Männer verkaufen Drogen im großen Stil
Bekannte Anwältin verteidigt mutmaßliche Dealer aus der Region mit allen Mitteln
LANDKREIS TUTTLINGEN - Zwei Männer aus einer Kreisgemeinde stehen im Verdacht, im großen Stil mit Marihuana gehandelt zu haben. Der Prozess findet am Landgericht Konstanz statt, wurde aber am zweiten Tag ausgesetzt. Der Vorsitzende Richter entließ die beiden Männer aus der Untersuchungshaft.
Das Verfahren wird geprägt von einer der Verteidigerinnen, der bekannten Strafrechtlerin Ricarda Lang, die sich mit Staatsanwalt und Zeugen scharfe Wortgefechte liefert.
Auftritt Ricarda Lang: Noch vor dem eigentlichen Beginn der Hauptverhandlung stellt sie den Antrag, bei ihrem Mandanten die Fußfesseln zu lösen, mit denen er aus der Haft vorgeführt wird. Der Kammervorsitzende, Markus Gerstner, gibt dem Antrag statt, dem Antrag des Kollegen für den Mitangeklagten ebenfalls.
Anträge noch vor der eigentlichen Verhandlung – dafür ist Ricarda Lang bekannt. Sie hat schon große Strafprozesse geführt, gegen die so genannte Sauerland-Gruppe, in Terror-Verfahren, erst jüngst im Messer-Mord von Chemnitz, als sie ebenfalls zur Prozess-Eröffnung von der Kammer wissen wollte, ob ihre Mitglieder AfD nah sind, an PegidaDemonstrationen teilgenommen haben oder wie deren Einstellung zu Geflüchteten ist – ihre Befürchtung war, dass die Kammer ausländerfeindlich besetzt sei.
In Konstanz ist eine solche Gesinnungsprüfung nicht nötig. Und doch steht die Verhandlung im Zeichen der erfahrenen Strafverteidigerin aus München, deren Co-Verteidiger deutlich in ihrem Schatten stehen und vor allem dadurch auffallen, dass sie sich den Anträgen Ricarda Langs einfach anschließen.
Es geht um zwei junge Männer aus einer Tuttlinger Kreisgemeinde. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, in den Jahren 2018 bis Anfang dieses Jahres Marihuana in großen Mengen ge- und wieder verkauft zu haben, vor allem in den Gemeinden Bubsheim und Gosheim. Mal sind es ein oder zwei, mal drei, dann sogar 20 Kilogramm, die gehandelt worden sein sollen. Einkaufspreis meist um die 5000 Euro, manchmal weniger, Verkaufspreis bei 6000 Euro das Kilo. Einmal soll einer der beiden Angeklagten versucht haben, 23 000 Euro aus dem Drogengeld bar bei der Kreissparkasse einzuzahlen. Die Zahl der Einzeltaten liegt im hohen zweistelligen Bereich, der eine soll damit 199 000 Euro, der andere 78 000 Euro verdient haben, so die Anklage. Hauptberuflich waren sie bei einer Security-Firma im Kreis Rottweil beschäftigt. Ihr Tätigkeitsfeld
erstreckte sich aber auch auf Trossingen, Spaichingen, Schwenningen und Donaueschingen.
Die Anklage stützt sich vor allem auf die Aussage eines anderen Dealers aus ihrem Bekanntenkreis, der sie bei der Polizei in seinen Verhören im Mai verpfiffen haben soll. Mittlerweile beruft er sich aber auf sein Aussageverweigerungsrecht und steht im aktuellen Prozess nicht zur Verfügung. Und doch bestimmte seine Person den ersten Tag: Wie glaubwürdig sind seine Aussagen bei der Polizei? Immerhin sitzen die beiden Angeklagten seitdem, also seit Monaten, in U-Haft.
Wichtigster Zeuge ist da zum Auftakt einer der Kripobeamten, der die Verhöre geführt hat. Detailliert schildert er die Geflechte der Dealer, ihre Handelsbeziehungen, Chatprotokolle aus beschlagnahmten Smartphones; der Großteil der angeklagten Geschäfte stammt aus dem hessischen Raum. Und da schlägt Ricarda Langs Stunde: Als die Befragung des Kriminalhauptkommissars an sie kommt, filetiert sie seine Aussagen, weist Widersprüche nach, Lücken, Voreingenommenheiten, wirft dem Beamten einen „massiven Belastungseifer“vor.
Der Mann von der Kripo windet sich sichtbar, muss sich von der Verteidigerin – scharf – und vom Richter – sanft – belehren lassen, dass es nicht seine Aufgabe ist, Fakten zu deuten, sondern sie nur zu schildern. Er ist genervt, fragt bei einem erneuten Vorwurf: „Habe ich hier den ganzen Tag umsonst geschwätzt?“, fragt einmal giftig zurück: „Darf ich mal ausreden?“, was ihm die Verteidigerin kurz mit „Nein!“abschneidet. Als er aus dem Zeugenstand entlassen wird, richtet er sich nochmals trotz mehrfacher Aufforderung, es gut sein zu lassen, ans Gericht und an Ricarda Lang: So lasse er nicht mit sich umgehen, der Fragestil sei ein Verstoß „gegen Knigge“, so sei er nicht erzogen worden. Lang weist ihn ebenso laut darauf hin, er dürfe sie persönlich kritisieren, gerne telefonisch, aber nicht im Rahmen eines geregelten Strafprozesses. Als der Mann geht, ist die Luft zum Schneiden dick.
Und Ricarda Lang stellt einen weiteren Antrag, nein, sie feuert ihn regelrecht ab: Die Aussage des Polizisten soll nicht verwertet werden. Ein abwesender Belastungszeuge, der nun nicht mehr aussagen will – das sei ein Verstoß gegen die rechtsstaatliche Möglichkeit, ihn im Prozess „konfrontativ zu befragen.“Sie habe Zweifel daran, dass „das ganze Verfahren fair“, ob „Waffengleichheit“gegeben sei. Der Staatsanwalt wendet sich gegen ihren Antrag; schon vorher hatte er sich einmal ein Wortgefecht mit der Anwältin geliefert, die ihm „Propaganda“vorgeworfen hatte, als er gezählte vier Cannabispflanzen als „Plantage“bezeichnet hatte.
Und Ricarda Lang macht weiter: Einen weiteren Zeugen, der schon seinen Drogen-Prozess im Rahmen der gleichen Ermittlungen hinter sich hat, sieht sie in der Gefahr, dritte Personen zu Unrecht oder sich selbst zu belasten. Die Kammer folgt ihrem Hinweis: Den jungen Mann soll bei der aufgeschobenen Befragung nun ein Anwalt begleiten.
Doch bis dahin wird es noch eine ganze Weile dauern. Den zweiten Prozesstag eröffnet Richter Gerstner mit dem Beschluss, die Verhandlung zu unterbrechen, weil ihm die Faktenlage zu dünn ist. Er fordert „weitere eigene umfangreiche Ermittlungen“, wohl ein Seitenhieb auf die Staatsanwaltschaft, die offenbar zu wenig geliefert hat. Die Haftbefehle gegen die zwei Angeklagten werden so lange aufgehoben, noch im Gerichtssaal werden sie auf freien Fuß gesetzt.