Zwei Mann in einem Boot – auf der Donau
Wie der Autor Algernon Blackwood zu seiner Schauer-Erzählung „Die Weiden“inspiriert wurde – Eine Rezension
TUTTLINGEN – Ein Klassiker der englischen Schauerliteratur ist die Erzählung „Die Weiden“von Algernon Blackwood, 1907 erschienen. Sie spielt an der Donau. Vor dem Schreiben hatte Blackwood den Fluss von der Quelle bis nach Ungarn durchpaddelt. Und kam so auch durch Tuttlingen. Ein Buch beinhaltet nun seine Reisereportage nebst der davon inspirierten Novelle.
Mit einem Freund unternimmt Blackwood im Jahr 1900 eine Kanufahrt von Donaueschingen nach Budapest. 1869 in London geboren, ist er Mitglied des englischen Großbürgertums und entsprechend wohlhabend, sich ein solches Abenteuer leisten zu können. Schriftsteller ist er noch nicht – seine literarische Karriere nimmt er erst nach der Flussfahrt auf. Seinen Reisebericht verkauft er ans renommierte Macmillan‘s Magazine.
An der badischen und schwäbischen Donau trifft er Menschen, die er fast wie Eingeborene beschreibt, mit der „charmanten Überheblichkeit britischen Humors“, wie der Literaturwissenschaftler Thomas Mahr schreibt. Mit einem kanadischen Kanu machen er und sein Freund sich in Donaueschingen auf den Weg. Übernachtet hatten sie zuvor im Gasthaus „Schützen“, das es heute noch gibt; heute ist ein bekannter Koch der Patron, damals hat der Hotelier „uns in jeder erdenklichen Hinsicht schamlos übervorteilt“, schreibt Blackwood.
Das Duo passiert Pfohren, muss sich mit großen Entengrütze-Feldern auf dem Wasser herumschlagen und verlässt langsam den Schwarzwald in Richtung Geisingen: „Hier ist die Donau noch friedlich und verträumt, eine schlafende Schöne, die nichts erahnen lässt von dem reißenden Strom, in den sie sich nach ihrem Erwachen verwandeln wird.“Hinter Gutmadingen, auf einer Insel, schlägt man das Zelt zur Übernachtung auf, am nächsten Morgen werden die Reisenden von den „Glocken Immendingens“geweckt – es ist Sonntag, und „die Bauern waren im Gottesdienst“. Der Fluss ist hier „hundertachzig Fuß breit“- mehr als 50 Meter.
Doch „kurz vor Möhringen“erwischt die Paddler die Versickerung. Blackwood weiß schon zu jener Zeit, dass der Fluss „sich durch Spalten und Ritzen im Boden davongemacht“hat, „in Gestalt der Aach wieder zum Vorschein“kommt und in den Bodensee fließt – offenbar hat er sich gründlich auf die Reise vorbereitet. „Die Hosen stets hochgekrempelt, waren wir bereit, jederzeit aus dem Kanu zu springen.“Immerhin warten „zahllose kleine Wasserfälle“auf sie, Wirbel, Strömungen in einem „hüpfenden, zischenden Gewässer“. Die Donau scheint damals ein anderer Fluss als heute gewesen zu sein. Und „nicht selten endete die Fahrt unsanft, wenn wir kopfüber aus unserem Boot herauskatapultiert wurden, gegen Felsen stießen oder vollliefen“.
Und fast aktuell wird‘s, wenn Blackwood – wir schreiben das Jahr 1900 (!) – schreibt, dass man an der
Donau zwischen Donaueschingen und Ulm „alle fünf Meilen auf ein Wehr trifft“. Pausen nimmt man gerne mit: „In Möhringen hatten wir buchstäblich den Eindruck, die Ortschaft habe mindestens hundert Jahre geschlafen und sei durch unser Kommen geweckt worden.“Im Wirtshaus „sitzen Bauern mit spitzen Hüten und in schwarzen Sonntagsanzügen“, trinken bedächtig ihr Bier. „Es wurde nur wenig gesprochen; die Bauern blickten ungesellig geradeaus, verneigten sich feierlich, als wir den Wirt ihre Krüge nachfüllen ließen, und betrachteten uns die ganze Zeit mit unwandelbarem und ausdruckslosem Interesse.“
Dann: „Tuttlingen, berühmt (wie das schmutzige Wasser verriet) für seine Färbereien, wo an die zweihundert Bauern in Sonntagskleidung aufmerksam verfolgten, wie wir zwei steile und schwierig zu überwindende Wehre meisterten.“Nendingen, „wo ein freundlicher und schweigsamer Müller uns sein kühles Met anbot“, Mühlheim, „das mit seinen rotbraunen Hausdächern, seiner Kirche und seinem Schloss in kunterbuntem Durcheinander am Hügel klebt, als wäre es von seinem Gipfel hinuntergerutscht und hängengeblieben“. Schließlich Fridingen, wo die zwei Engländer auf zwei Deutsche treffen, die in Kalifornien gelebt hatten und deren „nasale Sprachfärbung sich höchst merkwürdig von dem kehligen Dialekt ihrer Nachbarn abhob“. Immerhin lässt man sie frei zelten und übernachten.
So verlassen sie den Bereich um Tuttlingen, machen Station in Beuron und Sigmaringen, fahren schließlich gemächlich weiter nach Ulm, Passau, Linz, Wien und nach Budapest. Hier irgendwo beeindruckt die Landschaft Blackwood so, dass er sie später zum Schauplatz seiner Schauer-Erzählung „Die Weiden“macht. Sein Schriftsteller-Kollege H.P. Lovecraft, selbst einer der besten Horror-Autoren, nennt sie „möglicherweise die bedeutendste unheimliche Geschichte, die je geschrieben wurde“.
Das Buch „Die Weiden – Reisebericht und fantastische Erzählung“ist im Verlag danube books, Ulm, erschienen und kostet 16,50 Euro. Das Vorwort des DonauLiteraturexperten Thomas Mahr und ein Essay der Anthropologin Ortrun Veichtlbauer ordnen beide Texte Blackwoods kundig ein.