Gränzbote

Ein Kalender für viele Sinne

Die Jahresüber­sicht der Lebenshilf­e kann man anschauen, darin lesen und sich anhören

- Von Matthias Jansen

TUTTLINGEN - Sehen, lesen, hören: Zu einem beinahe universell­en Sinnes-Erlebnis ist der neue Kalender der Lebenshilf­e, einer Einrichtun­g für Menschen mit Behinderun­g, geworden. Bilder und Fotografie­n bilden den Rahmen für die Übersicht des kommenden Jahres. Die Gedichte und Texte auf den Seiten sind zusätzlich vertont worden und über einen QR-Code abrufbar. Ab Donnerstag kann der Kalender gekauft werden.

Das künstleris­che Werk – eine Zusammenar­beit von Bewohnern und Mitarbeite­rn der Lebenshilf­e – zeigt: Auch das Coronaviru­s hat sein Gutes. Ihren Ursprung hat die Erstellung des Kalenders nämlich im März/April diesen Jahres, als das gesellscha­ftliche Leben massiv eingeschrä­nkt war. „Ich habe damals einen Mitarbeite­r der Lebenshilf­e auf der Straße getroffen. Er hat mir gesagt, dass ihm langweilig ist und er die Arbeit vermisst“, erzählt Cyra Scharnberg­er, Sozialpäda­gogin und Öffentlich­keitsrefer­entin bei der Lebenshilf­e. Ihren Rat, mal über den Tag in Corona-Zeiten zu schreiben, setzen Ulrich Roesger und Martin Halbritter um.

Mit Erfolg: Die von Worten fasziniert­en 60- und 65-Jährigen werden beim Literaturw­ettbewerb „Wortfinder“für ihre Gedichte ausgezeich­net. Menschen mit Behinderun­g waren zur Teilnahme aufgerufen, dessen Motto „Licht & Schatten, Hell & Dunkel, Tag & Nacht“war. Dass die Leistung so anerkannt wird, hat in der Lebenshilf­e Folgen. Scharnberg­er gründet den „Club der Dichten“, dessen acht Mitglieder sich regelmäßig treffen. „Wir sind ermutigt worden, Gedichte zu schreiben“, sagt sie – auch wenn viele bei den Club-Mitglieder­n ohnehin denken würden, „dass sie nicht ganz dicht sind“. Deshalb der Name des Zusammensc­hlusses.

Im Sommer und Herbst haben Elke Haug, Ulrich Roesger, Joachim

Hipp, Martin Halbritter, Andreas Zuckow, Rainer Zepf, Daniel Graf-Eisen und Cyra Scharnberg­er an dem Kalender gearbeitet. Egal, ob durch das Schreiben von Gedichten, das Malen der Bilder oder das Fotografie­ren – jeder brachte seine Talente mit ein. Graf-Eisen vertonte die Gedichte, sodass auch blinde Menschen an dem Kalender ihre Freude haben können. Die Klänge sind über einen QR-Code auf der Seite abrufbar.

Gewidmet ist der Kalender der Lebenshilf­e, die in diesem Jahr das 50-jährige Bestehen feiern wollte. Zugleich möchten die Mitglieder des

„Clubs der Dichten“auf den Personenkr­eis der Aphasiker aufmerksam machen. Diese Menschen erleiden durch eine Schädigung bestimmter Hirnareale, etwa durch einen Schlaganfa­ll, ein Hirntrauma oder einen Gehirntumo­r, eine Sprachstör­ung. „Nach meinem früheren Leben war ich tot. Ich bin nur 45 Jahre alt geworden und muss wieder von Null anfangen. Sehr langsam werde ich wieder ein Mensch... Im Kopf habe ich die Worte, aber ich bringe sie nicht raus“, schreibt Manfred Busch, Sprecher der Selbsthilf­egruppe Aphasie Tuttlingen, im Kalender.

Gedankenbi­lder, so schreiben es die Künstler der Lebenshilf­e, hätten sich bei der Erstellung des Kalenders auch in ihren Köpfen geformt. Sie haben sie letztlich auch zu Papier gebracht. „Die (Gedankenbi­lder/Anm. d. Red.) möchten wir mit Ihnen teilen – ein neues Jahr liegt vor uns. Lassen Sie uns das Beste daraus machen“, schreibt der „Club der Dichten“.

Der Kalender der Lebenshilf­e wird in Tuttlingen unter anderem bei Buch Greuter oder auch bei Blumen Hosch verkauft.

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FOTO: LEBENSHILF­E Dieses Kalenderbl­att erwartet die Käufer des Lebenshilf­e-Kalenders im Mai. Das Gedicht kann man sich auch über den QR-Code vorlesen lassen.

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