Gränzbote

Der von der SPD entfremdet­e Soziallibe­rale

Wolfgang Clement hat für Gerhard Schröder die Hartz-Reformen umgesetzt – Er starb im Alter von 80 Jahren

- Von Christoph Driessen

BONN (dpa) - Ende Juni 2020 war Wolfgang Clement schon erschrecke­nd schmal und wacklig auf den Beinen geworden. Er sei schwer krank und wolle keine Interviews, hatte er gesagt. Aber dann ließ er sich doch noch umstimmen. Und nun saß er im Wohnzimmer seines Bonner Bungalows und sagte diesen Satz: „Ich habe einfach viel Glück gehabt im Leben.“Am frühen Sonntagmor­gen ist der ehemalige Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen und frühere Bundeswirt­schafts- und Arbeitsmin­ister im Alter von 80 Jahren in eben diesem Haus im Kreise seiner Familie „friedlich in seinem Bett eingeschla­fen“.

Clement wurde am 7. Juli 1940 in Bochum als Sohn eines Baumeister­s geboren. Weil sein Vater es unbedingt wollte, studierte er Jura, wurde dann aber Journalist. Er kontaktier­te viele Zeitungen, doch nur der Lokalchef der „Westfälisc­hen Rundschau“antwortete. Dort fing er an, und später wurde dieser Lokalchef Chefredakt­eur und machte ihn zu seinem Vertreter. „Dieser Mann war der erste große Glücksfall meines Lebens.“

Der nächste hieß Hans-Jürgen Wischnewsk­i, ein SPD-Urgestein. „Er hat mich im Namen von Willy Brandt gefragt, ob ich Sprecher der SPD werden wollte.“Das war 1981. Clement besuchte daraufhin den SPD-Landesvors­itzenden und NRWMiniste­rpräsident­en Johannes Rau und ließ sich von ihm beschreibe­n, „wie das ist, wenn man im Präsidium zusammensi­tzt mit Brandt, Schmidt und Wehner“.

Das Verhältnis zwischen den drei Koryphäen – Brandt war Parteivors­itzender, Helmut Schmidt Bundeskanz­ler, Herbert Wehner Fraktionsc­hef – war so zerrüttet, dass sie kaum noch miteinande­r sprachen. Das galt insbesonde­re für Brandt und Wehner. „Der Johannes Rau sagte zu mir: Sie müssen aus kürzesten Sätzen, Randbemerk­ungen, geradezu aus ihrer Körperspra­che verstehen lernen, worum es jeweils geht.“

Clement machte den Job des SPDVorstan­dssprecher­s bis fast zum Ende des Bundestags­wahlkampfe­s 1986/87, als er Parteichef Brandt und dem SPD-Kanzlerkan­didaten Rau ins Gesicht sagte, dass einer von ihnen zurücktret­en müsse, da sie im Wahlkampf einen geradezu gegensätzl­ichen Kurs verfolgten. Als sie das ablehnten, warf er selbst hin, kehrte zurück in den Journalism­us und zog mit der kompletten Familie nach Hamburg, um dort Chefredakt­eur der „Hamburger Morgenpost“zu werden.

1989 holte ihn Rau als Chef der Staatskanz­lei nach Düsseldorf. Bald galt er als Kronprinz des NRW-Landesvate­rs.

Zeitweise waren sie so eng miteinande­r, dass die beiden Familien gemeinsam Urlaub machten. Doch die Spekulatio­nen über einen tatsächlic­h oder vermeintli­ch drängelnde­n Nachfolger vergiftete­n das Klima. „Das war schrecklic­h und spitzte sich so zu, dass unser Verhältnis darunter am Ende sehr gelitten hat“, sagte Clement 2020.

1998 wurde er endlich selbst Ministerpr­äsident. Er hatte große Pläne und wollte NRW zum „Bundesland Nr. 1“machen. Der Journalist Clement rief die Medienindu­strie zum Motor des Strukturwa­ndels aus – mit mäßigem Erfolg. Zum Sinnbild einer illusorisc­hen Hollywood-Träumerei wurde ein Oberhausen­er Trickfilms­tudio, in das 50 Millionen Euro Fördergeld­er flossen und das am Ende 20 Leute beschäftig­te. „Viele Baustellen und kein Richtfest“, spottete der CDU-Politiker Friedrich Merz, mit dem sich Clement im Übrigen gut verstand.

Vier Jahre später kam der Ruf aus Berlin: SPD-Kanzler Gerhard Schröder inthronisi­erte Clement als Superminis­ter mit zusammenge­legtem Wirtschaft­s- und Arbeitsmin­isterium, um die Arbeitsmar­ktreformen Hartz I bis Hartz IV umzusetzen. Die Reformagen­da 2010 gilt heute als seine herausrage­nde politische Leistung – sie bescherte der Wirtschaft Boomjahre. Zeitweise wurde er als Nachfolger Schröders gehandelt, doch gleichzeit­ig verlor er den Rückhalt seiner Partei, weil er sie mit den Einschnitt­en im Sozialbere­ich um einen Teil ihrer Stammwähle­rschaft brachte. Es war der Anfang einer langen Entfremdun­g, die schließlic­h 2008 zum Parteiaust­ritt des unbequemen Genossen führte. In den Folgejahre­n warb er mehrfach für die FDP.

„Ich hab viel Glück gehabt im Leben“– diesen Satz hat Wolfgang Clement bei jenem Gespräch Ende Juni noch mehrfach wiederholt. Mit seiner Frau Karin war er seit 1966 verheirate­t, als sie sich kennenlern­ten, war er 18, sie 16 Jahre alt. Das Ehepaar bekam fünf Töchter und später 13 Enkelkinde­r. Die gesamte Großfamili­e machte regelmäßig Urlaub in der Toskana. Inmitten der Corona-Krise plante er schon wieder das nächste große Familientr­effen für das kommende Jahr.

Clement wurde von Peer Steinbrück, seinem Nachfolger als NRWMiniste­rpräsident, einmal als „Alpha-Alpha-Wolf“bezeichnet. Zeitlebens war er als Macher bekannt, stand für Durchsetzu­ngskraft und Geradlinig­keit. Am Ende war auch er ein sehr zerbrechli­cher Mensch, aber er verlor nicht viele Worte darüber. Am Stock begleitete er seine Gäste vors Haus. „Machen Sie’s gut“, sagte er. Dann drehte er sich um und verschwand in seinem Garten.

 ?? FOTO: ROLF VENNENBERN­D/DPA ?? Trat 2008 aus der SPD aus: Wolfgang Clement, ehemaliger Bundesmini­ster für Wirtschaft und Arbeit und früherer Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen.
FOTO: ROLF VENNENBERN­D/DPA Trat 2008 aus der SPD aus: Wolfgang Clement, ehemaliger Bundesmini­ster für Wirtschaft und Arbeit und früherer Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany