich den Ball flach. Wegen anderer Normen wäre es sehr aufwendig, wollte man sich dort etablieren. Kässbohrer-Mann Sinnl klingt optimistischer. Er könne sich den „Firebull“schon vorstellen im Einsatz in den Vereinigten Staaten. Kaum ein Hang sei zu steil für ihn. Er scheint wie gemacht für die Hügellandschaft des Sonnen- und Waldbrandstaates Kalifornien.
Was die Ulmer aus den USA auf jeden Fall übernommen haben, ist die Kunst, wie man Begeisterung weckt. Für die zweitägige Präsentation haben ohne Zweifel Firmen wie Tesla oder Apple Pate gestanden. Martialische Musik hämmert durch die Halle, als neue Produkte durch eine Wand aus Kunstnebel rollen. Feuer und Flamme sind auch Marie-Christine und Rico. Angesichts aller am Schluss in Reih und Glied aufgestellten Neuvorstellungen entfährt es Marie-Christine: „So sieht die Zukunft aus.“