Gute Gefühle nach der „Narrenfreiheit“
Der FC Bayern genießt seinen Supercup-Sieg vor Fans in Budapest
BUDAPEST - Thomas Müller war richtig angefasst, offensichtlich bewegt. Nicht wegen des Supercups, der ein schöner Titel ist, eher eine Bestätigungstrophäe nach dem weitaus bedeutenderen Erfolg in der Champions League. Der Routinier hatte nach dem 2:1-Erfolg in der Verlängerung über den FC Sevilla von der UEFA die Auszeichnung „Man of the Match“erhalten, und wie immer sprudelte es dann vor den Kameras nur so heraus aus dem Mann vom Ammersee. „Boah, es ist richtig laut hier“, sprach er mitten in einem Sky-Interview und fügte glücklich an: „Das ist mal wieder richtiger Fußball.“Mit Fans und Emotionen, den wichtigsten Zutaten dieses Spiels. Mit der Wechselwirkung vom Rasen auf die Ränge und umgekehrt. Leidenschaft unten, Begeisterung oben. Mit Atmosphäre eben.
Die Aufmerksamkeit bei diesem Pilotprojekt zur Zuschauer-Rückkehr ausgerechnet in einem Corona-Risikogebiet lag also mehr auf den Tribünen und den Eingängen. 15 180 Fans waren offiziell in der „Puskás Aréna“von Budapest, die Sicherheits- und Hygienemaßnahmen vor Ort sehr penibel und strikt. Dennoch, und das ist in Staaten wie Ungarn mit einer rechtsnationalen Regierungspartei unter Ministerpräsident Viktor Orbán offenbar nicht ungewöhnlich, gab es am Tag danach unterschiedliche Berichte in den Medien, ob es nun Gedränge an den Eingängen oder – wie nach Abpfiff während der Ehrenrunde der Bayern tatsächlich zu erkennen – ein Nicht-Einhalten der Mindestabstände gegeben habe. Wie die UEFA in ihrem „Match Report“sprach auch die regierungstreue Zeitung „Magyar Nemzet“von keinerlei Zwischenfällen, die regierungskritische „Nepszava“dagegen schon: Fans ohne Abstand und ohne Maske.
Bayerns Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge bedankte sich bei UEFA-Präsident Aleksander Ceferin für die „professionelle Durchführung“des umstrittenen Spiels, das Frank Ulrich Montgomery, der Vorstandsvorsitzende des Weltärztebundes, scharf kritisierte. „Der Fußball scheint offenbar Narrenfreiheit zu genießen. Das ist kontraproduktiv und ein falsches Signal“, sagte Montgomery der „Passauer Neuen Presse“. Die Fußball-Familie war dennoch erfreut. „Ein herrliches Gefühl“sei es gewesen, so Rummenigge, den Titel „wieder mit unseren Fans zu feiern. Als ich nach dem Spiel in das Stadionrund geblickt habe, habe ich sehr viele glückliche Bayern-Fans gesehen.“Die Profis kosteten die Zuneigung aus, warfen Shirts, Trikots und sogar Schuhe auf die Ränge. In der Stadt konnten die Fans nach Ende der Partie nicht mehr feiern, alle Restaurants und Bars müssen derzeit in Budapest um 23 Uhr schließen.
„Es hat einfach gutgetan, ein bisschen mehr nach Fußball ausgeschaut, darüber sind wir froh“, sagte Trainer Hansi Flick: „Ich hoffe, dass die Stadien irgendwann wieder voll sind.“Zukunftsmusik, unvorhersehbar in einer Pandemie mit steigenden Fallzahlen. Wichtiger war Flicks Wunsch: „Wir hoffen, dass alle Fans gesund zurückkommen.“Der FC Bayern bietet den 1000 mitgereisten Fans bis Samstagmittag einen kostenlosen CoronaTest in der Allianz Arena an. Vor der Einreise nach Ungarn war der Nachweis eines negativen Testergebnisses obligatorisch. Ob der „Testballon“, wie die UEFA das Prestigevorhaben nannte, wirklich ohne Infizierungen ablief, wird sich herausstellen.
Ebenso, wie die Bayern den Fight über 120 Minuten, dieses „sehr intensive Spiel“(Flick) verkraftet haben, schon am Sonntag (15.30 Uhr) geht es in der Bundesliga bei der TSG Hoffenheim weiter. Einige Spieler wie Lucas Hernández hatten Krämpfe. „Die Mentalität der Mannschaft ist einfach sensationell“, sagte Flick, der sich sehr für den eingewechselten Siegtorschützen Javi Martínez freute. Der Spanier ist nach acht Jahren in München auf dem Sprung zurück zu seinem Heimatverein Athletic Bilbao, die Vereine müssen sich nur noch über die Ablöse für den 32-jährigen Defensivspezialisten mit der Kopfballwucht eines Mittelstürmers einigen. Die Summe wird eher unter den kolportieren zehn Millionen Euro liegen.
Derweil sorgt sich Flick um die Physis und mentale Frische seiner Spieler. Die Nationalspieler haben ab sofort bis Weihnachten alle drei, maximal vier Tage ein Spiel – ein irres, nie dagewesenes Programm. „Ich bin froh, dass wir am Sonntag wieder fünf Spieler auswechseln können“, sagte Flick mit Blick auf seine nimmersatten, aber womöglich bald immermüden Kicker. Nach dem vierten Titel des Jahres – damit gelang dem 55-Jährigen einer mehr als Jupp Heynckes 2013 – sprach Flick: „Wir sind noch nicht so richtig in Tritt.“Na dann.
München: Neuer - Pavard, Süle, Alaba (112. Boateng), Hernandez (99. Davies) - Goretzka (99. Martínez), Kimmich - Sané (70. Tolisso), Müller, Gnabry - Lewandowski. – Sevilla: Bono - Navas, Kounde, Diego Carlos, Escudero - Rakitic (56. Torres), Fernando, Jordan (94. Vazquez) Ocampos, de Jong (56. En-Nesyri), Suso (73. Gudelj). – Tore: 0:1 Ocampos (13., Foulelfmeter), 1:1 Goretzka (34.), 2:1 Martínez (104.). 2. Bundesliga (2. Spieltag)
Erzgebirge Aue – Greuther Fürth 1:1 (1:1)
Tore: 0:1 Ernst (6.), 1:1 Krüger (23.). – Zuschauer: 999.
VfL Osnabrück – Hannover 96 2:1 (1:0)
Tore: 1:0, 2:0 Santos (33., Foulelfmeter nach Videobeweis; 47.), 2:1 Ducksch (90.+2). – Zuschauer: 3200.
Fortuna Düsseldorf – Würzburger Kickers Darmstadt 98 – Jahn Regensburg Eintr. Braunschweig – Holst. Kiel alle 13.00 FC St. Pauli – 1. FC Heidenheim
1. FC Nürnberg – SV Sandhausen Karlsruher SC – VfL Bochum alle So., 13.30 SC Paderborn – Hamburger SV Mo., 20.30