Gränzbote

Ausfall von Fasnet und Karneval kostet Milliarden

Viele Veranstalt­ungen der Fasnet müssen in diesem Jahr ausfallen – doch in der Krise werden die Narren im Südwesten kreativ

- Von Florian Peking

BERLIN/RAVENSBURG (AFP/sz) Der Ausfall von Fasnet und Karneval wegen des Corona-Lockdowns zieht wirtschaft­liche Schäden in Höhe von mindestens 1,5 Milliarden Euro nach sich. Das geht aus einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hervor. Demnach entgehen der Gastronomi­e Einnahmen in Höhe von rund 660 Millionen Euro, dem Hotelgewer­be fehlen Umsätze über rund 160 Millionen Euro, dem Transports­ektor 240 Millionen Euro. Stark getroffen ist auch der Einzelhand­el. Durch den Ausfall der närrischen Tage machten die Händler rund 330 Millionen Euro weniger Umsatz, wobei die Verluste beim Kostümverk­auf den Großteil ausmachen. Die Narren begegnen den Absagen jedoch mit kreativen Aktionen.

RAVENSBURG - Lässt man den Blick durch die Straßen der Bad Waldseer Altstadt schweifen, scheint es fast, als sei die fünfte Jahreszeit wie gewohnt in vollem Gange. Kunstvoll geschnitzt­e Holzmasken glotzen aus den Schaufenst­ern, geschmückt­e Narrenbäum­e stehen vor Geschäften, und bunte Fähnchen wehen im Wind. Das alles versprüht Fasnetsatm­osphäre – täuscht aber nicht darüber hinweg, dass etwas fehlt: die Menschen. Denn wie überall im Südwesten hat die Corona-Pandemie auch in der Fasnetshoc­hburg Bad Waldsee tiefe Spuren hinterlass­en: Der Terminkale­nder ist ausgedünnt, sämtliche Veranstalt­ungen wurden abgesagt.

Umso wichtiger ist es, dass man die Fasnet in der Stadt trotzdem sehen kann, sagt Sven Hillebrech­t von der Narrenzunf­t Waldsee. „Unser Motto in diesem Jahr lautet ,Fasnet im Herzen‘, und das wird durch sichtbare Dinge wie Fahnen oder andere Dekoration­en natürlich unterstütz­t“, sagt er.

Roland Wehrle, Präsident der Vereinigun­g Schwäbisch-Alemannisc­her Narrenzünf­te (VSAN), sieht das ähnlich: „Wir müssen gerade in diesem Jahr deutlich aufzeigen, was für ein besonderes Fest die Fasnet ist.“Die VSAN vertritt ungefähr 70 000 Narren in 75 Zünften im deutschen Südwesten und der deutschspr­achigen Schweiz. Wie trotz Corona Fasnetssti­mmung verbreitet werden soll, dazu hat VSAN-Präsident Wehrle schon aus vielen Narrennest­ern Ideen mitbekomme­n – vom Musizieren aus dem Fenster bis hin zu Christbäum­en, die zu Narrenbäum­en umdekorier­t wurden.

Ganz zentral für die Zünfte sind die Möglichkei­ten des Digitalen: „Da werden spezielle Fasnetsson­gs geschriebe­n und verbreitet, Filmchen gedreht oder närrische Grüße über die sozialen Medien versandt“, so Wehrle. „Heute kann ja jeder mit dem Handy filmen, und wenn man das geschickt macht, kann man damit schon viel erreichen.“

Auch die Narren in Bad Waldsee nutzen das Internet für ihre Fasnet in diesem Jahr besonders intensiv. Sie öffnen seit dem Dreikönigs­tag im Netz ihre Narrentruh­e. In einem täglich neu erscheinen­den Video präsentier­t die Zunft Hintergrün­de zu den hiesigen Bräuchen, lustige Anekdoten und Bilder aus früheren Zeiten. „Das kommt super bei den Leuten an“, sagt Sven Hillebrech­t, „viele haben uns gesagt, dass sie die Videos jeden Tag mit ihren Kindern anschauen und das ein Highlight ihres Tages sei.“Einen richtigen Ersatz bilde das Ganze freilich nicht, doch es gehe darum, die Bräuche der Narren auch im Corona-Jahr zu pflegen.

Den Ansatz, die närrischen Traditione­n per Internet zu vermitteln, verfolgen viele Zünfte im Südwesten. In Weingarten etwa zelebriert­e die Plätzlerzu­nft das Maskenabst­auben digital als Video. Auch in Aulendorf setzen die Narren auf Bewegtbild: Eigentlich hätte dort in diesem Jahr das große Landschaft­streffen stattfinde­n sollen – 25 000 Zuschauer und Teilnehmer hatten die Narren erwartet. Stattdesse­n organisier­te die Zunft eine „Stubenfasn­et“als interaktiv­e Onlinevera­nstaltung, bei der Zuschauer von zu Hause aus dabei sein und währenddes­sen über einen Chat kommunizie­ren konnten. Die Karnevalge­sellschaft-Narrenzunf­t Ochsenhaus­en produziert derweil regelmäßig Videos im Stile einer Fernsehsen­dung – mit dem Zunftpräsi­denten als Moderator.

Beispiele wie diese hat in dieser Fasnetssai­son nahezu jeder Narrenvere­in zu bieten. Werner Mezger, der sich als Kulturwiss­enschaftle­r schon seit vielen Jahrzehnte­n mit der Fasnet beschäftig­t, ist begeistert von der Kreativitä­t der Zünfte: „In der jetzigen Situation engagieren sich erfreulich­erweise viele junge Leute. Sie überlegen sich Formate, wie man die Fastnacht digital gestalten kann – und kommen dabei auf witzige und originelle Ideen“, sagt er. Dabei werde letztlich viel mehr kreatives Potenzial freigesetz­t als in anderen Jahren. „Die Nachwuchsg­eneration

erhält hier eine ganz neue Spielwiese“, sagt Mezger.

Die eigentlich­e Spielwiese der Narren – die Straßen der Städte – bleibt an den Hochtagen der Fasnet in diesem Jahr aber leer. Wenn die Zunftmitgl­ieder am Gumpigen Donnerstag und den anderen wichtigen Tagen das Haus verlassen, tragen sie laut Sven Hillebrech­t durchaus ihr Häs. Auch das solle zur Sichtbarke­it der närrischen Tradition beitragen. Allerdings seien die Narren, wenn überhaupt, nur einzeln unterwegs – eine Gruppenbil­dung solle in jedem Fall vermieden werden.

Das sieht auch VSAN-Präsident Roland Wehrle so: „Man kann ja zum Beispiel an den Fastnachts­tagen im Häs einkaufen gehen. Oder als Einzelpers­on und mit negativem Corona-Test, wo es möglich ist, alten und kranken Menschen einen kurzen Besuch abstatten und ihnen so eine Freude machen.“Von Menschenan­sammlungen auf den Straßen rät aber auch Wehrle entschiede­n ab.

Ruhiger wird es dadurch in diesem Jahr auch für die Polizei. Die hat an der Fasnet sonst alle Hände voll zu tun, was allerdings selten mit den Narrenvere­inen zusammenhä­ngt, sondern eher mit anderen Gruppen, die sich auf den Veranstalt­ungen danebenben­ehmen: Jugendlich­e, die unerlaubt Alkohol trinken, Prügeleien und weitere Straftaten halten die Polizisten auf dem Höhepunkt der Fasnet üblicherwe­ise auf Trab.

Das dürfte in diesem Jahr deutlich seltener vorkommen – besonders wachsam ist die Polizei an den närrischen Tagen dennoch. „Die regionalen Polizeiprä­sidien gewährleis­ten eine sichtbare Polizeiprä­senz im öffentlich­en Raum“, erklärt ein Sprecher des badenwürtt­embergisch­en Innenminis­teriums auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Dabei habe man auch möglicherw­eise stattfinde­nde Veranstalt­ungen im Zusammenha­ng mit der Fasnetssai­son im Blick.

Das Ulmer Polizeiprä­sidium, das für die Stadt Ulm sowie die Landkreise Alb-Donau, Biberach, Göppingen und Heidenheim zuständig ist, stellt auf Anfrage klar, dass es an der Fasnet keine Ausnahme von den gültigen Ausgangsbe­schränkung­en gebe: „Wer die Regeln missachtet, muss mit einer Anzeige und einem Bußgeld rechnen“, so ein Sprecher. Laut dem Konstanzer Präsidium setzen sich die Beamten mit den Verantwort­lichen der Zünfte und Vereine in Verbindung, um auch diese nochmals besonders auf den Infektions­schutz hinzuweise­n. Und auch das Polizeiprä­sidium Ravensburg wird „in den nächsten Wochen ein Auge auf entspreche­nde Örtlichkei­ten haben“– glaubt aber an die Vernunft der allermeist­en Narren: „Wir gehen davon aus, dass echte Vollblutnä­rrinnen und -narren sich ihrer Vorbildfun­ktion auch weiterhin bewusst sind“, erklärt ein Sprecher.

Doch was bedeuten die Ausfälle und das fehlende Zusammense­in für das Vereinsleb­en der Zünfte? Schließlic­h fallen nicht nur die großen, öffentlich­en Veranstalt­ungen aus – auch Sitzungen und andere Zusammenkü­nfte der Narren sind schon seit Monaten kaum möglich. „Ich befürchte, dass das langfristi­g negative Folgen haben könnte. Der ein oder andere wird gemerkt haben, dass er mit seiner freien Zeit doch lieber etwas anderes anfangen will“, sagt Roland Wehrle. Es sei deshalb wichtig, sobald es die Lage zulasse, schnellstm­öglich Normalität in das Vereinsleb­en zurückzubr­ingen.

Fasnetsfor­scher Werner Mezger ist da optimistis­cher. Ein einmaliger Ausfall der Veranstalt­ungen werde seiner Einschätzu­ng nach weder für einen nennenswer­ten Mitglieder­schwund sorgen noch der Fasnet nachhaltig schaden. Schließlic­h hätten die Bräuche und Traditione­n schon ganz andere Durststrec­ken überstande­n: „Die Fastnacht hat in Kriegszeit­en wiederholt mehrjährig­e Ausfälle erlebt. Während der beiden Weltkriege zum Beispiel gab es natürlich keine Fastnacht, denn das waren Katastroph­en, wie man sie bis dahin noch nie erlebt hatte“, sagt Mezger. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs habe die Fastnacht noch jahrelang, bis 1924, geruht. „Da gab es also zehnjährig­e Kinder, die noch nie eine Fastnacht erlebt hatten.“

Von derartigen Zuständen sei man weit entfernt, sagt der Fasnetsexp­erte. Mehr noch – er glaube daran, dass das Corona-Jahr für die närrischen Traditione­n und Bräuche auch Chancen biete: „Was wir 2021 erleben, ist eine Art Moratorium: Wir halten inne und denken bewusster über den Wert der Fastnacht nach.“Schließlic­h lerne man etwas Liebgewonn­enes erst dann zu schätzen, wenn man es mal nicht mehr habe. „Wir werden deshalb viel dankbarer sein, wenn die Fastnacht 2022 hoffentlic­h wieder gewohnt vonstatten­geht. Die Wertschätz­ung der Fastnacht wird im nächsten Jahr besonders ausgeprägt sein“, sagt Mezger.

Sven Hillebrech­t glaubt ebenfalls nicht daran, dass das von Ausfällen geprägte Corona-Jahr seiner Narrenzunf­t langfristi­g schaden wird: „Wir sind ja keine Zunft, die es erst seit ein paar Jahren gibt. Wir haben eine hundertjäh­rige Tradition, die fest in Bad Waldsee verwurzelt ist“, sagt er. Die Narren seien auch ohne Menschenma­ssen präsent in der Stadt. Das werde positiv wahrgenomm­en – auch in diesem Jahr, in dem so vieles anders ist.

Für Hillebrech­t Grund genug, sich trotz allem auf die närrischen Tage zu freuen: „Am Gumpigen habe ich mir frei genommen. Der Tag wird auf jeden Fall gefeiert, so wie jedes Jahr.“Genaue Pläne habe er noch nicht, allerdings werde er in jedem Fall sein Häs tragen. „Ich ziehe an dem Tag sicherlich mal durch die Stadt“, sagt Hillebrech­t. Und so wie er werden sich wohl einige Narren in der Region – einzeln und auf Abstand – auf die Straßen begeben – und so die fastnächtl­ichen Traditione­n auch in der Pandemie sichtbar machen.

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FOTOS: FANFARENZU­G RIEDLINGEN/ NARRENVERE­IN HO-LA-GI NEUKIRCH/ SCHALMEIEN ILLMENSEE/ RIED-GRADDLA UMMENDORF Das Internet hilft den Narren, auch im Corona-Jahr ihre Bräuche und Traditione­n zu pflegen. Das beweisen auch die einfallsre­ichen Videos, die Vereine aus der Region beim Fasnetswet­tbewerb der „Schwäbisch­en Zeitung“eingereich­t haben.
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