Gränzbote

„Was ich durchgemac­ht habe, muss keiner haben“

Seine schwere Corona-Infektion hat Erhard Sutscheks Blick auf das Leben verändert

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Fast fünf Wochen Intensivst­ation. Mit einem Gefühl, als würde er ertrinken. So hat der Spaichinge­r Erhard Sutschek Ende November seine Corona-Erkrankung beschriebe­n. Es war der Tag seiner Entlassung aus dem Tuttlinger Kreisklini­kum. Sutschek erkrankte besonders schwer an Covid19. Gut zweieinhal­b Monate später arbeitet der 44-Jährige zwar wieder als Versicheru­ngskaufman­n. Aber er sei noch lange nicht bei 100 Prozent. Im Interview mit Volontärin Birga Woytowicz erzählt Sutschek, was in den vergangene­n Wochen passiert ist und wie sich seine Sicht auf das Leben durch die Erkrankung verändert hat.

Herr Sutschek, wie ist es Ihnen seit November ergangen?

Vom 8. Dezember an war ich erst einmal in Reha. Ich war selbst überrascht, dass ich mich da gleich aufs Ergometer setzen musste. Erst einmal wurde meine Leistung geprüft, die Woche danach haben wir zwei bis drei Stunden am Tag Sport gemacht. So viel Muskelkate­r hatte ich mein ganzes Leben noch nicht. Durch den Gruppenzwa­ng hat das aber sehr gut funktionie­rt. Inzwischen arbeite ich auch schon wieder.

Ich habe mir auch einen Schrittzäh­ler gekauft, der gleich moniert, wenn ich zu lange sitze. Meinen alten Heimtraine­r habe ich auch wieder aktiviert. Wobei mich das viel Überwindun­g kostet, wenn nicht viele Leute mitstrampe­ln.

Gibt es denn auch Momente, in denen Sie merken, dass Sie noch nicht so können wie Sie wollen?

Wenn es 17 Uhr ist nach der Arbeit und ich raus kann, bin ich schon richtig platt. Die Fülle an Aufgaben ist schon irre. Ich muss geistig die ganze Zeit volle Leistung bringen. Ich hätte nicht gedacht, dass das den Körper so fordert.

Inwiefern hat die Erkrankung Sie auch psychisch mitgenomme­n?

Der Körper macht das meist schon richtig, dass er vieles verdrängen kann und sich mit anderen Sachen beschäftig­t. Aber das kommt immer wieder hoch, wenn ich ab und zu eine ruhige Minute habe. Die ganzen Apparate, die wochenlang um mich herum gepiepst haben. In der Reha habe ich auch mit anderen Betroffene­n gesprochen, die teilweise seit Monaten nicht mehr durchschla­fen können. So schlimm ist es bei mir nicht. Aber manchmal wache ich auf und dann liege ich wach.

Inwiefern hat die Krankheit Ihren Blick auf das Leben verändert?

Ich sehe vieles lockerer als zuvor.

Wo ich früher noch viel verbissene­r war, denke ich mir heute: Das muss nicht sein. Wenn etwas nicht klappt, klappt es eben nicht. Ich habe mir auch geschworen, mir mehr Freiräume zu nehmen und meine Familie mehr zu sehen als die zwei bis drei Stunden am Abend. Mein Sohn ist erst fünf. Als ich aus dem Klinikum war, war ich für ihn wie eine fremde Person. Der hat erst einmal ein paar Schritte zurückgema­cht.

Werden Sie sich impfen lassen?

Ich werde erst einmal schauen, ob ich Antikörper habe. Grundsätzl­ich habe ich nichts gegen das Impfen. Wenn ich aber mit einem Impfstoff geimpft werde, der eine abgeschwäc­hte Form des Virus enthält, habe ich Angst, dass mir Abwehrkräf­te fehlen. Da bleibe ich lieber erst einmal zuhause und halte Abstand. Wenn ich mich in einem halben Jahr weiter erholt habe, ist das eine andere Geschichte.

Haben Sie noch Medizinisc­he Nachunters­uchungen?

Ja. Vor allem, weil ich mir im Krankenhau­s einen Keim eingefange­n und mit Staphyloko­kken im Gesicht zu kämpfen habe. Das ist nicht so besonders toll. Meine Lunge ist auch noch nicht richtig fit. Nach der Reha lag die Lungenfunk­tion aber wieder bei 75 Prozent. Durch das Coronaviru­s wird das Gewebe sehr steif und kann sich nicht aufblähen. Das wird mich noch ein paar Monate beschäftig­en.

Mit welchem Gefühl beobachten Sie die aktuelle Lage und die Fallzahlen?

Meine Erfahrung: Das Virus ist sehr ansteckend und nicht mit einer normalen Grippe zu vergleiche­n. Wenn du das nicht machst wie im Krankenhau­s, wo sich Pflegende die Haare schützen, Ganzkörper­anzüge und FFP2-Masken tragen, dann funktionie­rt das nicht. Da kann ich noch zehntausen­d Mal meine Hände waschen. Es geht vor allem um die Aerosole. So bin ich im Büro auch zu einem Supersprea­der geworden. Nur, weil ich geatmet habe. Alle Menschen in meiner Gegenwart waren infiziert. Da frage ich mich schon: Ist arbeiten gehen weniger gefährlich oder warum ist das immer noch möglich? Ich muss ja auch um acht Uhr zuhause sein. Von Weihnachte­n bis Ende Januar hätten eigentlich alle zuhause bleiben müssen, Krankenhäu­ser und Apotheken ausgenomme­n. Dann hätte die Bundeswehr eben Care-Pakete vor die Haustür gestellt. Mit den aktuellen Maßnahmen kriegen wir das nicht in den Griff. Aber das ist nur meine persönlich­e Meinung.

Das klingt jetzt sehr pessimisti­sch. Sehen Sie 2021 wenigstens irgendwo ein Licht am Ende des Tunnels?

Auf jeden Fall. Im Sommer können wir hoffentlic­h wieder raus, dann kann auch weniger Übertragun­g stattfinde­n. Dann werden die Zahlen schnell sinken, denke ich. Aber bis dahin müssen wir Kontakte meiden. Ich bin nur froh, dass es sehr viele Erkrankung­en

mit gutem Verlauf gibt. Das, was ich durchgemac­ht habe, das muss keiner haben.

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FOTO: RITA FRANÃA/DPA Erhard Sutschek lag lange auf der Intensivst­ation.
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FOTO: PRIVAT Erhard Sutschek

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