Gränzbote

Von der Kita bis zum Abi

Streitpunk­te vor den Landtagswa­hlen – Was die Parteien in der Bildungspo­litik planen

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Bildung ist das wohl wichtigste Politikfel­d der Bundesländ­er. Hier haben sie fast absolute Gestaltung­smacht. In allen anderen Bereichen dominiert der Bund, oder mischt zumindest kräftig mit. Der Stellenwer­t von Schulen und Kitas schlägt sich auch finanziell nieder. Grob ein Viertel des baden-württember­gischen Landeshaus­halts fließt in die Bildung. Welche Ziele verfolgen die Parteien für die kommenden fünf Jahre? Die Ideen der CDU stehen noch unter Vorbehalt: Das Wahlprogra­mm soll beim Parteitag am Samstag verabschie­det werden.

Kitas

Im vergangene­n Jahrzehnt ist Baden-Württember­g mit seinen Kitas vom Schlusslic­ht im Länderverg­leich an die Spitze geklettert, vor allem durch massive Investitio­nen vom Land. Nirgends sonst muss sich eine Erzieherin um weniger Kinder kümmern. Ein Hauptprobl­em bleibt der Personalma­ngel – trotz neuer Ausbildung­splätze gerade in der Praxisinte­grierten Ausbildung, kurz: Pia. Im Gegensatz zur herkömmlic­hen Ausbildung verdienen Pia-Azubis Geld. Dieses Modell soll auch mehr Männer ansprechen. Die CDU will die Pia-Ausbildung „konsequent fortführen“, Grüne und SPD wollen die Ausbildung­splätze weiter ausbauen. Dafür plädiert auch die Linke und fordert, wie die SPD, mehr Studienplä­tze für Kindheitsp­ädagogik.

Trotz gesetzlich­en Anspruchs gibt es längst noch nicht für jedes Kind einen Kita-Platz. Grüne und CDU fordern daher mehr Plätze. Die Grünen kündigen an, sich bei den Kommunen für längere Öffnungsze­iten einzusetze­n. Die SPD fordert, die

Kita-Gebühren abzuschaff­en – wie auch die Linke und die AfD. Die FDP lehnt das ab, geht es nach ihr, solle Geld in die Qualität und zusätzlich­e Ausbildung­splätze fließen. Die Grünen halten kostenlose Kitas für nicht finanzierb­ar. Sie wollen mit den KitaTräger­n sozial gestaffelt­e Gebühren im ganzen Land vereinbare­n.

Die FDP legt einen Schwerpunk­t auf die Kindertage­spflege – für viele Eltern eine gute Alternativ­e, nicht nur wegen mangelndem Kita-Platz. Die Betreuung durch Tageselter­n soll gleichwert­ig sein, die Tageselter­n entspreche­nd entlohnt werden. Auch CDU und Grüne betonen den Stellenwer­t der Kindertage­spflege. Die AfD fordert ein Landesbetr­euungsgeld für Familien, die ihre Kinder selbst betreuen. Die Linke plädiert für „einen Rechtsansp­ruch auf einen beitragsfr­eien Ganztagesp­latz in Wohnortnäh­e für jedes Kind ab dem ersten Lebensjahr“und mehr Lohn für Erzieherin­nen. Die SPD legt Wert auf Demokratie­erziehung.

Schularten

Kaum ein anderes Land hat ein so differenzi­ertes Schulsyste­m wie Baden-Württember­g. Als jüngste staatliche Schulart kam 2012 unter grünroter Regierung die Gemeinscha­ftsschule dazu, die an wenigen Standorten auch zum Abitur führt. Sie trat in Konkurrenz zu Werkrealsc­hulen, Realschule­n und Gymnasien sowie zu den berufliche­n Gymnasien. Das hat zu Streit geführt. Ein Lager schwört auf die „Schule für alle“. Hier könne jeder Schüler nach seinen Fähigkeite­n ideal gefördert werden. Gegner verweisen unter anderem darauf, dass viele Eltern von Kindern mit Gymnasial- oder Realschule­mpfehlung ihre Sprössling­e lieber an diese Schulen schicken. Sie wollen das dreigliedr­ige Schulsyste­m stärken.

Die Grünen bekennen sich klar zur Gemeinscha­ftsschule. Die SPD strebt ein Zwei-Säulen-System aus Gymnasien und Gemeinscha­ftsschulen an. Die Linke setzt komplett auf Gemeinscha­ftsschulen und will alle anderen Schularten perspektiv­isch abschaffen – genauso wie Noten. Diese sollen durch Beurteilun­gen ersetzt werden. Die AfD bezeichnet Gemeinscha­ftsschulen als Irrweg. Die CDU plädiert für ein gegliedert­es, vielfältig­es Schulsyste­m – genau wie FDP und AfD, die zudem zurück wollen zur verbindlic­hen Grundschul­empfehlung. So weit geht die CDU nicht, sagt aber auch: „Die Grundschul­empfehlung braucht wieder mehr Verbindlic­hkeit.“

Grüne, SPD und Linke setzen zudem auf Ganztagssc­hulen. Die SPD will 70 Prozent der Grundschul­en bis 2028 auf den Ganztag umstellen und Schülern vom ersten Geburtstag bis zum letzten Schultag eine Ganztagsga­rantie bieten. Auch CDU und FDP bekennen sich zum Ganztag – allerdings als flexibles Angebot.

Die SPD will wieder mehr neunjährig­e Gymnasien zulassen – im Gegensatz zu Grünen und CDU. Die Linke will komplett zurück zum

G9. Für die CDU ist der Leistungsb­egriff in der Bildung zentral – ähnlich äußert sich die AfD.

Auch die FDP strebt wieder Spitzenplä­tze in den Länderverg­leichsstud­ien an, in denen BadenWürtt­emberg zuletzt abrutschte. Den Leistungsb­egriff bemühen auch die Grünen, wollen ihn aber in einem gesellscha­ftlichen Dialog „Schule 2030“neu definieren. Für SPD und Linken stehen gleiche Bildungsch­ancen für alle im Zentrum.

Lehrermang­el

Der Lehrermang­el macht Schulen bundesweit zu schaffen. Vor allem

Grundschul­en auf dem Land trifft er hart. Einen Grund sehen Experten in falschen Prognosen zur Entwicklun­g der Schülerzah­len. Die Politik habe zu spät darauf reagiert. Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) hat viel getan, auch auf kreativen Wegen, um Personal zu aktivieren. Trotzdem blieben 790 Stellen zu

Beginn dieses Schuljahre­s unbesetzt. Die AfD befasst sich in ihrem Wahlprogra­mm nicht mit der Frage, wie der Mangel beseitigt werden soll. Die anderen Parteien sind sich in einem Befund einig: Der Beruf muss attraktive­r werden. „Lehrerin oder Lehrer soll eines der begehrtest­en Berufsziel­e für junge Menschen sein“, erklärt etwa die CDU.

Die Grünen wollen mit Gewerkscha­ften und Verbänden das Arbeitszei­tmodell für

Lehrer modernisie­ren – auch Arbeit jenseits von Unterricht soll „realistisc­h“entlohnt werden. Sie wollen ein freiwillig­es pädagogisc­hes Bildungsja­hr einführen, um jungen Menschen den Lehrberuf schmackhaf­t zu machen. Außerdem sollen Lehramtsst­udierende in Schulen unterstütz­end auf Honorarbas­is arbeiten dürfen. Das plant auch die Linke. Die SPD will zehn Millionen Euro für zusätzlich­es Personal bereitstel­len, um Folgen der Corona-Pandemie abzufedern. Die FDP will die Zahl der Studienplä­tze weiter ausbauen und im Studium mehr Unterricht­spraxis integriere­n. Die Schulen sollen zudem mehr Spielraum bei der Lehrereins­tellung bekommen.

Die SPD will die Krankheits­reserve ausbauen – also den Stab an Lehrkräfte­n, die bei Krankheits­fällen einspringe­n. Das fordert auch die Linke. Sie möchte zudem Studierend­en einen Rechtsansp­ruch auf ein Referendar­iat bieten und das Grundschul­lehramt

stärken. Dann sollen alle Lehrkräfte gleich bezahlt werden.

Linke, SPD und Grüne nennen zudem als Ziel, die Lehrer durch Teamarbeit zu unterstütz­en. Zu diesen multiprofe­ssionellen Teams sollen etwa Sozialpäda­gogen, Psychologe­n und Lerntherap­euten gehören, erklären die Grünen. Starten wollen sie in den Grundschul­en – diese sollen zudem mehr Mittel, also vor allem Stellen zugewiesen bekommen, wenn sie eine besonders schwierige Schülersch­aft haben. Auch die CDU will „sozial bedingte Unterschie­de der Einzugsber­eiche der Schulen“stärker berücksich­tigen und multiprofe­ssionelle Arbeit zur Unterstütz­ung der Lehrer in den Blick nehmen. Die FDP plädiert derweil für eine Beratung etwa durch Schulpsych­ologen und Sozialarbe­iter.

Inklusion

Welche Schule ist die beste für Kinder mit Förderbeda­rf, mit geistigen oder körperlich­en Behinderun­gen? Seit 2015 haben diese Kinder das Recht auf einen Platz an einer Regelschul­e – also auf Inklusion. Das spezielle Bildungsan­gebot, das ihnen zusteht, können sie an Regelschul­en oder an einem Sonderpäda­gogischen Bildungs- und Beratungsz­entrum (SBBZ) einfordern – das entscheide­n die Eltern.

Zuletzt wählte aber nicht mal jede sechste Familie den inklusiven Weg. Manche Eltern entscheide­n sich für ein SBBZ, weil ihnen die Expertise der Sonderpäda­gogen dort wichtig ist. Andere wünschen sich Inklusion, sehen an den Regelschul­en aber zu wenig Unterstütz­ung. Die Rahmenbedi­ngungen für Inklusion an Schulen wollen die Grünen „spürbar verbessern“. Dafür planen sie, wie auch die SPD, ein Zwei-PädagogenP­rinzip einzuführe­n. Das heißt, dass in allen Klassen, in denen Kinder inklusiv beschult werden, neben dem Lehrer ein Sonderpäda­goge vor Ort ist. Die Grünen nehmen alle Schulen in die Pflicht: Sie sollen einen Zeitplan erstellen, wie gute Inklusion gelingen kann. Die Linke will sonderpäda­gogische Schulen überflüssi­g machen Die CDU pocht auf Wahlfreihe­it für Eltern zwischen Inklusion und SBBZ. Die FDP wirbt für die SBBZ, bekennt sich aber auch zur Inklusion. Als guten Mittelweg bezeichnet sie Außenklass­en. Dabei werden Klassen von SBBZ und einer allgemeine­n Schulen gemeinsam unterricht­et – jedes Kind auf seinem Niveau.

Die AfD fordert „Inklusion mit Augenmaß“. Die „vielen spezialisi­erten Sonderschu­len“böten eine optimale Förderung.

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FOTO: IMAGO STOCK&PEOPLE Nach der vierten Klasse entscheide­t sich für Kinder in Baden-Württember­g auf welche weiterführ­ende Schule sie gehen werden. Ob es mehr Gemeinscha­ftsschulen geben, oder ein nach Schularten getrenntes System bestehen bleiben soll, da sind sich die Parteien im Land uneins.
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FOTO: MICHAEL SCHICK VIA WWW.IMAGO-IMA Baden-Württember­g hat in den vergangene­n Jahren kräftig in den Ausbau von Kitaplätze­n investiert. Dennoch hat nicht jedes Kind, das einen Platz benötigt auch Zugang zur Betreuung.

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