Wieler gegen Lockerungen an Weihnachten
RKI-Chef fordert Länder zum Verzicht auf – Harter Lockdown nach dem Fest rückt näher
BERLIN (AFP) - Der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, hat an die Bundesländer appelliert, auf die den Bürgern zu Weihnachten versprochenen Lockerungen der Corona-Maßnahmen zu verzichten. Es sei die wichtigste Maßnahme, „dass man verhindert, dass die Lockerungen an Weihnachten kommen“, sagte Wieler am Donnerstag in Berlin. Ansonsten würden nach Weihnachten die Neuinfektionen mit dem Coronavirus zunehmen und auch die Todeszahlen steigen. Wieler verwies dabei auf die USA, wo nach dem Thanksgiving-Wochenende als Folge vieler Familienfeiern und Reisen die Neuinfektionen stark angestiegen waren.
Derweil rückt der harte Lockdown nach den Feiertagen näher. Mehrere Ministerpräsidenten sprachen sich dafür aus. Bayerns Regierungschef Markus Söder forderte den kompletten Lockdown in ganz Deutschland. „Es braucht bundesweit Ausgangsbeschränkungen, nächtliche Ausgangssperren in Hotspots, Geschäftsschließungen, Betriebsferien und überall verlängerte Schulferien“, sagte der CSU-Chef. „Das muss bis 10. Januar gelten – aber so lange wie nötig.“
BERLIN (dpa) - Deutschland bekommt die zweite Corona-Welle trotz des seit Wochen geltenden TeilLockdowns nicht in den Griff. Am Donnerstag registrierte das Robert Koch-Institut (RKI) mit 23 679 Fällen innerhalb von 24 Stunden einen neuen Höchststand bei den Neuinfektionen. Am Vortag war ein Spitzenwert von 590 Todesfällen verzeichnet worden. Das RKI warnte vor einem Kippen der Lage. Immer mehr Bundesländer wollen angesichts dieser Zahlen das öffentliche und private Leben rasch stärker als bisher herunterfahren. Unklar war am Donnerstag noch, ob es dazu eine neue Runde von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten geben wird. Diese könnte frühestens am Wochenende stattfinden.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder forderte einen harten und konsequenten Lockdown ab Weihnachten. „Das muss bis 10. Januar gelten – aber so lange wie nötig“, sagte er in München. „Wir müssen das öffentliche Leben runterfahren“, betonte der CSU-Chef. „Das heißt, auch alle Geschäfte zu, abgesehen von denen des alltäglichen Bedarfs wie Lebensmittel. Es ist notwendig, dass wir dann auch überall in Deutschland Ausgangsbeschränkungen und in Hotspots Ausgangssperren in den Nachtstunden haben. Es sollen für diese Zeit einfach alle zu Hause bleiben.“Unternehmen sollten soweit möglich Betriebsferien machen.
Das Land Berlin plant deutliche Einschränkungen für den Einzelhandel und längere Schulferien. Regierungschef Michael Müller (SPD) schließt nicht aus, dass viele Geschäfte schon vor Weihnachten geschlossen werden. „Jenseits vom Lebensmitteleinzelhandel müssen alle anderen Shoppingangebote geschlossen werden, und zwar bis zum 10. Januar, es geht nicht anders“, sagte er im Abgeordnetenhaus. Ab wann, steht Müller zufolge noch nicht fest. Der Senat will sich am kommenden Dienstag damit befassen.
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig hält das Weihnachtsfest für den spätesten Zeitpunkt, um die Geschäfte – mit Ausnahme des Lebensmittelhandels – zu schließen. Sie sei offen für einen früheren Termin, sagte die SPD-Politikerin in Schwerin. Sie plädierte für eine Konferenz mit der Kanzlerin spätestens am Freitag.
Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn machte sich für zusätzliche Beschränkungen stark. „Es braucht ein Herunterfahren insgesamt in der Gesellschaft für uns alle auch über den Jahreswechsel“, sagte der CDU-Politiker im Bundestag. Nach dem Anfang November begonnenen Teil-Lockdown sei zu sehen: „Mit dem, was im Moment ist, erreichen wir unser gemeinsames Ziel nicht.“Für die meisten sei der Jahreswechsel ohnehin eine ruhigere Zeit, Schulen hätten geschlossen, so dass zusätzliche Einschränkungen möglich seien. Das heiße aber nicht,
„dass man bis dahin noch mal alles ausreizt“.
Spahn sprach von einer „schwierigen Phase“in der Pandemie: Neben zu hohen Infektionszahlen gebe es Milliardenkosten für Wirtschaftshilfen
und „eine Ermüdung bei vielen Bürgerinnen und Bürgern“nach mehreren Wochen mit Beschränkungen. In Regionen mit sehr hohem Infektionsgeschehen brauche es jetzt entschlossenes staatliches Handeln mit zusätzlichen Maßnahmen. Dazu komme aber auch „bürgerliche Eigenverantwortung“etwa bei Abstand, Maskentragen und Hygiene.
RKI-Präsident Lothar Wieler nannte es angesichts der Entwicklung der Pandemie wichtig, Lockerungen über Weihnachten zu verhindern. Nachdem die Fallzahlen wochenlang auf einem hohen Plateau gelegen hätten, sehe man aktuell wieder einen Anstieg, sagte er. Die Fallzahlen könnten rasch wieder exponentiell steigen, dafür reichten wenige zusätzliche Fälle. „Das müssen wir verhindern“, betonte der RKI-Chef.
Einen harten Lockdown vom 24. Dezember bis mindestens 10. Januar hatte in dieser Woche die Nationale Wissenschaftsakademie Leopoldina empfohlen – unter den Unterzeichnern war auch Wieler. Dieser sagte jetzt, die Gesundheitsämter seien zunehmend erschöpft. In einigen Regionen hätten Krankenhäuser ihre Belastungsgrenze erreicht. „Wir sehen immer mehr Ausbrüche in Altenund Pflegeheimen.“Und auch die Zahl der schweren Verläufe und Todesfälle nehme zu. Das Virus zirkuliere zunehmend in Risikogruppen.
Nach Angaben der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensivund Notfallmedizin (Divi) wurden am Donnerstag 4339 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen behandelt. 58 Prozent wurden invasiv beatmet. „Wir haben jetzt eine wirkliche Krisensituation“, sagte Divi-Präsident Uwe Janssens. Er sei enttäuscht, dass es dazu gekommen sei. „Die Warnungen waren ja schon lange da.“
Um Ansteckungen zu verhindern, müssten alle konsequent mitmachen, sagte RKI-Chef Wieler. Alle sollten Kontakte auf das „zwingend Notwendige“reduzieren, auf Treffen verzichten und Freunde und Familie schützen. Die Verringerung der Kontakte im aktuellen Teil-Lockdown reiche nicht aus. „Wir kommen auf etwa 40 Prozent“, sagte Wieler. Nötig seien aber über 60 Prozent – so wie im Frühjahr.