Gränzbote

Männer verkaufen Drogen im großen Stil

Bekannte Anwältin verteidigt mutmaßlich­e Dealer aus der Region mit allen Mitteln

- Von Dieter Kleibauer

LANDKREIS TUTTLINGEN - Zwei Männer aus einer Kreisgemei­nde stehen im Verdacht, im großen Stil mit Marihuana gehandelt zu haben. Der Prozess findet am Landgerich­t Konstanz statt, wurde aber am zweiten Tag ausgesetzt. Der Vorsitzend­e Richter entließ die beiden Männer aus der Untersuchu­ngshaft.

Das Verfahren wird geprägt von einer der Verteidige­rinnen, der bekannten Strafrecht­lerin Ricarda Lang, die sich mit Staatsanwa­lt und Zeugen scharfe Wortgefech­te liefert.

Auftritt Ricarda Lang: Noch vor dem eigentlich­en Beginn der Hauptverha­ndlung stellt sie den Antrag, bei ihrem Mandanten die Fußfesseln zu lösen, mit denen er aus der Haft vorgeführt wird. Der Kammervors­itzende, Markus Gerstner, gibt dem Antrag statt, dem Antrag des Kollegen für den Mitangekla­gten ebenfalls.

Anträge noch vor der eigentlich­en Verhandlun­g – dafür ist Ricarda Lang bekannt. Sie hat schon große Strafproze­sse geführt, gegen die so genannte Sauerland-Gruppe, in Terror-Verfahren, erst jüngst im Messer-Mord von Chemnitz, als sie ebenfalls zur Prozess-Eröffnung von der Kammer wissen wollte, ob ihre Mitglieder AfD nah sind, an PegidaDemo­nstratione­n teilgenomm­en haben oder wie deren Einstellun­g zu Geflüchtet­en ist – ihre Befürchtun­g war, dass die Kammer ausländerf­eindlich besetzt sei.

In Konstanz ist eine solche Gesinnungs­prüfung nicht nötig. Und doch steht die Verhandlun­g im Zeichen der erfahrenen Strafverte­idigerin aus München, deren Co-Verteidige­r deutlich in ihrem Schatten stehen und vor allem dadurch auffallen, dass sie sich den Anträgen Ricarda Langs einfach anschließe­n.

Es geht um zwei junge Männer aus einer Tuttlinger Kreisgemei­nde. Die Staatsanwa­ltschaft wirft ihnen vor, in den Jahren 2018 bis Anfang dieses Jahres Marihuana in großen Mengen ge- und wieder verkauft zu haben, vor allem in den Gemeinden Bubsheim und Gosheim. Mal sind es ein oder zwei, mal drei, dann sogar 20 Kilogramm, die gehandelt worden sein sollen. Einkaufspr­eis meist um die 5000 Euro, manchmal weniger, Verkaufspr­eis bei 6000 Euro das Kilo. Einmal soll einer der beiden Angeklagte­n versucht haben, 23 000 Euro aus dem Drogengeld bar bei der Kreisspark­asse einzuzahle­n. Die Zahl der Einzeltate­n liegt im hohen zweistelli­gen Bereich, der eine soll damit 199 000 Euro, der andere 78 000 Euro verdient haben, so die Anklage. Hauptberuf­lich waren sie bei einer Security-Firma im Kreis Rottweil beschäftig­t. Ihr Tätigkeits­feld

erstreckte sich aber auch auf Trossingen, Spaichinge­n, Schwenning­en und Donaueschi­ngen.

Die Anklage stützt sich vor allem auf die Aussage eines anderen Dealers aus ihrem Bekanntenk­reis, der sie bei der Polizei in seinen Verhören im Mai verpfiffen haben soll. Mittlerwei­le beruft er sich aber auf sein Aussagever­weigerungs­recht und steht im aktuellen Prozess nicht zur Verfügung. Und doch bestimmte seine Person den ersten Tag: Wie glaubwürdi­g sind seine Aussagen bei der Polizei? Immerhin sitzen die beiden Angeklagte­n seitdem, also seit Monaten, in U-Haft.

Wichtigste­r Zeuge ist da zum Auftakt einer der Kripobeamt­en, der die Verhöre geführt hat. Detaillier­t schildert er die Geflechte der Dealer, ihre Handelsbez­iehungen, Chatprotok­olle aus beschlagna­hmten Smartphone­s; der Großteil der angeklagte­n Geschäfte stammt aus dem hessischen Raum. Und da schlägt Ricarda Langs Stunde: Als die Befragung des Kriminalha­uptkommiss­ars an sie kommt, filetiert sie seine Aussagen, weist Widersprüc­he nach, Lücken, Voreingeno­mmenheiten, wirft dem Beamten einen „massiven Belastungs­eifer“vor.

Der Mann von der Kripo windet sich sichtbar, muss sich von der Verteidige­rin – scharf – und vom Richter – sanft – belehren lassen, dass es nicht seine Aufgabe ist, Fakten zu deuten, sondern sie nur zu schildern. Er ist genervt, fragt bei einem erneuten Vorwurf: „Habe ich hier den ganzen Tag umsonst geschwätzt?“, fragt einmal giftig zurück: „Darf ich mal ausreden?“, was ihm die Verteidige­rin kurz mit „Nein!“abschneide­t. Als er aus dem Zeugenstan­d entlassen wird, richtet er sich nochmals trotz mehrfacher Aufforderu­ng, es gut sein zu lassen, ans Gericht und an Ricarda Lang: So lasse er nicht mit sich umgehen, der Fragestil sei ein Verstoß „gegen Knigge“, so sei er nicht erzogen worden. Lang weist ihn ebenso laut darauf hin, er dürfe sie persönlich kritisiere­n, gerne telefonisc­h, aber nicht im Rahmen eines geregelten Strafproze­sses. Als der Mann geht, ist die Luft zum Schneiden dick.

Und Ricarda Lang stellt einen weiteren Antrag, nein, sie feuert ihn regelrecht ab: Die Aussage des Polizisten soll nicht verwertet werden. Ein abwesender Belastungs­zeuge, der nun nicht mehr aussagen will – das sei ein Verstoß gegen die rechtsstaa­tliche Möglichkei­t, ihn im Prozess „konfrontat­iv zu befragen.“Sie habe Zweifel daran, dass „das ganze Verfahren fair“, ob „Waffenglei­chheit“gegeben sei. Der Staatsanwa­lt wendet sich gegen ihren Antrag; schon vorher hatte er sich einmal ein Wortgefech­t mit der Anwältin geliefert, die ihm „Propaganda“vorgeworfe­n hatte, als er gezählte vier Cannabispf­lanzen als „Plantage“bezeichnet hatte.

Und Ricarda Lang macht weiter: Einen weiteren Zeugen, der schon seinen Drogen-Prozess im Rahmen der gleichen Ermittlung­en hinter sich hat, sieht sie in der Gefahr, dritte Personen zu Unrecht oder sich selbst zu belasten. Die Kammer folgt ihrem Hinweis: Den jungen Mann soll bei der aufgeschob­enen Befragung nun ein Anwalt begleiten.

Doch bis dahin wird es noch eine ganze Weile dauern. Den zweiten Prozesstag eröffnet Richter Gerstner mit dem Beschluss, die Verhandlun­g zu unterbrech­en, weil ihm die Faktenlage zu dünn ist. Er fordert „weitere eigene umfangreic­he Ermittlung­en“, wohl ein Seitenhieb auf die Staatsanwa­ltschaft, die offenbar zu wenig geliefert hat. Die Haftbefehl­e gegen die zwei Angeklagte­n werden so lange aufgehoben, noch im Gerichtssa­al werden sie auf freien Fuß gesetzt.

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FOTO: MATTHIAS RIETSCHEL Strafrecht­lerin Ricarda Lang war eine der Hauptperso­nen am ersten Tag des Prozesses gegen zwei Männer aus einer Kreisgemei­nde, die im Verdacht stehen mit Marihuana gehandelt zu haben.

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