Konflikt ohne Ende
Kämpfe in Berg-Karabach gehen weiter - Einmischung durch die Türkei
MOSKAU - Bei neuen Gefechten in der Unruheregion Berg-Karabach zwischen den verfeindeten Nachbarn Armenien und Aserbaidschan sind mehrere Dutzend Menschen getötet worden. Es sind die heftigsten Gefechte seit Jahren – und eine Lösung des Konflikts ist weiterhin nicht in Sicht.
Der Gegenangriff rolle erfolgreich, versicherte der aserbaidschanische General Mais Barchudarow am Montag in einer Presseerklärung von der Frontlinie. „Die Einheiten, die ich kommandiere, werden bis zum letzten Blutstropfen kämpfen, um den Feind zu vernichten“. Der Pathos der Kommandeure ist blutig, die Statistik der Kämpfe um Berg-Karabach auch. Die Armenier hatten am Sonntag 200 getötete Feinde, gestern zehn abgeschossene Feindpanzer gemeldet. Die Aserbaidschaner konterten mit einer Streckenmeldung von 550 gefallenen Armeniern. Das militärische Oberkommando der Rebellenrepublik Berg-Karabach berichtete von insgesamt 59 eigenen Gefallenen, die Aserbaidschaner vermeldeten nur ihre zivilen Opfer: sechs Tote und 26 Verletzte.
Berg-Karabach gilt als Konflikt, der nicht nur eingefroren, sondern vergessen ist und für den auch nach 32 Jahren keine Lösung in Sicht ist. Die beiden ehemaligen Sowjetrepubliken Armenien und Aserbaidschan streiten seit Jahrzehnten um die mehrheitlich von Armeniern bewohnte Region Berg-Karabach. Zuletzt war der militärische Konflikt nach Jahren relativer Ruhe wieder neu aufgeflammt. Aserbaidschans Armee und von Armenien unterstützte Rebellentruppen, die BergKarabach kontrollieren, lieferten sich am Montag weiter tödliche Gefechte. Der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew ordnete eine Teil-Mobilmachung der Armee an.
Die von Armenien kontrollierte Region mit geschätzt 145 000 Einwohnern gehört völkerrechtlich zum islamisch geprägten Aserbaidschan. Zu Sowjetzeiten hatte Berg-Karabach den Status einer autonomen Region. Baku hatte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in einem Krieg mit 30 000 Toten die Kontrolle über das Gebiet verloren.
Die Unruhen in der armenischen Enklave in Aserbaidschan begannen 1988, eskalierten zu einem Kleinkrieg und 1992 zu offenen Feldschlachten. Auf beiden Seiten gab es grausame Gemetzel, Plünderungen und Menschenraub. Etwa im Dorf Maraga, wo 1992 über 50 Armenier getötet und 53 verschleppt wurden. Oder in dem Städtchen Chodschali, wo im gleichen Jahr mehr als Hundert aserbaidschanische Zivilisten getötet wurden. Bis zum ersten funktionierenden Waffenstillstand 1994 kamen zwischen 18 000 und 35 000 Menschen um, darunter Tausende Zivilisten, in der Mehrheit Aserbaidschaner.
Jetzt kämpfen nach Angaben des armenischen Außenministeriums Militärinstrukteure des Erzfeindes Türkei aufseiten der Aserbaidschaner. „Die Türkei stellt eine Gefahr für die Sicherheit Armeniens und der ganzen Region dar“, warnt der armenische Regierungschef Nikol Paschinjan. Auch westliche Medien spekulieren über einen großen Krieg zwischen der Türkei und Russland, der traditionellen Schutzmacht Armeniens. Aserbaidschan bediene sich in der Tat türkischer und israelischer Ausbilder, sagt der Moskauer Militärexperte Viktor Litowkin. Und Präsident Ilcham Alijew habe die Kämpfe losgetreten. „Er hat Unsummen für die Aufrüstung seiner Armee ausgegeben, muss der Öffentlichkeit beweisen, dass er Berg-Karabach nicht nur mit Worten befreien will.“Aber obwohl beide Seiten die Mobilmachung ausgerufen haben, glaubt Litowkin nicht an einen großen Krieg. „Das sind Grenzgefechte um kleine Dörfer und Hügel.“Wollte Alijew Berg-Karabach zurückerobern, müsste er die Hälfte seiner Truppen viel schlagartiger in Bewegung setzen. „Das ist nicht der Fall.“
Aber auch eine Lösung ist nicht in Sicht. Einerseits hält Armenien mit Berg-Karabach und dem breiten „Sicherheitskorridor“zur eigenen Grenze über 20 Prozent des aserbaidschanischen Staatsgebietes besetzt. Andererseits sind die jetzt knapp 150 000 Einwohner der Rebellenrepublik praktisch zu 100 Prozent Armenier, wollen auf keinen Fall wieder Untertanen Bakus werden. Der Teufelskreis aus unergiebigen Verhandlungsrunden und blutigen Artilleriegefechten droht sich weiter zu drehen.