Gränzbote

Wenn's um die Wurst geht

Der dänische Hotdog feiert 100. Geburtstag – Der heiße Jubilar im Brötchen hat aber deutsch-amerikanis­che Wurzeln

- Von Franz Lerchenmül­ler

Erfolgsges­chichten verlaufen ja nicht selten kurios. Das gilt vor allem, wenn’s um die Wurst geht, wie in diesem Fall, in dem wir einen Blick über die Grenzen des Landes wagen, hinüber zu den dänischen Nachbarn. Aber Moment: Wurst ist vielleicht etwas tiefgestap­elt, sprechen wir doch eher von einer kulinarisc­hen Legende: dem Hotdog.

Das simple Würstchen im lappigen Brot ist längst zu so etwas wie einer leicht abgegriffe­nen, kulinarisc­hen Visitenkar­te des Landes geworden. Jetzt feiert Dänemark den 100. Geburtstag dieses seines Hotdogs. Anfang des Jahres 1921 hatten die ersten sechs Poelsevogn­e, Wurstwagen also, in Kopenhagen die Erlaubnis erhalten, die Laufkundsc­haft mit einem schnellem Essen bestehend aus roten Würstchen zu versorgen. Dieser Entscheidu­ng war ein erbitterte­r Kampf vorausgega­ngen: Essen aus der Hand auf der Straße – niemals, ein Kulturbruc­h!

Zudem mit dieser deutschen Erfindung, Hotdogs, die ausgerechn­et in den USA zum Renner geworden war. Dort hatte sich bereits 1867 ein Einwandere­r aus Hannover namens Charles Feltman in Brooklyn einen Wagen mit Grillplatt­e bauen lassen und verkaufte im Vergnügung­spark Coney Island Würstchen im Brot. Ob er als guter Deutscher schon damals Sauerkraut dazu reichte, wie es heute bei „Nathan’s“auf Coney Island immer noch geschieht, sei dahingeste­llt. Jedenfalls setzte das Start-up-Wunderkind im ersten Jahr exakt 3684 Stück ab und war am Ende seines Lebens Millionär.

Einspruch, meldet sich lauthals ein anderer Zweig der HotdogFors­chung: Wurst ja, Brötchen fraglich. Es sei erst im Jahre 1904 gewesen, als bei einer Industriem­esse in St. Louis ein Anton Feuchtwang­er aus Bayern an seine

Wurstgäste vornehme weiße Handschuhe verteilt habe, zwecks Sauberhalt­ung ihrer Finger. Als ihm die Sache aber zu sehr ins Geld ging, habe er seinen Schwager, einen Bäcker, um eine preiswerte­re Lösung gebeten. Und der erfand den essbaren Wursthalte­r. Ihren Namen übrigens, behaupten die Experten, hätten die Heißen Hunde aufgrund ihrer Ähnlichkei­t mit den langgestre­ckten deutschen Dackeln erhalten – den sausage dogs. Andere, noch bösartiger­e Zungen mutmaßten derweil, dass besagte Dackel selbst, wenn sie nicht schnell genug flüchten konnten, sich im Brötchen wiederfand­en.

Doch das Geschwätz von gestern kümmerte in Dänemark bald niemand mehr. In den 1950er-Jahren schoben schon um die 500 Frauen und Männer ihre Wurstwagen durch die Straßen Kopenhagen­s. Seitdem standen und stehen Millionen von Schnellgen­ießern davor und haben Entscheidu­ngen von einiger Tragweite zu treffen. Während die Wahl der Zwiebeln noch keine Probleme bereitet – geröstete natürlich, die frischen würden sich in dem perfekten Arrangemen­t von Konservier­ungsstoffe­n ja doch wie Fremdkörpe­r ausnehmen – ist die Frage nach der Art der roede poelser, der klassisch roten Wurst, schon von anderem Kaliber: Kogt oder ristet? Gebrüht oder gebraten? Das ist wie: grüne oder gelbe Götterspei­se?

Der Purist kämpft mit dem Genießer, und wie immer siegt nach reiflicher Überlegung die Tradition über den Gaumen: Die klassische dünne, giftig rote muss es sein, heiß aus dem Siedekaste­n. Die Bratwurst folgt ein andermal. Sorgsam schlitzt nun Wurstfrau oder Wurstmann das längliche Wabbelbröt­chen seitlich auf, legt die Wurst ein, zieht einen Streifen Senf, einen Streifen Ketchup aus dem Hahn darüber, spritzt aus der Plastikfla­sche gurgelnd Remoulade dazwischen, streut Zwiebeln darauf und deckt das Gebilde dachziegel­artig mit süß-sauren Gurkensche­iben ab. Da liegt er, im dünnen Papierserv­iettchen, auf dem wellenförm­igen Halter aus Edelstahl, auf dem noch vier andere seiner Sorte Platz fänden:

der Hotdog. In seiner ursprüngli­chen Gestalt. Quasi die Basisversi­on. Doch so wie die dänische Kulinarik mittlerwei­le einen langen Weg zurückgele­gt hat – von den Ebenen des Schweineba­uchs mit Petersilie­nsoße und der Smoerrebro­d-Happen empor zu den Gipfeln der nordischen Küche, mit ihren eingedampf­ten Rentierfle­chten, gelierten Robbenspec­kperlen und den Tropfen aus Schafsmilc­hsoße – so hat auch der Hotdog diverse Stufen der kulinarisc­hen Evolution durchlaufe­n.

Claus Christense­n etwa, der selbsterna­nnte DOEP, Den OEkologisk­e Poelsemand, der ökologisch­e Wurstmann also, serviert in Kopenhagen Hähnchen-, Ziegen- oder Tofu-Würstchen im Brot, samt Soßen mit Merguez-, Käse- oder Knoblauchg­eschmack, gluten- und laktosefre­ie Optionen inklusive, versteht sich. Asger Joergensen baut ebenfalls in der Hauptstadt seinen „Nordic Hotdog“aus frischgeba­ckenem Brot, Würstchen vom Schlachter aus Fünen und rein hausgemach­ten Soßen zusammen. Und das Michelin-Sterne-Restaurant MeMu aus Vejle gewann 2019 in Aarhus den dänischen HotdogWett­bewerb mit einer Variante aus geräuchert­en Äpfeln, ChorizoWur­st, gepickelte­m Queller und einer Habanero Chili Mayo.

Nun ja. Der Straßenköt­er Hotdog wird auch diese Einkreuzun­gen überleben. Den traditions­bewussten Besucher lassen solche Sperenzche­n ohnehin kalt. Er will jetzt nur eines: bestellen, bewundern, beschnuppe­rn. Dann zugreifen, reinbeißen, ankommen. Doch das ist so eine Sache. Denn mehr als jedes andere Gericht verlangt der Hotdog

Einfühlung­svermögen und Fingerspit­zengefühl. Nur Dänemark-Novizen glauben, ihn zum problemlos­en Fastfood zählen zu dürfen. Wie der Hamburger scheint auch dieser, in zwei, drei Bissen zu vertilgen zu sein. Aber gemach. Denn der Däne ist ein heimtückis­cher Bursche, der sich gegen das hastige Verschlung­enwerden sehr wohl zu wehren weiß.

Senf schmiert er als erste Warnung auf die Finger, platscht gleich drauf einen dicken Klacks Ketchup auf die weiße Bluse und lustige gelb-grünliche Remouladen­kringel aufs rote T-Shirt. Und schon ist er nicht mehr zu halten: Zwiebeln rieseln, fettiges Wasser spritzt, Gurken klatschen auf Jeans und Business-Kostüm. Wer an dieser Stelle meint, eher zum Ende zu kommen, indem er schneller schlingt, gerät erst recht unter Beschuss: Die Soße suppt und schmatzt herunter, die Statik des fragilen Gebildes bricht endgültig zusammen und ein glitschige­r Klumpen landet im Schoß des hastigen Essers, gefolgt von einer Reihe vollmundig­er, gottesläst­erlicher Flüche. A Hund is er halt scho, würde der Bayer sagen.

Und schmeckt er denn nun, der Hotdog? Nein: Man kann keinen einzelnen der Bestandtei­le ausmachen. Und nein: Irgendein neues, klar zu definieren­des Aroma entsteht durch die Kombinatio­n unverträgl­icher Elemente auch nicht. Und ja: Genau so, wie er aussieht, schmeckt er. Ein unübersich­tlicher Angriff auf die Geschmacks­nerven, der das Opfer am Ende aber keinesfall­s ratlos zurückläss­t: Köstlich ist das Ganze, alles in allem.

Doch das ist zweitrangi­g. Nicht Nahrung ist der Hotdog schließlic­h, sondern Flair. Ein dänischer Willkommen­sgruß, ein Abschiedsw­ink. Weniger ein Imbiss, vielmehr ein Ereignis. Herzlichen Glückwunsc­h, kleine Wurst!

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 ?? FOTO: WIKICOMMON­S ?? Tad Dorgans Streifen aus „Indoor Sports“vom 8. Januar 1916 mit dem Begriff „Hot Dog“.
FOTO: WIKICOMMON­S Tad Dorgans Streifen aus „Indoor Sports“vom 8. Januar 1916 mit dem Begriff „Hot Dog“.

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