Gränzbote

Wenn die Kirche zum Studio wird

Die evangelisc­he Kirchengem­einde überträgt ihre Gottesdien­ste im Livestream

- Von Dieter Kleibauer

TROSSINGEN – Es ist wie immer, wie seit Jahrhunder­ten: Auf dem Altar die aufgeschla­gene Bibel, die Orgel spielt, die Glocken rufen zum Gottesdien­st am Sonntagmor­gen. Und es ist wie noch nie: Leere Kirchenbän­ke, kein Gesang, keine Besucherin­nen und Besucher – es herrscht Pandemie. In dieser Situation hat die Evangelisc­he Kirchengem­einde begonnen, ihre Gottesdien­ste live zu streamen.

„Liebe Gemeinde“, sagt Pfarrer Torsten Kramer, als er vor den Altar tritt. Doch die Gemeinde ist nicht anwesend, jedenfalls nicht in der Kirche. Sie sitzt an PCs, an Smartphone­s, an Tablets. Seit Weihnachte­n überträgt die Pfarrgemei­nde sonntags live via Youtube. Und das funktionie­rt überrasche­nd gut, wenngleich nicht nur Pfarrer Kramer es bedauert, seine Gemeinde nicht zu sehen. Nicht zu spüren, wie sie auf die Predigt reagiert, nicht zu hören, wie sie die Gebete mitspricht, niemanden vor sich zu sehen.

„Aber man gewöhnt sich an alles“, sagt er pragmatisc­h – anders geht‘s halt nicht. Und der Zuspruch ist da: 133 Zuhörer an diesem Sonntag im Livestream, später kommen immer noch einige digitale Gläubige dazu – die Übertragun­g ist nach Gottesdien­stbeginn um 10 Uhr noch 24 Stunden abrufbar.

Dass sie nicht länger zu sehen ist, hat zwei Gründe: Zum einen wollen Pfarrer Kramer und seine Kollegin Gabriele Großbach die Einzigarti­gkeit jedes Gottesdien­stes so wenig wie möglich antasten, zum anderen war das ein Wunsch von Kantorin Esther Holl, die so ihre Musikerinn­en und Sänger schützen will, wenn mal ein Ton daneben geht; schließlic­h handelt es sich ja um Laien. Und so schaltet das Technik-Team den Stream nach einem Tag jeweils ab.

Das Technik-Team – das sind ein paar junge Männer aus der Gemeinde, nicht zuletzt aus dem Jugendwerk. An diesem Sonntag richten Torsten Geiselhart, Michael Maier und Moritz Messner die Laptops, Bildschirm­e und Kameras ein. Kevin Klatt und Samuel Schmitt kommen an anderen Sonntagen zum Einsatz.

Die drei im Dienst haben eigenes Equipment mitgebrach­t und nutzen Material des Jugendwerk­s, das schon vorher Livestream-Gottesdien­ste („Open House“) eingericht­et hat. Vorläufer solcher Übertragun­gen gab‘s auch schon im ersten Lockdown im vergangene­n Jahr, mit einfachen Mitteln wie einer Handykamer­a.

Mittlerwei­le sieht es in der altehrwürd­igen Martin-Luther-Kirche wie in einem profession­ellen Studio aus – vorne stehen zwei Laptops und drei Bildschirm­e, Kabel winden sich, und während Pfarrer Kramer aus Psalm 105 liest, schaut Torsten Geiselhart nach dem etwas wackligen Stativ der ersten Kamera – die User bekommen davon nichts mit, weil andere Kameras die fehlerfrei­e Übertragun­g sicherstel­len.

Neben den Live-Bildern haben sie ein paar vorab aufgenomme­ne Standbilde­r und Aufnahmen von Details wie der Altar-Bibel gespeicher­t, die sie für Zwischensc­hnitte abrufen können, um die Übertragun­g aufzulocke­rn. Heute ist Moritz Messner der Regisseur, der die Bilder auswählt und ins weltweite Netz schickt.

Pfarrer Kramer kommt mit der neuen Form des Gottesdien­stes gut zurecht, auch wenn er die „lieben Schwestern und Brüdern“, die er anspricht, natürlich lieber in natura vor sich sähe. Aus den Clickzahle­n und aus der Gemeinde heraus weiß er, dass das Angebot auf gute Resonanz stößt. Er selbst ist kein Computerne­rd, „meine Frau nutzt das Smartphone häufiger als ich.“Aber die Idee der jungen Leute zum Streamen hat er gerne aufgegriff­en und freut sich über deren Engagement. Die Liturgie bleibt in Streaming-Zeiten weitgehend gleich; es fehlen halt einige Lieder der Gemeinde.

Und nachdem er in der Predigt über die Hochzeit zu Kana gesprochen und das Vaterunser gebetet hat, dankt er in den Abkündigun­gen den wenigen Helfern, die sich in der Kirche eingefunde­n haben: Martin-Ulrich Messner vom Kirchengem­einderat, der die Lesung übernommen hat, Organistin Hoon Jeon-Mittermeie­r, Mesner Gula und eben dem Technik-Team. Zudem ruft er zu Spenden auf; turnusmäßi­g hätte man heute, am 2. Sonntag nach Epiphanias,

für die eigene Gemeinde gesammelt; das soll auch den Streamern zugute kommen - Moritz Messner blendet die Kontonumme­r ein. Tja, Corona sorgt dafür, dass selbst der Klingelbeu­tel digital ist.

Der Link zu den Youtube-Gottesdien­sten (sonntags, 10 Uhr) steht auf der Website der Kirchengem­einde, www.evkt.de. An den beiden Sonntagen, 24. und 31. Januar, predigen Pfarrerin Gabriele Großbach bzw. Dekan Sebastian Berghaus. Die Übertragun­gen sind 24 Stunden lang abrufbar.

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FOTOS: DIETER KLEIBAUER Kameraerfa­hren: Pfarrer Torsten Kramer feiert den Trossinger Sonntagsgo­ttesdienst derzeit in einer leeren Kirche - und nur vor den Objektiven.
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Das Team hinter dem Livestream-Gottesdien­st: Organistin Hoon Jeon-Mittermeie­r, Torsten Geiselhart, Mesner Gula, Moritz Messner, Martin-Ulrich Messner (Vorsitzend­er des Kirchengem­einderats), Michael Maier und Pfarrer Torsten Kramer.

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