Die Geschmäcker sind verschieden
Wer in seinem Garten Obst oder Gemüse anbaut, konnte in diesen beginnenden Herbsttagen hoffentlich eine reiche Ernte einfahren. Hobbygärtner informieren sich vor dem Anbau solcher Nutzpflanzen meistens sehr genau über deren Geschmack, um später keine Überraschung zu erleben. Trotzdem hat der ein oder andere von Ihnen vermutlich schon mal die Aussage gemacht: In diesem Jahr schmecken meine Früchte aber besonders gut!
Ist das lediglich ein subjektives Empfinden oder gibt es auch eine objektive Erklärung dafür? Fakt ist: Der Geschmack einer Sorte variiert in einem bestimmten Rahmen. Beeinflusst wird dieser von Faktoren wie Anzahl der Sonnenscheinstunden, Regelmäßigkeit von Niederschlägen oder Düngung während der Wachstumszeit. Allerdings gibt es da noch einen weiteren Effekt, der Einfluss auf den Geschmack der Frucht haben kann. Ist die Pflanze im Laufe der Vegetationsperiode Stress ausgesetzt, hat die Ernte dadurch einen besonderen Geschmack. Es verändert sich das Mischungsverhältnis einzelner Inhaltsstoffe und wir schmecken einige Komponenten daher intensiver. So ein Stress kann ein leichter Befall mit einer Pilzerkrankung oder ein Behaupten der Pflanze bei widrigen Wetterlagen sein. Hier gilt jedoch: die Dosis macht das Gift. Denn ein Zuviel davon würde die Früchte bitter werden oder komplett verderben lassen. Dagegen führt ein überschaubares Maß an Stress zu einer ganz besonderen Note der Frucht.
Was dort im Detail für Prozesse in der Pflanze ablaufen, ist bisher nur in Ansätzen erforscht. Aktuell laufen dazu einige interessante Studien. Bis dahin müssen wir abwarten und uns auf unser Geschmacksempfinden verlassen.
In diesem Sinne: Genießen Sie die Ernte aus ihrem eigenen Garten mit ihrer besonderen, individuellen Note.
Tina Balke ist Pflanzenärztin. An sie wenden sich Garten- und Zimmerpflanzenbesitzer ebenso wie Profigärtner, die Probleme mit erkrankten oder schädlingsbefallenen Pflanzen haben und wissen wollen, wie sie diese wieder loswerden. Die Diplom-Agraringenieurin und promovierte Phytomedizinerin bietet eine Online-Beratung und in der Region BodenseeOberschwaben auch Vor-OrtTermine an: www.die-pflanzenaerztin.de
Von Alexander Brüggemann
Da stehen sie hoffentlich bald wieder, als schlanker Solitär in der blühenden Heide wie der Parasol (Riesenschirmling) oder als freundlich-dicker Baumbegleiter wie Röhrling oder Steinpilz. 2018 war die Ernte ganz mies, viel zu trocken. Bei Pilzens blieb man da zu Hause, im Boden. 2019 war dafür ein echtes Rekordjahr, als nach dem erneut heißen Sommer noch zur rechten Zeit der warme Regen einsetzte. Was hält das Corona-Jahr 2020 pilztechnisch an Beute bereit? In Oberschwaben und am Bodensee müssen Sammler wohl noch ein wenig warten. Experten zufolge beginnt die Pilzsaison hier später als sonst, weil es im September doch etliche warme Spätsommertage gab. Regen und Kühle bringen einen Wachstumsschub.
Pilze sind geheimnisvolle Wesen – und vielen Menschen auch seit jeher nicht geheuer, wie ein Blick in die Kulturgeschichte zeigt. Was wir als „Pilze“verstehen und suchen, sind in Wahrheit nur die Früchte des eigentlichen Lebewesens Pilz, so wie die Pflaumen am Pflaumenbaum. Bei den Pilzen ist dieser unterirdische „Baum“in Wahrheit ein Fadengeflecht, ein Myzel, das sich über teils riesige Flächen ausdehnt – bis zu einem Quadratkilometer. Zumeist an seinen Rändern bildet das Myzel bei entsprechender Witterung – hierzulande feucht und nicht zu kühl – seine Fruchtkörper aus, die dann „aus dem Boden schießen“.
Für den Menschen fängt an diesem Punkt die Befindlichkeit an: Freude, Furcht, Unbehagen. Schön sehen sie ja aus, ungewöhnlich, geheimnisvoll. Träger geheimer Kräfte womöglich? Aber ist der Fund nun essbar oder giftig? Und warum stehen viele Pilze so auffällig im Kreis herum wie die Wichtel? Für solch gnomenartige Halbwesen zwischen Übererde und Untererde hatte das Mittelalter eine scheinbar griffige Erklärung parat: Pilze wuchsen dort, wo nachts zuvor noch die Hexen, Feen und Elfen getanzt hatten.
Die Legende vom „Hexenring“hielt sich über viele Jahrhunderte. Tatsächlich erklärt sich das vermeintliche nächtliche Tun der Halbwesen ganz logisch-biologisch: Das Myzel treibt seine Blüten respektive Früchte dort aus, wo es am vitalsten ist – an seinen frischen Rändern. Und da es sich im Zweifel allseits ringförmig ausbreitet, stehen die „Pilze“eben im Kreis.
Die Ehrfurcht und die stets gebotene Vorsicht des Menschen vor dem Reich dieser Lebewesen – neben Tieren und Pflanzen – zeigt sich auch an all den wunderbaren Namen, eher Beschimpfungen gleich, die er den Pilzen gegeben hat: Gedrungener Wulstling, Filziger Milchling, Kuhfladenträuschling, Großer Schmierling, Säufernase, Gelbgestiefelter Schleimkopf, Dünenstinkmorchel, Lila Dickfuß, Zitterzahn, Gurkenschnitzling, Gifthautkopf – bis hin zu Hexenpilz und Satanspilz.
Was also essen von diesen möglichen Zauberwerkzeugen, was stehen lassen? Lange Zeit hielt sich der fatale Irrglaube, dass von Tieren angeknabberte Pilze auch für den Menschen unschädlich sein müssten. Der antike griechische Arzt Dioskur vermutete fälschlich einen Zusammenhang zwischen Standort und Giftigkeit. So seien Pilze in der Nähe von Schlangenhöhlen, verrostetem Eisen oder faulendem Tuch zu meiden. Der Aberglaube empfahl, vom Fund die ersten drei – als Opfer für die Waldgeister – in einen Baumstumpf zu legen und ein Vaterunser zu beten – oder aber den ersten hinter sich zu werfen.
Der hessische Mediziner und Naturkundler Adam Lonitzer (15281586) warnte lieber grundsätzlich vor den Schwämmen: Es sei ihr Wesen zu bedrängen; sie seien kalter, phlegmatischer, feuchter und roher Natur. Noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts hielten sich Theorien, nach denen Verfärbungen in Berührung mit bestimmten Materialien oder anderen Lebensmitteln auf Gift schließen ließen. Doch nichts von alledem: Es sind die einzelnen Pilzarten selbst, die für den Menschen giftig – oder eben ungiftig und mitunter äußerst schmackhaft sind.
Aber nicht nur Vergiftung, sondern auch Entgiftung ist eine Möglichkeit für das Zusammenwirken von Pilz und Mensch. So verweist der Zoologe Robert Hofrichter in seinem Buch „Das geheimnisvolle Leben der Pilze“auf Pilzarten, deren kilometerlanges Fadengeflecht vom Menschen ausgebrachte Giftstoffe im Boden binden, für sich verwerten und damit unschädlich machen können – im Fachjargon Bio-Remediation genannt.
Der größte weltbekannte Pilz ist ein Hallimasch aus Oregon. Sein Myzel erstreckt sich über 880 Hektar und wiegt geschätzte 600 Tonnen. Und in der chinesischen Provinz Hainan wurde 2010 an totem Baumholz der größte Pilzfruchtkörper der Welt entdeckt: ein fast elf Meter langer Borstenscheibling, mindestens 400 Kilo schwer.
Auch weit kleinere Funde können Freude machen. Doch Vorsicht: In Westböhmen hieß es einst: „Viel Schwamma, viel Jamma!“; oder in Frankreich: „an de cèpes – an de misére (Steinpilz-Jahr, Elendsjahr)“.
In regenreichen Sommern mit vielen Pilzen fällt die Getreideernte entsprechend schlecht aus. Für ganz Eitle noch ein kulinarischer Tipp aus Schlesien: Wer am Weihnachtsabend viele Pilze isst, dem stehen das ganze Jahr die Kleider.