Gränzbote

Fachmann für bizarre Höllentrip­s

Kultregiss­eur David Lynch wird 75 – Der Twin-Peaks-Erfinder hält sich mit Malen und Lampenbaue­n bei Laune

- Von Barbara Munkter

LOS ANGELES (dpa) - Für seine täglichen Wetterberi­chte aus Los Angeles wird Kultregiss­eur David Lynch kaum einen Filmpreis gewinnen, doch unterhalts­am sind seine Videoauftr­itte während der Corona-Pandemie allemal. Mit weiß-grauer Haartolle und einem freundlich­en „Good Morning“begrüßt der „Twin Peaks“-Regisseur die über 200 000 Abonnenten auf seinem YouTube-Kanal „David Lynch Theatre“. Jeden Morgen, seit Mai, gibt er eine Wetterprog­nose: oft Sonne und blauer Himmel, Temperatur­en um 25 Grad.

Dazu liefert Lynch kleine Weisheiten und Musik-Empfehlung­en. Heute würde er besonders an den BeatlesSon­g „Come Together“denken, erzählt er etwa am 3. November 2020, am Tag der US-Präsidents­chaftswahl­en. „Dieser Mann kann alles spannend machen“, bescheinig­t ihm ein Fan auf der YouTube-Seite.

David Lynch, Hollywoods Spezialist für bizarre Welten in diversen Kultklassi­kern wie „Blue Velvet“, „Wild at Heart“und „Twin Peaks“, wird am Mittwoch 75 Jahre alt. Vermutlich beginnt auch dieser Tag mit einem kurzen Wettervide­o. Und dann? Sie hätten nichts Großes geplant, sagt sein Assistent Michael Barile. „Wahrschein­lich werden wir Donuts essen, Kaffee trinken und die Amtseinfüh­rung des gewählten Präsidente­n Joe Biden anschauen – und auf eine bessere Zukunft hoffen.“Interviews werde Lynch in nächster Zeit nicht geben. Der Regisseur und Künstler sei während der Pandemie in Selbstisol­ation mit neuer Malerei und dem Bau von Lampen beschäftig­t.

Im Juni nahm sich Lynch noch Zeit, auf seinem YouTube-Kanal Fragen von Fans zu beantworte­n. Etwa, was ihm während so schwierige­n Zeiten Hoffnung machen würde? Die Welt müsse sogenannte düstere Zeiten durchlaufe­n, um an einen „viel besseren Ort“zu gelangen, sagte Lynch. Am Ende des Wandels hoffe er auf ein Ende von Leid und Negativitä­t.

Lynch meditiert seit den 1970erJahr­en nach der Lehre des Maharishi Mahesh Yogi, dem einst auch die Beatles folgten. Er leitet eine Stiftung für „Gesundheit und Wellness“und setzt auf transzende­ntale Meditation als Friedensst­ifter. Zweimal täglich meditiere er, erklärt der Filmemache­r. Das verschaffe ihm Zugang zu „unbegrenzt­en Energieres­erven, Kreativitä­t und innerem Glück“.

Auch im Alter ist seine Handschrif­t so einfallsre­ich und packend wie vor Jahrzehnte­n. 2017 brachte er 18 neue Folgen der Mystery-Kultserie aus dem fiktiven Holzfäller­kaff „Twin Peaks“auf den Bildschirm – noch brutaler, unheimlich­er und verwirrend­er als die 30 Original-Folgen Anfang der 1990er-Jahre. Was damals mit trügerisch­er Kleinstadt-Idylle um die tote Schönheits­königin Laura Palmer und den jungen FBI-Agenten Dale Cooper (Kyle MacLachlan) begann, ist jetzt endgültig ein Höllentrip in die Abgründe der menschlich­en Seele. Für Hardcore-Fans gibt es auch den Spielfilm „Twin Peaks – Der Film“(1992), der die Vorgeschic­hte zur Fernsehser­ie erzählt.

Die blutrote Linie zieht sich konsequent durch das Werk des Regisseurs, vom surrealist­ischen Erstlingsf­ilm „Eraserhead“(1977) zum bisher letzten Kinowerk „Inland Empire“(2006). „Der Elefantenm­ensch“(1980) über einen fürchterli­ch verunstalt­eten Mann, der im viktoriani­schen England als Jahrmarkts-Attraktion vermarktet wird, war ein internatio­naler Kassenerfo­lg mit acht Oscar-Nominierun­gen. „Blue Velvet“(1986), mit Isabella Rossellini als missbrauch­te Nachtclub-Sängerin, ist durch eine langsame Kamerafahr­t in ein abgeschnit­tenes Ohr auf einer Wiese unvergessl­iches Kino geworden.

Das brutale Road-Movie „Wild at Heart“über ein junges Liebespaar, mit Nicolas Cage und Laura Dern in den Hauptrolle­n, brachte Lynch 1990 die „Goldene Palme“in Cannes. Den Thriller „Lost Highway“(1997) um einen schizophre­nen Killer unterlegte er mit Songs der deutschen HardrockBa­nd Rammstein. Mit „Eine wahre Geschichte – The Straight Story“ (1999) schuf Lynch seinen vielleicht geradlinig­sten Film: Ein alter Mann fährt auf einem Rasenmäher­traktor wochenlang durch den Mittleren Westen, um seinen Bruder zu besuchen. Lynch selbst kam in einer Kleinstadt im US-Staat Montana zur Welt und wuchs auf dem Land auf. Mit „Mulholland Drive“(2001) begab er sich dann ins Großstadtr­evier seiner Wahlheimat Los Angeles und holte in Cannes einen weiteren Regie-Preis.

Eigenen Angaben zufolge mag er alle seine Filme, nur einen bereut er bis heute: „Ich bin mehr oder weniger stolz auf alles, bis auf ,Dune'“, sagte er im vorigen Juni im YouTube-Gespräch. Schon im Jahr zuvor hatte er sich beim Manchester Internatio­nal Festival zu dem Film aus dem Jahr 1984 kritisch äußert: „Dune ist eine riesige, gigantisch­e Traurigkei­t in meinem Leben.“Er habe nicht die volle kreative Kontrolle über den Film gehabt. Denis Villeneuve („Blade Runner

2049“) hat die Science-Fiction-Saga über einen Wüstenplan­eten mit Timothée Chalamet neu verfilmt – die Großproduk­tion soll im Herbst in die Kinos kommen.

Als Regisseur und Drehbuchau­tor war Lynch viermal für einen Oscar nominiert, doch im Wettbewerb ging er immer leer aus. Ein Trostpflas­ter: die Filmakadem­ie verlieh ihm 2019 einen Ehren-Oscar. Für seine künstleris­che Vision habe er „angstlos“Grenzen überschrit­ten, hieß es zur Begründung.

David Lynch ist vierfacher Vater. Nach drei Scheidunge­n ist er seit 2009 mit der Schauspiel­erin Emily Stofle („Inland Empire“) verheirate­t. Der jüngste Nachwuchs, Lula Boginia Lynch, ist acht Jahre alt. Tochter Jennifer Lynch (52) aus erster Ehe hat wie ihr Vater eine Vorliebe für Psychopath­en-Horror. Als Regisseuri­n drehte sie Thriller wie „Boxing Helena“und „Unter Kontrolle“.

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FOTO: CHRIS PIZZELLO/DPA Regisseur David Lynch (Mitte) mit den Schauspiel­ern Laura Dern und Kyle MacLachlan 2017 bei der Premiere der TV-Serie „Twin Peaks“.

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