Ausfall von Fasnet und Karneval kostet Milliarden
Viele Veranstaltungen der Fasnet müssen in diesem Jahr ausfallen – doch in der Krise werden die Narren im Südwesten kreativ
BERLIN/RAVENSBURG (AFP/sz) Der Ausfall von Fasnet und Karneval wegen des Corona-Lockdowns zieht wirtschaftliche Schäden in Höhe von mindestens 1,5 Milliarden Euro nach sich. Das geht aus einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hervor. Demnach entgehen der Gastronomie Einnahmen in Höhe von rund 660 Millionen Euro, dem Hotelgewerbe fehlen Umsätze über rund 160 Millionen Euro, dem Transportsektor 240 Millionen Euro. Stark getroffen ist auch der Einzelhandel. Durch den Ausfall der närrischen Tage machten die Händler rund 330 Millionen Euro weniger Umsatz, wobei die Verluste beim Kostümverkauf den Großteil ausmachen. Die Narren begegnen den Absagen jedoch mit kreativen Aktionen.
RAVENSBURG - Lässt man den Blick durch die Straßen der Bad Waldseer Altstadt schweifen, scheint es fast, als sei die fünfte Jahreszeit wie gewohnt in vollem Gange. Kunstvoll geschnitzte Holzmasken glotzen aus den Schaufenstern, geschmückte Narrenbäume stehen vor Geschäften, und bunte Fähnchen wehen im Wind. Das alles versprüht Fasnetsatmosphäre – täuscht aber nicht darüber hinweg, dass etwas fehlt: die Menschen. Denn wie überall im Südwesten hat die Corona-Pandemie auch in der Fasnetshochburg Bad Waldsee tiefe Spuren hinterlassen: Der Terminkalender ist ausgedünnt, sämtliche Veranstaltungen wurden abgesagt.
Umso wichtiger ist es, dass man die Fasnet in der Stadt trotzdem sehen kann, sagt Sven Hillebrecht von der Narrenzunft Waldsee. „Unser Motto in diesem Jahr lautet ,Fasnet im Herzen‘, und das wird durch sichtbare Dinge wie Fahnen oder andere Dekorationen natürlich unterstützt“, sagt er.
Roland Wehrle, Präsident der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte (VSAN), sieht das ähnlich: „Wir müssen gerade in diesem Jahr deutlich aufzeigen, was für ein besonderes Fest die Fasnet ist.“Die VSAN vertritt ungefähr 70 000 Narren in 75 Zünften im deutschen Südwesten und der deutschsprachigen Schweiz. Wie trotz Corona Fasnetsstimmung verbreitet werden soll, dazu hat VSAN-Präsident Wehrle schon aus vielen Narrennestern Ideen mitbekommen – vom Musizieren aus dem Fenster bis hin zu Christbäumen, die zu Narrenbäumen umdekoriert wurden.
Ganz zentral für die Zünfte sind die Möglichkeiten des Digitalen: „Da werden spezielle Fasnetssongs geschrieben und verbreitet, Filmchen gedreht oder närrische Grüße über die sozialen Medien versandt“, so Wehrle. „Heute kann ja jeder mit dem Handy filmen, und wenn man das geschickt macht, kann man damit schon viel erreichen.“
Auch die Narren in Bad Waldsee nutzen das Internet für ihre Fasnet in diesem Jahr besonders intensiv. Sie öffnen seit dem Dreikönigstag im Netz ihre Narrentruhe. In einem täglich neu erscheinenden Video präsentiert die Zunft Hintergründe zu den hiesigen Bräuchen, lustige Anekdoten und Bilder aus früheren Zeiten. „Das kommt super bei den Leuten an“, sagt Sven Hillebrecht, „viele haben uns gesagt, dass sie die Videos jeden Tag mit ihren Kindern anschauen und das ein Highlight ihres Tages sei.“Einen richtigen Ersatz bilde das Ganze freilich nicht, doch es gehe darum, die Bräuche der Narren auch im Corona-Jahr zu pflegen.
Den Ansatz, die närrischen Traditionen per Internet zu vermitteln, verfolgen viele Zünfte im Südwesten. In Weingarten etwa zelebrierte die Plätzlerzunft das Maskenabstauben digital als Video. Auch in Aulendorf setzen die Narren auf Bewegtbild: Eigentlich hätte dort in diesem Jahr das große Landschaftstreffen stattfinden sollen – 25 000 Zuschauer und Teilnehmer hatten die Narren erwartet. Stattdessen organisierte die Zunft eine „Stubenfasnet“als interaktive Onlineveranstaltung, bei der Zuschauer von zu Hause aus dabei sein und währenddessen über einen Chat kommunizieren konnten. Die Karnevalgesellschaft-Narrenzunft Ochsenhausen produziert derweil regelmäßig Videos im Stile einer Fernsehsendung – mit dem Zunftpräsidenten als Moderator.
Beispiele wie diese hat in dieser Fasnetssaison nahezu jeder Narrenverein zu bieten. Werner Mezger, der sich als Kulturwissenschaftler schon seit vielen Jahrzehnten mit der Fasnet beschäftigt, ist begeistert von der Kreativität der Zünfte: „In der jetzigen Situation engagieren sich erfreulicherweise viele junge Leute. Sie überlegen sich Formate, wie man die Fastnacht digital gestalten kann – und kommen dabei auf witzige und originelle Ideen“, sagt er. Dabei werde letztlich viel mehr kreatives Potenzial freigesetzt als in anderen Jahren. „Die Nachwuchsgeneration
erhält hier eine ganz neue Spielwiese“, sagt Mezger.
Die eigentliche Spielwiese der Narren – die Straßen der Städte – bleibt an den Hochtagen der Fasnet in diesem Jahr aber leer. Wenn die Zunftmitglieder am Gumpigen Donnerstag und den anderen wichtigen Tagen das Haus verlassen, tragen sie laut Sven Hillebrecht durchaus ihr Häs. Auch das solle zur Sichtbarkeit der närrischen Tradition beitragen. Allerdings seien die Narren, wenn überhaupt, nur einzeln unterwegs – eine Gruppenbildung solle in jedem Fall vermieden werden.
Das sieht auch VSAN-Präsident Roland Wehrle so: „Man kann ja zum Beispiel an den Fastnachtstagen im Häs einkaufen gehen. Oder als Einzelperson und mit negativem Corona-Test, wo es möglich ist, alten und kranken Menschen einen kurzen Besuch abstatten und ihnen so eine Freude machen.“Von Menschenansammlungen auf den Straßen rät aber auch Wehrle entschieden ab.
Ruhiger wird es dadurch in diesem Jahr auch für die Polizei. Die hat an der Fasnet sonst alle Hände voll zu tun, was allerdings selten mit den Narrenvereinen zusammenhängt, sondern eher mit anderen Gruppen, die sich auf den Veranstaltungen danebenbenehmen: Jugendliche, die unerlaubt Alkohol trinken, Prügeleien und weitere Straftaten halten die Polizisten auf dem Höhepunkt der Fasnet üblicherweise auf Trab.
Das dürfte in diesem Jahr deutlich seltener vorkommen – besonders wachsam ist die Polizei an den närrischen Tagen dennoch. „Die regionalen Polizeipräsidien gewährleisten eine sichtbare Polizeipräsenz im öffentlichen Raum“, erklärt ein Sprecher des badenwürttembergischen Innenministeriums auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Dabei habe man auch möglicherweise stattfindende Veranstaltungen im Zusammenhang mit der Fasnetssaison im Blick.
Das Ulmer Polizeipräsidium, das für die Stadt Ulm sowie die Landkreise Alb-Donau, Biberach, Göppingen und Heidenheim zuständig ist, stellt auf Anfrage klar, dass es an der Fasnet keine Ausnahme von den gültigen Ausgangsbeschränkungen gebe: „Wer die Regeln missachtet, muss mit einer Anzeige und einem Bußgeld rechnen“, so ein Sprecher. Laut dem Konstanzer Präsidium setzen sich die Beamten mit den Verantwortlichen der Zünfte und Vereine in Verbindung, um auch diese nochmals besonders auf den Infektionsschutz hinzuweisen. Und auch das Polizeipräsidium Ravensburg wird „in den nächsten Wochen ein Auge auf entsprechende Örtlichkeiten haben“– glaubt aber an die Vernunft der allermeisten Narren: „Wir gehen davon aus, dass echte Vollblutnärrinnen und -narren sich ihrer Vorbildfunktion auch weiterhin bewusst sind“, erklärt ein Sprecher.
Doch was bedeuten die Ausfälle und das fehlende Zusammensein für das Vereinsleben der Zünfte? Schließlich fallen nicht nur die großen, öffentlichen Veranstaltungen aus – auch Sitzungen und andere Zusammenkünfte der Narren sind schon seit Monaten kaum möglich. „Ich befürchte, dass das langfristig negative Folgen haben könnte. Der ein oder andere wird gemerkt haben, dass er mit seiner freien Zeit doch lieber etwas anderes anfangen will“, sagt Roland Wehrle. Es sei deshalb wichtig, sobald es die Lage zulasse, schnellstmöglich Normalität in das Vereinsleben zurückzubringen.
Fasnetsforscher Werner Mezger ist da optimistischer. Ein einmaliger Ausfall der Veranstaltungen werde seiner Einschätzung nach weder für einen nennenswerten Mitgliederschwund sorgen noch der Fasnet nachhaltig schaden. Schließlich hätten die Bräuche und Traditionen schon ganz andere Durststrecken überstanden: „Die Fastnacht hat in Kriegszeiten wiederholt mehrjährige Ausfälle erlebt. Während der beiden Weltkriege zum Beispiel gab es natürlich keine Fastnacht, denn das waren Katastrophen, wie man sie bis dahin noch nie erlebt hatte“, sagt Mezger. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs habe die Fastnacht noch jahrelang, bis 1924, geruht. „Da gab es also zehnjährige Kinder, die noch nie eine Fastnacht erlebt hatten.“
Von derartigen Zuständen sei man weit entfernt, sagt der Fasnetsexperte. Mehr noch – er glaube daran, dass das Corona-Jahr für die närrischen Traditionen und Bräuche auch Chancen biete: „Was wir 2021 erleben, ist eine Art Moratorium: Wir halten inne und denken bewusster über den Wert der Fastnacht nach.“Schließlich lerne man etwas Liebgewonnenes erst dann zu schätzen, wenn man es mal nicht mehr habe. „Wir werden deshalb viel dankbarer sein, wenn die Fastnacht 2022 hoffentlich wieder gewohnt vonstattengeht. Die Wertschätzung der Fastnacht wird im nächsten Jahr besonders ausgeprägt sein“, sagt Mezger.
Sven Hillebrecht glaubt ebenfalls nicht daran, dass das von Ausfällen geprägte Corona-Jahr seiner Narrenzunft langfristig schaden wird: „Wir sind ja keine Zunft, die es erst seit ein paar Jahren gibt. Wir haben eine hundertjährige Tradition, die fest in Bad Waldsee verwurzelt ist“, sagt er. Die Narren seien auch ohne Menschenmassen präsent in der Stadt. Das werde positiv wahrgenommen – auch in diesem Jahr, in dem so vieles anders ist.
Für Hillebrecht Grund genug, sich trotz allem auf die närrischen Tage zu freuen: „Am Gumpigen habe ich mir frei genommen. Der Tag wird auf jeden Fall gefeiert, so wie jedes Jahr.“Genaue Pläne habe er noch nicht, allerdings werde er in jedem Fall sein Häs tragen. „Ich ziehe an dem Tag sicherlich mal durch die Stadt“, sagt Hillebrecht. Und so wie er werden sich wohl einige Narren in der Region – einzeln und auf Abstand – auf die Straßen begeben – und so die fastnächtlichen Traditionen auch in der Pandemie sichtbar machen.