Das Jahr ohne gemeinsamen Gesang
Vier Chöre aus Spaichingen und Umgeben schildern ihre aktuelle Situation
SPAICHINGEN - Fast ein ganzes Jahr ohne gemeinsames Singen liegt hinter dem Spaichinger Liederkranz und dem PrimaChor – so wie hinter vielen anderen Chören auch. Regelmäßige Proben, bei denen nicht nur die Musik, sondern ebenso die Gemeinschaft wichtig sind, fallen weg. Auch die Weihnachtszeit bleibt still. Zwar besteht die Möglichkeit, sich per Viedokonferenz zusammenzuschalten, wie es der Aldinger Chor Frohsinn und der Liederkranz Frittlingen machen, aber auch da ist eines eben nicht wirklich möglich: Zusammen zu singen, sodass jeder den anderen hört.
Der Spaichinger Liederkranz hat auf Online-Proben verzichtet, was aber auch bedeutet, dass die Mitglieder seit Mitte März nicht mehr im Chor gesungen haben „Wir hatten am 7. März noch unser großes Jahreskonzert“, sagt Elsbeth Weber. Kurz bevor die ersten drastischen Einschränkungen kamen, und der Chor die Proben aussetzen musste. Inzwischen hat der Vorstand festgelegt, dass mindestens bis März mit dem Liederkranz keine Proben stattfinden. Der Schutz der Gesundheit gehe vor, zumal viele Mitglieder alleine schon aufgrund ihres Alters zur Risikogruppe gehören, sagt Rudolf Irion, Vorstand des Liederkranzes und des PrimaChors in Spaichingen. Momentan sind Treffen in größeren Gruppen ohnehin nicht erlaubt, aber Studien legen auch nahe, dass beim Singen größere Mengen an Aerosolen freigesetzt werden und die Ansteckungsgefahr dadurch steigt.
Elsbeth Weber fürchtet, dass das gemeinsame Singen auch im März noch nicht möglich sein wird. Doch privat hält sie an der Musik fest. „Ich habe gerade eine ganze Handvoll Noten in den Fingern“, sagt die 83-Jährige, als sie den Anruf unserer Zeitung entgegennimmt. Mit Wehmut denke sie an die letzte Weihnachtszeit zurück und die Lieder, die sie gesungen hat. „Das fehlt schon ganz, ganz arg.“Sie vermisst die Proben – aber auch die Gemeinschaft. „Man freut sich jede Woche drauf, fragt sich, ob alle da und alle gesund sind.“Auch wenn es manchmal Überwindung koste, das gemütliche Zuhause wegen einer Chorprobe am Abend nochmal zu verlassen. „Aber dann sieht man alle, sieht die freundlichen Gesichter, übt und ist danach total zufrieden.“
Im Sommer traf sich der Chor nur einmal und da auch nicht zum Singen. „Das wäre uns zu gefährlich gewesen, und kam für den Vorstand nicht in Frage“, sagt Weber. Sie singt seit 40 Jahren im Liederkranz, war selbst viele Jahre im Vorstand. Musik gehört zu ihrem Leben dazu, seit ihrer Kindheit spielt sie in der Kirche auf dem Dreifaltigkeitsberg Orgel.
Eine Sorge treibt nicht nur Elsbeth Weber, sondern auch Vorstand Rudolf Irion um: Dass nach Ende der Pandemie einige Sänger das Interesse am Chor verloren haben könnten. „Und Nachwuchs fehlt sowieso“, sagt Weber. Sie vermutet, dass im nächsten Jahr auf viele Chöre noch Schwierigkeiten zukommen werden. Ob sie selbst denn weitermachen will? „Hundertprozentig“, kommt ihre Antwort schnell und überzeugt.
Jemand, der es auch kaum erwarten kann, bis Chorproben wieder erlaubt sind, ist Alfons Liebermann, Mitglied im PrimaChor. Der PrimaChor hält sich bereit und will, sobald es möglich ist, wieder gemeinsam singen. „Ich freue mich einfach auf den Moment, wenn es wieder los geht“, betont Liebermann. Er geht fest davon aus, dass nach der Zwangspause alle Sängerinnen und Sänger wiederkommen werden. Der PrimaChor hat sich seit Beginn der Pandemie zumindest einmal zum Proben getroffen, im Herbst gab es ein Zeitfenster, in dem dies mit viel Abstand möglich war. Damit ihre Stimmen nicht einrosten, erhielten sie von Chorleiterin Katalin Theolodigitis schon im Frühjahr Übungen für zuhause. Sie habe alle Gesangsstimmen auf dem Klavier gespielt, aufgenommen und den Chormitgliedern geschickt, berichtet Liebermann. Trotzdem haben sie ihr großes, für Mai 2021 geplantes, Konzert erstmal verschoben.
Auch an eine Online-Probe hat sich der PrimaChor gewagt. Liebermanns Urteil lautet allerdings „katastrophal“, und als Rudolf Irion von der Videoprobe erzählt, muss er erst mal lachen. „Alle haben sich gefreut, sich zu sehen, aber es hat leider nicht funktioniert.“Die Stimmen kamen verzögert, gemeinsames Proben sei so nicht möglich gewesen.
Die Chöre in Spaichingens Umgeben vermissen den Gesang wohl genauso sehr. Margita Öfinger, Vorstand des Chors Frohsinn in Aldingen klagt. „Das fehlt uns schon wahnsinnig, das zusammen sein und zusammen singen.“Das für den 28. November 2020 geplante Jahreskonzert haben sie um ein Jahr verschoben. Uli Groß, Chorleiterin des Frittlinger
Liederkranzes, spricht von einer Art Lähmung, die die Chormitglieder ergriffen habe, weil niemand weiß, wann richtige Gesangsproben wieder möglich sind. Aber sie will nicht jammern: „Das bringt uns ja nicht weiter.“Finanziell scheinen die Chöre zumindest noch ganz gut dazustehen. Sie konnten auf Polster zurückgreifen und hatten weniger Ausgaben. Spaichingen und Frittlingen haben ihre Chorleiterinnen weiter bezahlt, und auch der Aldinger Chor ließ seiner Chorleiterin Monika Kohler weiterhin eine Kleinigkeit zukommen, wie Öfinger berichtet. Das Land hat die
Vereine ebenfalls auf dem Schirm und erst vergangene Woche ein neues Hilfspaket aufgesetzt, das für 2021 nochmal zehn Millionen Euro für Vereine der Breitenkultur vorsieht.
Drei Präsenzproben sind dem Aldinger Chor während Corona gelungen – und regelmäßige Online-Proben. Auch wenn deutlich weniger Chormitglieder teilgenommen hätten als an den „normalen“Proben. Am heutigen Montag will der Frohsinn-Chor sogar gemeinsam Weihnachslieder singen, alles übers Netz. „Unsere Chorleiterin begleitet uns dann vielleicht sogar auf dem Akkordeon“, sagt Margita Öfinger.
Wichtig dabei: Das Mikro aller Teilnehmenden muss ausgeschaltet sein, außer das der Chorleiterin. Das bedeutet aber auch, dass die Videoproben nicht das gemeinsame Singen ersetzen können. Uli Groß nutzt das Internet trotzdem, um mit ihren Sängern zu üben, auch wenn nicht alle die technische Möglichkeit hätten, daran teilzunehmen. „.All das ist ein etwas seltsamer Ersatz für das Ereignis des Miteinandersingens in einem
Raum“, meint sie, „aber jeder weiß, dass diese Situation auch wieder vorbeigehen wird, und dann ist ein regelmäßiges Training unter Umständen weitaus besser als nahezu ein volles Jahr der ruhenden Gesänge.“