Supermarktketten gehen Klöckner an
Bund will die Macht des Lebensmittelhandels gegenüber Erzeugern begrenzen – Konzerne reagieren verstimmt
BERLIN/RAVENSBURG (wom/ben) Landwirte und kleinere Lebensmittellieferanten sollen besser davor geschützt werden, dass Handelsriesen sie unfair unter Druck setzen. Darauf zielt ein Gesetzentwurf von Agrarministerin Julia Klöckner (CDU), den das Bundeskabinett jüngst auf den Weg gebracht hat. Die Chefs der großen deutschen Handelsketten Edeka, Rewe, Aldi und der SchwarzGruppe (Lidl, Kaufland) sprechen von Diffamierung und Ehrabschneidung.
BERLIN/RAVENSBURG - Im Lebensmittelhandel geht es rau zu. Passt einer Supermarktkette eine Lieferung nicht ins Konzept, wird sie oft unbezahlt storniert. Beschweren sich Kunden, fordern Händler von Lieferanten eine Entschädigung, ohne dass diese Schuld an der Beanstandung haben. Die Marktmacht der großen Supermarktketten ermöglichte bisher derlei einseitige Regelungen. Das will Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) nun ändern. Das vor wenigen Tagen im Bundeskabinett verabschiedete Gesetz gegen unlautere Handelspraktiken geht nun in den Bundestag und in den Bundesrat, wo es Ende Januar und Mitte Februar behandelt wird, wie das Bundeslandwirtschaftsministerium der „Schwäbischen Zeitung“am Freitag bestätigte. Nach dem parlamentarischen Verfahren könnte das Gesetz im April 2021 in Kraft treten
„Hier kämpft David gegen Goliath“, beschreibt Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner die Machtverhältnisse im Handel. Die vier größten Lebensmittelhändler vereinen 85 Prozent des Marktes auf sich. Große Absatzalternativen haben Landwirte oder Verarbeiter von landwirtschaftlichen Produkten wie Molkereien nicht. Das Ungleichgewicht wird nun zum Teil durch Verbote ausgeglichen. Damit setzt Deutschland eine europäische Richtlinie um.
Untersagt wird beispielsweise, Lieferanten mit einer Auslistung zu drohen, wenn sie ihre Rechte durchsetzen wollen. Auch die einseitige Veränderung von Liefer- und Zahlungsbedingungen oder Qualitätsstandards ist bald nicht mehr erlaubt. Verderbliche Ware wie frische Erdbeeren müssen die Händler künftig innerhalb von 30 Tagen bezahlen, haltbare Lebensmittel innerhalb von 60 Tagen.
An zwei Punkten geht Klöckner über das EU-Recht hinaus. Bisher bleibt der Landwirt auf dem Schaden sitzen, wenn sich frische Waren nicht vollständig verkaufen lassen. Ebenso muss der Lieferant für die Beseitigung nicht mehr verwendbarer Produkte aufkommen. Beide Praktiken verbietet Klöckner nun. „Wer bestellt“, sagt sie, „muss dann auch bezahlen.“
Die rüden Methoden sind schon seit Jahren ein Ärgernis für die Erzeuger und Hersteller von Nahrungsmitteln. Während sich große Konzerne wie Nestlè oder Coca Cola schon mal auf einen Konflikt mit Handelsketten einlassen, sind die kleineren Unternehmen bisher chancenlos. Nun stärkt Klöckner ihnen den Rücken auch mit spürbaren Sanktionen bei Verstößen gegen die neuen Regeln. Bis zu 500 000 Euro
Bußgeld können die Behörden verhängen. Beim Bundesamt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) wird eine Stelle eingerichtet, an die sich betroffene Lieferanten unter Wahrung des Vertrauensschutzes wenden können.
Der Handelsverband Deutschland (HDE) ist mit der Neuregelung gar nicht einverstanden. Die Regelungen führten zu weniger Wettbewerb und in der Folge zu steigenden Preisen. „Die Bundesregierung begibt sich mit den strengen Einschränkungen für die Verhandlungen zwischen dem Einzelhandel und seinen Lieferanten auf einen wettbewerbsökonomischen Irrweg“, sagt HDEChef Stefan Genth. Er sieht darin einen Eingriff in die Vertragsgestaltungsfreiheit.
Die Chefs der großen deutschen Handelsketten Edeka, Rewe, Aldi und der Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland) haben sich gar in einem Protestbrief an Kanzlerin Angela Merkel über den Vorstoß Klöckners und deren Einschätzung über die Praktiken der Händler beschwert. Die Unionspolitikerin habe „die großen Lebensmittelhandelsunternehmen kollektiv öffentlich scharf angegriffen“und dabei Vorwürfe geäußert, „die jeglicher sachgerechten
Würdigung widersprechen“, zitiert das Magazin „Wirtschaftswoche“aus dem Brief. „Trotz der üblichen politischen Härte sollten dabei aber die Grenzen des politischen Anstands und der Ehrabschneidung nicht überschritten werden.“
Klöckner zeichne „ein Zerrbild der Lebensmittelhändler, die angeblich systematisch Verträge und Recht brechen. Wir sind über diesen massiven Angriff auf die Reputation unserer Unternehmen zutiefst erschrocken und fühlen uns persönlich diskreditiert“, heißt es in dem Brief. Es handle sich um einen beispiellosen Vorgang öffentlicher Diffamierung durch ein Mitglied der Bundesregierung. Unterzeichnet wurde der Brief von den Topmanagern Markus Mosa (Edeka), Lionel Souque (Rewe), Markus Dicker (Aldi) und Klaus Gehrig (Schwarz-Gruppe), sowie vom Präsidenten des Handelsverbandes Deutschland, Josef Sanktjohanser und Friedhelm Dornseifer, dem Präsidenten des Bundesverbandes des Deutschen Lebensmittelhandels.
Klöckners Ministerium weist die Vorwürfe der Lebensmittelkonzerne zurück. „Das massive Marktungleichgewicht hat dazu geführt, dass sich Praktiken etabliert haben, die die Erzeuger klar benachteiligen.
Dass dem so ist, belegt allein auch die Tatsache, dass diese unlauteren Praktiken mit der Richtlinie nicht allein in Deutschland, sondern EUweit verboten werden“, teilte eine Sprecherin Klöckners der „Schwäbischen Zeitung“auf Anfrage mit. 27 Mitgliedsstaaten haben hier klaren Handlungsbedarf gesehen und diesen sehr konkret umgesetzt. Das spricht für sich!“Das Gesetz schaffe nach Angaben der Ministerin Augenhöhe und stärke die regionale Produktion und den Wettbewerb. Häufig sei kleinen Lieferanten nichts anderes übrig geblieben, als unfaire Bedingungen zu akzeptieren, wenn sie nicht „ausgelistet“werden wollen. Das solle ein Ende haben.
Auch der deutsche Bauernverband reagierte empört auf das Schreiben der Lebensmittelhändler an die Kanzerlin. „Sie zeigen sich irritiert und erschrocken, beklagen unter anderem Diffamierung und Diskreditierung und fühlen sich in ehrabschneidender Weise behandelt“, heißt es in einem Brief des Verbands an die Vorstandschefs von Aldi, Edeka, Lidl und Rewe, der der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt. „Wir möchten diesen Empfindlichkeiten die Erfahrungen unserer Bauernfamilien gegenüberstellen, die seit Langem unter massivem wirtschaftlichem Druck stehen, der die Arbeitsfähigkeit, Existenz und Nachhaltigkeit vieler Betriebe zerstört hat und die verbliebenen weiter gefährdet. Dieser Druck geht maßgeblich aus vom Preiswettbewerb in der Ernährungsindustrie, den der Lebensmittelhandel mit seinen Strukturen und seinem Einkaufsverhalten erzeugt und anheizt.“Die Folgen seien eine ausgegprägte Niedrigpreiskultur, mangelnde Wertschätzung für Lebensmittel und das Aus vieler Betriebe. Vor diesem Hintergrund fehle den Landwirten „jegliches Verständnis für die genannten Befindlichkeiten“, heißt es in dem Schreiben, das Verbandspräsident Joachim Rukwied unterschrieben hat.
Die Entwicklungsorganisation Oxfam teilt die Kritik an den Handelskonzernen und begrüßt den Gesetzesvorstoß Klöckners. „Die Supermarktketten werden nicht von sich aus Bauern und Lieferanten fair behandeln“, sagt Oxfam-Expertin Marita Wiggerthale. Sie fordert noch weitergehende Regeln. So müsse auch ein Verkauf von Lebensmitteln unterhalb der Produktionskosten untersagt werden. Ein Problem, das vor allem die Milchwirtschaft und viele Bauern in Baden-Württemberg und Bayern betrifft.