Viele letzte Male ohne richtigen Abschied
Bürgermeister Clemens Maier hat am Freitag seinen letzten Arbeitstag
TROSSINGEN (sfk) – Stuttgart statt Trossingen: Am 1. November tritt Clemens Maier sein neues Amt als Ordnungsbürgermeister in Stuttgart an. An einem seiner letzten Arbeitstage als Trossinger Bürgermeister hat er sich mit unserer Redakteurin Sabine Felker über Wehmut, Vorfreude und das ungewöhnliche Abschiednehmen in Corona-Zeiten unterhalten.
Als Sie 2007 Bürgermeister in Trossingen wurden, traf nur ein Jahr später die Wirtschaftskrise Deutschland und auch Trossingen schlitterte in eine Rekordverschuldung. In den vergangenen Jahren gelang es der Stadt, die Schulden auf einen historischen Tiefststand abzubauen, nun steigen sie wieder extrem an, coronabedingt droht eine neue Wirtschaftskrise. Wie fühlt es sich an, ausgerechnet jetzt zu gehen?
Ich weiß Trossingen gut aufgestellt. Das Geld, das die Stadt in den kommenden Jahren ausgibt, ist gut angelegt, denn es wird in die Infrastruktur investiert. Als uns 2008/2009 die Krise traf, erholte sich die Wirtschaft schnell wieder. Die aktuellen Schätzungen gehen davon aus, dass die Rückgänge bei den Steuereinnahmen ähnlich aussehen wie 2008, das wäre zu verkraften. Natürlich ist auch klar, dass, käme es noch mal zum kompletten Runterfahren der Wirtschaft durch eine Situation wie im Frühjahr, nächstes Jahr aus Kurzarbeit Arbeitslosigkeit werden könnte, und dann hätte das längerfristige Folgen. Aber weil niemand weiß, was kommen wird, wäre das ein Blick in die Kristallkugel. Aber ich bin sicher, dass Trossingen die Krise bewältigen wird, denn unsere
Strukturen sind gesund.
In Ihrer 13-jährigen Amtszeit hatten Sie mit weiteren Krisen zu kämpfen, etwa 2015, als Kreise und Kommunen eine große Zahl von Flüchtlingen unterbringen mussten. Wie haben Sie diese Zeit in Erinnerung?
Wir hatten das Glück, dass wir bereits 2014 ein Haus in der Burgstraße als Flüchtlingsunterkunft ausgewiesen haben. So hatten wir schon Erfahrungswerte und haben gesehen, dass das ganz gut läuft, wenn man die Menschen betreut und willkommen heißt. Nachdem die evangelische Kirche sich in der Burgstraße engagierte, habe ich im Herbst 2015, als klar war, dass das alte Dr.-Karl-Hohner-Heim eine Flüchtlingsunterkunft werden würde, auch die katholische Kirche um Unterstützung gebeten. Die Resonanz war beeindruckend. Wir hatten das erste Helfertreffen im Gemeindehaus geplant, mussten dann aber in die Kirche, weil der Andrang aus der Bevölkerung so groß war. Das war einfach ein gutes Gefühl. Und bis heute ist das damals geknüpfte Netzwerk stabil, und die Aufnahme der Flüchtlinge ist insgesamt sehr unaufgeregt und friedlich vor sich gegangen. Als Stadt haben wir damals besonnen und tatkräftig reagiert, und den vielen ehrenamtlichen Helfern bin ich nach wie vor dankbar.
Ein Bürgermeister ist in der kommunalpolitischen Arbeit auf die Zusammenarbeit mit dem Gemeinderat angewiesen. Nicht jedes Ihrer Vorhaben hat in diesem Gremium bestehen können. Ihr Versuch, die Steuern teilweise zu erhöhen, um für schlechte Zeiten besser aufgestellt zu sein, wurde von der Mehrheit des Rats mit dem Hinweis abgelehnt, Steuern sollte man gerade in wirtschaftlich guten Zeiten nicht erhöhen. Jetzt, da die Wirtschaft von der Pandemie schwer getroffen ist, wird aber sicher auch kein Gemeinderat nach einer Steuererhöhung rufen, um die Einnahmenseite der Stadt zu verbessern. Ärgert Sie rückblickend die damalige Entscheidung des Rats?
Nein, das muss man sportlich sehen, so funktioniert die Demokratie. Ich bemühe mich bis heute, mich über berufliche Dinge nicht zu ärgern (lacht). Mit den Jahren kann ich damit besser umgehen. Das heißt nicht, dass ich abgebrühter geworden bin, sondern dass ich erkannt habe, dass es hilft, mal eine Nacht darüber zu schlafen und ein bisschen auf Distanz
zu negativen Gefühlen zu gehen. Insgesamt war es aber all die Jahre eine sehr gute, zielorientierte und auch vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Gemeinderat. Das ist insgesamt wichtiger als einzelne strittige Entscheidungen, die eben auch dazugehören.
Über das Angebot, beruflich nach Stuttgart zu wechseln, haben Sie vermutlich mehr als eine Nacht geschlafen.
Das stimmt allerdings. Ich wäre von mir aus nicht auf die Idee gekommen, Trossingen zu verlassen. Als sich dann aber die Situation ergeben hat, reifte der Gedanke in mir. Natürlich habe ich das zuhause besprochen, wir haben gemeinsam überlegt, ob das für uns als Familie funktionieren kann. Und irgendwann wacht man dann eben morgens auf und weiß: Ja, das mache ich. Denn langweilig war es mir in Trossingen wirklich nie.
Auch wenn in keinem Job immer nur Sonnenschein herrscht, macht den Beruf des Bürgermeisters schon aus, dass man für Entscheidungen, die man eigentlich zum Wohl der Stadt und der Bürger trifft, Prügel kassiert. Aber 95 Prozent meiner Zeit hier war wirklich gut. Und über die Entwicklung der Stadt in den letzten 13 Jahren freue ich mich.
Eigentlich hätten Sie am Freitag in einer öffentlichen Feierstunde verabschiedet werden sollen. Doch die steigenden Corona-Zahlen machen dies unmöglich. Sie haben mal gesagt, als Bürgermeister muss man vor allem eins: Menschen mögen. Wie fühlt es sich an, nach 13 Jahren in einem solch öffentlichen Amt so sang- und klanglos gehen zu müssen?
(lacht) Zum Glück weiß ich ja, dass es an Corona liegt und nicht an mir. Tatsächlich fühlt es sich seltsam an. Nicht nur, weil ich mich nicht richtig von den vielen Menschen, mit denen ich in den vergangenen Jahren zu tun hatte, verabschieden kann, sondern auch, weil ich in den vergangenen Tagen immer wieder wusste: Das mache ich jetzt zum letzten Mal, hier gehe ich zum letzten Mal hin. Da schwingt schon Wehmut mit. Aber die Vorfreude auf die neuen Herausforderungen wird immer größer.
Welche Projekte hätten Sie gerne noch abgeschlossen?
Einiges ist schon im Werden. Trossingen braucht ein weiteres Pflegezentrum für Senioren, ein Hotel und auch weitere Gewerbeansiedlungen. Dass ich die konkrete Umsetzung nicht mehr als Bürgermeister begleiten kann, ist in Ordnung für mich, Hauptsache, am Ende stimmt das Ergebnis.
Zum Abschied nehmen gehören meist auch gute Wünsche. Was wünschen Sie Trossingen?
Für die Stadt als ganze wünsche ich mir, dass die Menschen sich auch in Zukunft als eine große Gemeinschaft verstehen und zusammenhalten. Und ein kleiner persönlicher Wunsch von mir wäre: Der Austausch des Gymnasiums mit dem Musikgymnasium Korfu hat nur je ein Mal in jede Richtung geklappt, dann kam Corona dazwischen. Wenn dieser Austausch weitergehen könnte, das wäre eine tolle Sache.