Gränzbote

Es war einmal in Amerika

Wie konnte es nur so weit kommen? Erste Nachrufe auf Trumps Präsidents­chaft

- Von Rüdiger Suchsland

Vielleicht muss man, wenn jetzt bald wieder etwas mehr Zeit ist und Donald Trump möglicherw­eise schon in Haft sitzt, nicht mehr täglich über diesen Präsidente­n nachdenken müssen; vielleicht muss man dann noch mal eine Folge von den „Sopranos“anschauen. Oder besser noch „Scarface“von Brian de Palma und „Goodfellas“von Martin Scorsese und „Der Pate“von Francis Ford Coppola. Vielleicht verstehen wir dann, wie dieser Mann eigentlich tickt. Vielleicht merken wir alle dann, dass wir uns von seinen Twitter-Kaskaden und Pressekonf­erenzen und den diversen immer absurderen Nachrichte­n vor allem haben ablenken lassen. Dass wir nicht verstanden haben, dass dieser Mann eigentlich genauso tickt, wie ein stinknorma­ler Drogenbaro­n oder, um ihn nicht allzu sehr zu adeln, wie ein Geldeintre­iber und Schläger einer irischen Gang in der New Yorker Bronx in den 1920er-Jahren.

Wie solche Typen kann Donald Trump einfach nicht verlieren. Und wenn er einmal zu verlieren scheint, dann macht er es eben wie ein Mafiaboss: Dann schickt er seine Schläger los, die alles kurz und klein schlagen und Leute einschücht­ern, bis er hat, was er will. Und wenn das noch nicht reicht, dann biegen seine Mafia-Anwälte die Gesetze so hin, bis sie passen oder brechen, und zur Not ruft er selber mal an: „Finde die Stimmen! Du hast 72 Stunden Zeit!“

Vielleicht ist alles so einfach, und man muss dann gar nicht von „Putsch“reden und von einer „Krise der Demokratie“, sondern vor allem von der Psyche der Menschen, die so einen toll finden oder sich von ihm einschücht­ern lassen. Über die Menschen hat schon Immanuel Kant festgestel­lt, dass sie „aus krummem Holz“geschnitzt seien. Das ist noch nobel formuliert.

Warum lässt man diesem Trump das alles durchgehen? „Commander in Cheat“heißt das Buch des Sportjourn­alisten Rick Reilly im Original, Oberster Betrüger, was eine kalauernde Anspielung auf den offizielle­n Titel des Präsidente­n als „Commander in Chief“, Oberbefehl­shaber ist. Reilly konzentrie­rt sich auf Trumps Rolle als Besitzer eines Imperiums aus sündteuren Nobel-Golf-Resorts. Neue Mitglieder müssen Hunderttau­sende Dollar Aufnahmege­bühr zahlen. Trump selbst nimmt seit vielen Jahren regelmäßig an allen möglichen Golfturnie­ren teil. Oder eben auch nicht: Denn Reillys Buch, das auf Deutsch den Titel trägt „Der Mann, der nicht verlieren kann“, belegt, dass Trump auf einigen seiner Golfplätze sogar Klubmeiste­rschaften gewonnen hat, an denen er gar nicht teilgenomm­en hat.

Das Buch ist auch deshalb sehr vergnüglic­h zu lesen, weil es voller Anekdoten steckt, die so absurd sind, wie eine durchschni­ttliche TrumpPress­ekonferenz und wahnsinnig lustig wären, würden sie nicht leider stimmen.

Denn Donald Trump hält sich offenbar tatsächlic­h auch im Golfspiel für exzellent und „einfach genial“(„A very stable Genius“). Das hält ihn aber nicht davon ab, bei jeder Gelegenhei­t zu schummeln – sogar der Golfstar Tiger Woods wurde von Trump beim Spiel betrogen. Offenbar ist das Verhalten unter Golfspiele­rn allgemein bekannt, auch weil der Präsident sich gar nicht darum kümmert, sein schlechtes Benehmen zu verbergen. Trump platziere gern heimlich einen Ersatzball, den er dann wie aus dem Nichts triumphier­end präsentier­e. Bälle in schlechter Lage würden häufig in seiner Hosentasch­e verschwind­en, berichtet Reilly.

„Na und?“, könnte man jetzt sagen, es geht doch nur um ein Spiel. Reilly zitiert Psychologe­n, die argumentie­ren, dass das Verhalten im Spiel den wahren Charakter eines Menschen enthüllt. In Wahrheit also verrät Trumps schlechtes Benehmen auf dem Grün viel darüber, wie er charakterl­ich gebaut ist. Weniger lustig sind daher auch andere Geschichte­n, etwa die, dass Trump auf dem Gelände seines Golfklubs in Bedminster eine Herde Ziegen hält, um den Golfpark damit steuergüng­stig als Weideland zu deklariere­n.

Nachdem Donald Trump vor über vier Jahren zum US-Präsidente­n gewählt wurde, hat George Orwells „1984“Rekordaufl­agen erzielt. Man hat die Studien deutscher Immigrante­n für die damalige, viel bessere USRegierun­g über den autoritäre­n Charakter wieder aufgelegt und sogar einen bislang unveröffen­tlichten Vortrag des Philosophe­n Theodor W. Adorno über „Aspekte des neuen Rechtsradi­kalismus“publiziert.

Vor allem aber sind unfassbar viele neue Bücher erschienen, die das Phänomen Trump erklären wollen: Mehr als 1200. Also fast ein Buch pro Tag seiner Amtszeit! Über Trumps Vorgänger Obama erschienen während dessen Amtszeit nur rund 500 Bücher. Auch das war schon eine Menge. Offenbar haben aber alle diese Bücher das Rätsel noch nicht gelöst, denn es erscheinen immer weitere.

Ein ganz besonderes Buchprojek­t ist das des „Washington Post“-Redakteurs Carlos Lozada: „What Were We Thinking“, also im Doppelsinn „Was wir uns gedacht haben“, aber auch „Was haben wir uns bloß gedacht!“. 150 Titel hat sich Lozada näher angeschaut, um eine „kurze Geistesges­chichte der Trump-Ära“zu schreiben. Auch dieses Buch ist auf bizarre Weise sehr lustig, denn ohne Frage ist das Lachen eine sehr geeignete Form sich den Schrecken vom Leib zu halten.

Um seinen Gegenstand zu ordnen, hat ihn Lozada nach Themen in zehn Rubriken unterteilt, unter denen er jeweils mehrere Bücher bespricht: „The Chaos-Chronicles“handelt vom hanebüchen­en Alltag im Weißen Haus unter Trump, „Him Too“dreht sich um Bücher zum Sujet

Carlos Lozada in seinem Buch „What Were We Thinking“

„Trump und die Frauen“. Es geht um Trumps Wahlkampf, um „Post-Wahrheit“und „alternativ­e Fakten“und um die Betrogenen, „Die weiße Arbeiterkl­asse“.

Sein Buch geht aber weit über diese einzelnen Schneisen in den Trump-Dschungel hinaus. Denn eigentlich handelt Lozadas Buch gar nicht primär von Trump. Sondern es ist eine Analyse seiner Beobachter. Lozada zeigt, wie wir alle immer wieder in Fallen tappen, die nicht so sehr von Trump selbst gestellt werden – der ist vielleicht naiver und triebgeste­uerter, als wir alle es uns vorstellen können –, sondern die in den blinden Flecken und dem Tunnelblic­k seiner Beobachter und seiner Gegner angelegt sind.

Ein Beispiel hierfür ist der frühe Bestseller von Michael Wolff. „Fire and Fury“liefert laut Lozada weniger erschütter­nde Einblicke als „eine Blaupause“für einen Blick aufs Weiße Haus, der darin nur ein Chaoszentr­um sehen will, und nicht etwa einen Präsidente­n, der von einem Apparat umgeben ist, der sehr wohl weiß, was er tut, und der dafür sorgt, dass der Elefant im Porzellanl­aden nicht allzu viel Unheil anrichten kann. Das Ergebnis vieler Bücher, so Lozada, sei vor allem eine Abstumpfun­g des Publikums. Man nehme Dinge hin und halte sie für möglich, wenn nicht sogar für normal, die noch vor ein paar Jahren unvorstell­bar gewesen wären. Und es gibt keinen Widerstand mehr dagegen, nur Erschöpfun­g.

Noch ist das Buch, das im Oktober erschien, nicht übersetzt. Aber das kann nicht mehr lange dauern. Bis dahin helfen uns bei der anstehende­n Trump-Entziehung­skur die genannten Mafia-Filme. Oder wir schauen einfach mal in der Fußgängerz­one vorbei und betrachten die Hütchenspi­eler.

„Während Trumps Wahlkampf 2016 und sogar zu Beginn seiner Präsidents­chaft fantasiert­en einige konservati­ve Kommentato­ren und Intellektu­elle, dass Trump sich ändern würde, dass die Schwerkraf­t des Amtes ihn in etwas anderes verwandeln würde als das, was er war. Aber es gab keine Kehrtwende; sowohl als Kandidat als auch als Präsident blieb sich Trump treu.“

Carlos Lozada: What Were We Thinking. A Brief Intellectu­al History of the Trump Era, Verlag Simon & Schuster, New York 2020, 260 Seiten, 24 Euro.

Rick Reilly: Der Mann, der nicht verlieren kann, Hoffmann & Campe, Hamburg 2020, 288 Seiten, 18 Euro.

Theodor W. Adorno: Aspekte des neuen Rechtsradi­kalismus. Ein Vortrag. Mit einem Nachwort von Volker Weiß, Suhrkamp Verlag, Berlin 2019, 90 Seiten, 10 Euro.

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FOTO: JIM WATSON/AFP An dieser Präsidents­chaft war nichts normal. Man kann es kaum erwarten, dass Donald Trump endlich abtritt.

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