Ehre dem Widerstand
In Thiergarten werden die Gegner des Nazi-Regimes gewürdigt
TUTTLINGEN – Häufig werden Stadtviertel oder kleinere Quartiere mit ähnlichen Straßennamen versehen. Dann wohnt man im Märchenviertel, im Malerquartier oder unter den Komponisten. Im neuen Baugebiet Thiergarten kommt Geschichte von unten zum Zuge: Dort sind die Straßen nach Mitgliedern des Widerstands im Dritten Reich benannt.
Die Geschwister Scholl kennt wohl jeder. Sophie und Hans Scholl bildeten die Gruppe Weiße Rose, die in München wirkte. Sie streuten Flugblätter gegen den Krieg und mussten ihr Engagement mit dem Leben bezahlen: 1943 wurden die beiden Geschwister sowie weitere Mitglieder ihrer Gruppe von den Nazis hingerichtet.
Georg Elser war ein einfacher Mann aus dem Volk, geboren im schwäbischen Königsbronn. 1939 verübte er im Münchner Bürgerbräu-Keller ein Attentat auf Adolf Hitler, das nur scheiterte, weil der „Führer“und die gesamte NSDAPParteispitze das Gasthaus etwas früher verließen als geplant. Elser wurde verhaftet und kurz vor Kriegsende in Dachau ermordet. Viele Jahre wurde er in der Bundesrepublik verfemt, ehe er die ihm gebührende Anerkennung erhielt.
Bischof Johannes Baptista Sproll war als Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart erklärter Gegner des Dritten Reichs. Den christlichen Glauben und den Nationalsozialismus hielt er für unvereinbar. Vor allem setzte er sich gegen die Euthanasie, die „Tötung unwerten Lebens“, ein, nahm aber auch öffentlich Stellung gegen die Judenverfolgung.
Dietrich Bonhoeffer war evangelischer Theologe und schon früher Gegner der Nazidiktatur – anders als breite Strömungen seiner Kirche. Später ging er in den aktiven Widerstand, wurde 1943 verhaftet und nach dem fehlgeschlagenen Attentat Stauffenbergs, zu dessen Gruppe er ebenfalls Kontakte hatte, im Frühjahr 1945 im KZ Flossenbürg hingerichtet.
Wilhelm Leuschner steht für den Widerstand aus der SPD und aus den Gewerkschaften. Auch er wurde nach dem Stauffenberg-Attentat getötet. Leuschner war in den 20er-Jahren ein überzeugter Demokrat, hessischer Innenminister und später Mitglied im Vorstand des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes. Die höchste Auszeichnung des Bundeslandes Hessen trägt seinen Namen.
Der gebürtige Calwer Fritz Fleck war 1946 einige Monate lang Bürgermeister von Tuttlingen und danach stellvertretender Landtagsvorsitzender für Württemberg-Hohenzollern. In der Nazizeit war der Gewerkschaftssekretär und SPD-Gemeinderat schon im Frühjahr 1933 von den Nazis verhaftet worden, saß im KZ Heuberg und überlebte die Jahre bis 1945 nur knapp. Seine politisch-gewerkschaftliche Arbeit setzte er in den 50er-Jahren fort.
Clemens August Kardinal Graf von Galen war ab 1933 und bis 1946 Bischof von Münster. Unter ständiger Bedrohung der Machthaber setzte er sich vor allem gegen die „Vernichtung unwerten Lebens“ein. Wegen seiner Predigten nannte man ihn den „Löwen von Münster“. Er starb 1946, kurz nachdem er zum Kardinal ernannt worden war. 2005 wurde er seliggesprochen.
Noch ein Blick in die Zukunft: Für eine Erweiterung des Baugebiets stehen schon vier weitere Straßennamen fest. Der Gemeinderat hat einen Antrag der SPD gebilligt, demzufolge Straßen nach den „Vier Müttern des Grundgesetzes“benannt werden sollen. Das waren Elisabeth Selbert und Friederike Nadig (beide SPD), Helene Wessel (Zentrumspartei) und Helene Keller (CDU). Sie gehörtem dem 65-köpfigen Parlamentarischen Rat an, der 1949 das Grundgesetz entworfen hat. Die beiden SPDMitglieder setzten vor allem den 2. Absatz in Artikel 3 durch: „Frauen und Männer sind gleichberechtigt.“