„Keine Brutstätte des Terrorismus“
Juristin Grabesch über deutsche Gefängnisse
BERLIN - Radikalisieren sich Extremisten vor den Augen des Staates in Gefängnissen? Attentate wie das eines frisch aus der Haft entlassenen Islamisten in Dresden Anfang Oktober feuern diese Debatte an. Christine Graebsch (Foto: FH Dortmund/ Marcus Heine) ist Professorin für Rechtliche Grundlagen der Sozialen Arbeit an der Fachhochschule Dortmund und arbeitet außerdem als Strafverteidigerin. Im Interview mit Dominik Guggemos erklärt sie, warum Menschen gefährlicher aus dem Gefängnis kommen, als sie hineingehen.
Werden in deutschen Gefängnissen strenggläubige Muslime zu gewaltbereiten Islamisten und andere Straftäter zu Rechtsterroristen?
Das wurde in vielen Medien und in der Politik, vor allem nach dem Anschlag am Breitscheidplatz in Berlin, so kommuniziert: Gefängnisse als Brutstätten des Terrorismus. Ich kenne in Deutschland keinen Fall, an dem man aufzeigen könnte, dass es wirklich so passiert ist.
In Gefängnissen sind Menschen, die Verbrechen begangen haben, auf engstem Raum miteinander untergebracht. Verfestigen sich da nicht radikale Ideologien?
Der Gedanke der Schule des Verbrechens wird überschätzt. Nur weil der Ladendieb im Gefängnis einen Tresorknacker trifft, raubt er beim nächsten Mal keine Bank aus. So funktioniert das nicht. Zumal das auch keine gute Schule wäre – schließlich wurden die Menschen erwischt.
Was beobachten Sie stattdessen?
Menschen werden aus allen sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhängen rausgerissen, suchen nach Bezugspersonen. Das Umfeld Gefängnis führt dazu, dass Menschen sich vom Staat abwenden. Nun sitzen Gefangene aber auch in Haft, weil sie lernen müssen, sich an Gesetze zu halten. Eine gewünschte Verhaltensänderung erreicht man aber selten durch Bestrafung, sondern indem man Vorbild ist – das weiß man auch aus der Erziehung. Heißt konkret: Der Staat sollte sich in den Haftanstalten an Gesetze halten, was oft nicht der Fall ist.
Sie arbeiten auch als Strafverteidigerin. Was haben Sie in der Hinsicht schon erlebt?
Da gibt es unendlich viele Beispiele. Ein häufiges: Ein Gefangener hat einen Antrag gestellt, aber der ist nicht vorhanden – und es wird ihm auch nicht bestätigt, dass er ihn eingereicht hat. Das mag wie eine Kleinigkeit
wirken, ist es für die Betroffenen aber nicht – weil es auf sie wie Willkür wirkt. In der internationalen Forschung wird deutlich, dass Gefangene weniger gewalttätig sind und sich weniger gegen den Staat wenden, wenn das Fairness-Prinzip eingehalten wird.
Die Politik hat auf das wahrgenommene Problem der Radikalisierung mit Programmen reagiert. Eine gute Idee?
Ich setze ein Programm auf, und die Menschen gehen da radikal rein und kommen deradikalisiert raus? Wenn es so einfach wäre... Es gibt zwei Faktoren, die wirklich helfen würden: Fairness und Transparenz sowie ein ordentliches Übergangsmanagement in den Alltag. In der Zeit nach dem Strafvollzug haben viele erstmal nichts und sind besonders anfällig dafür, in Gewohnheiten zurückzufallen, die sie ins Gefängnis gebracht haben.
Was macht man mit denen, die sich einen Alltag voller Gewalt und radikaler Ideologie wünschen?
Das wird man nicht verhindern können. Das stellt niemanden zufrieden, mich auch nicht.
Und wenn man stark davon ausgehen muss, dass sie weitere Verbrechen begehen wollen?
Da bleibt dann nur eine konsequente Überwachung dieser Personen. Das ist von der Personalkapazität der Polizei aus betrachtet schwierig, aber das Einzige, was man tun kann. Die Alternative dazu wäre, Menschen einzusperren, bevor sie ein vermutetes Verbrechen begehen können, wie in dem Film „Minority Report“. Das ist dann sehr gruselig und hat mit einem Rechtsstaat nichts mehr zu tun.
Die skandinavischen Länder setzen auf noch mehr Resozialisierung im Strafvollzug.
Das ist in jedem Fall der richtige Weg, aus einem simplen Grund: Man wird damit wenig Schaden anrichten und kann gleichzeitig mit einer hohen Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass sich die Menschen eher von der Radikalisierung gegen den Staat abwenden.
Wie steht Deutschland denn im Vergleich zu anderen Ländern da, was die Rückfallquote von straffällig gewordenen Menschen angeht?
Ich habe schon oft versucht, solche Vergleiche anzustellen, kann das aber nicht, weil uns die Zahlen fehlen. Man kann noch nicht einmal die einzelnen deutschen Bundesländer unterscheiden. Der Strafvollzug blockiert oft den Zugang für unabhängige Forschung. Auch wenn Studien nützlich wären, um politische Entscheidungen zu treffen.