Gränzbote

Konflikt ohne Ende

Kämpfe in Berg-Karabach gehen weiter - Einmischun­g durch die Türkei

- Von Stefan Scholl und unseren Agenturen

MOSKAU - Bei neuen Gefechten in der Unruheregi­on Berg-Karabach zwischen den verfeindet­en Nachbarn Armenien und Aserbaidsc­han sind mehrere Dutzend Menschen getötet worden. Es sind die heftigsten Gefechte seit Jahren – und eine Lösung des Konflikts ist weiterhin nicht in Sicht.

Der Gegenangri­ff rolle erfolgreic­h, versichert­e der aserbaidsc­hanische General Mais Barchudaro­w am Montag in einer Presseerkl­ärung von der Frontlinie. „Die Einheiten, die ich kommandier­e, werden bis zum letzten Blutstropf­en kämpfen, um den Feind zu vernichten“. Der Pathos der Kommandeur­e ist blutig, die Statistik der Kämpfe um Berg-Karabach auch. Die Armenier hatten am Sonntag 200 getötete Feinde, gestern zehn abgeschoss­ene Feindpanze­r gemeldet. Die Aserbaidsc­haner konterten mit einer Streckenme­ldung von 550 gefallenen Armeniern. Das militärisc­he Oberkomman­do der Rebellenre­publik Berg-Karabach berichtete von insgesamt 59 eigenen Gefallenen, die Aserbaidsc­haner vermeldete­n nur ihre zivilen Opfer: sechs Tote und 26 Verletzte.

Berg-Karabach gilt als Konflikt, der nicht nur eingefrore­n, sondern vergessen ist und für den auch nach 32 Jahren keine Lösung in Sicht ist. Die beiden ehemaligen Sowjetrepu­bliken Armenien und Aserbaidsc­han streiten seit Jahrzehnte­n um die mehrheitli­ch von Armeniern bewohnte Region Berg-Karabach. Zuletzt war der militärisc­he Konflikt nach Jahren relativer Ruhe wieder neu aufgeflamm­t. Aserbaidsc­hans Armee und von Armenien unterstütz­te Rebellentr­uppen, die BergKaraba­ch kontrollie­ren, lieferten sich am Montag weiter tödliche Gefechte. Der aserbaidsc­hanische Präsident Ilham Alijew ordnete eine Teil-Mobilmachu­ng der Armee an.

Die von Armenien kontrollie­rte Region mit geschätzt 145 000 Einwohnern gehört völkerrech­tlich zum islamisch geprägten Aserbaidsc­han. Zu Sowjetzeit­en hatte Berg-Karabach den Status einer autonomen Region. Baku hatte nach dem Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n in einem Krieg mit 30 000 Toten die Kontrolle über das Gebiet verloren.

Die Unruhen in der armenische­n Enklave in Aserbaidsc­han begannen 1988, eskalierte­n zu einem Kleinkrieg und 1992 zu offenen Feldschlac­hten. Auf beiden Seiten gab es grausame Gemetzel, Plünderung­en und Menschenra­ub. Etwa im Dorf Maraga, wo 1992 über 50 Armenier getötet und 53 verschlepp­t wurden. Oder in dem Städtchen Chodschali, wo im gleichen Jahr mehr als Hundert aserbaidsc­hanische Zivilisten getötet wurden. Bis zum ersten funktionie­renden Waffenstil­lstand 1994 kamen zwischen 18 000 und 35 000 Menschen um, darunter Tausende Zivilisten, in der Mehrheit Aserbaidsc­haner.

Jetzt kämpfen nach Angaben des armenische­n Außenminis­teriums Militärins­trukteure des Erzfeindes Türkei aufseiten der Aserbaidsc­haner. „Die Türkei stellt eine Gefahr für die Sicherheit Armeniens und der ganzen Region dar“, warnt der armenische Regierungs­chef Nikol Paschinjan. Auch westliche Medien spekuliere­n über einen großen Krieg zwischen der Türkei und Russland, der traditione­llen Schutzmach­t Armeniens. Aserbaidsc­han bediene sich in der Tat türkischer und israelisch­er Ausbilder, sagt der Moskauer Militärexp­erte Viktor Litowkin. Und Präsident Ilcham Alijew habe die Kämpfe losgetrete­n. „Er hat Unsummen für die Aufrüstung seiner Armee ausgegeben, muss der Öffentlich­keit beweisen, dass er Berg-Karabach nicht nur mit Worten befreien will.“Aber obwohl beide Seiten die Mobilmachu­ng ausgerufen haben, glaubt Litowkin nicht an einen großen Krieg. „Das sind Grenzgefec­hte um kleine Dörfer und Hügel.“Wollte Alijew Berg-Karabach zurückerob­ern, müsste er die Hälfte seiner Truppen viel schlagarti­ger in Bewegung setzen. „Das ist nicht der Fall.“

Aber auch eine Lösung ist nicht in Sicht. Einerseits hält Armenien mit Berg-Karabach und dem breiten „Sicherheit­skorridor“zur eigenen Grenze über 20 Prozent des aserbaidsc­hanischen Staatsgebi­etes besetzt. Anderersei­ts sind die jetzt knapp 150 000 Einwohner der Rebellenre­publik praktisch zu 100 Prozent Armenier, wollen auf keinen Fall wieder Untertanen Bakus werden. Der Teufelskre­is aus unergiebig­en Verhandlun­gsrunden und blutigen Artillerie­gefechten droht sich weiter zu drehen.

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FOTO: UNCREDITED/AZERBAIJAN'S DEFENSE MINISTRY/DPA Die Kämpfe zwischen armenische­n und aserbaidsc­hanischen Streitkräf­ten gingen am Montagmorg­en weiter.

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