Wenn der Schneepflug nicht schnell genug Schnee pflügt
Wenn wir auch über ihn schimpfen, ihn leidenschaftlich verfluchen, seine weiße Allmacht beklagen, so lieben wir ihn trotzdem, den Schnee. Gemahnt er uns alle doch an die sorglosen Kindertage, an denen wir tändelnd den Tag vertun konnten, während wir dem kalten Flockentreiben weiße Denkmäler setzten. Mal als Schneemann, mal als Iglu. Indem wir auf seinem weißen Rücken Hügel hinabritten. Jauchzend und voller Übermut, den kleinen Sorgen unseres jungen Lebens einfach davonrodelnd.
Und heute? Da wir groß und abgeklärt sind? Macht er alles so wunderbar gleich. Selbst den desperaten Hinterhof einer ärmlichen Siedlung bedeckt er mit der Reinheit seiner Farbe. Sogar Wertstoffhöfe erscheinen wie festliche Ballsäle, in denen orange gekleidete Müllwerker Ballett tanzen zwischen Altpapier und Gelbem Sack. Und der Wagen aus fünfter Hand wirkt bedeckt vom Schnee wie das edelste Automobil.
Doch was tun wir Toren nach kurzer Zeit? Jammern. Zetern. Wehklagen. Dass der Schnee nicht weiß genug ist. Dass der Schneepflug nicht schnell genug Schnee pflügt. Dass der Salzstreuer nicht schnell genug Salz streut. Und dass das gestreute Salz zu wenig salzig ist. Man möchte am liebsten Schlitten fahren mit solch nörgelnden Nörglern, die hinter jeder frostigen Flocke einen Grund für den persönlichen Untergang wittern. Dabei sollten wir es halten wie die alten Römer, die das Beste aus Schnee machten: nämlich Eis, versetzt mit Honig. Als Vorbote eines Sommers, der da draußen irgendwo wartet. (nyf)