Gränzbote

Justizmini­ster zieht Konsequenz aus Missbrauch­sfall

Justizmini­ster Wolf zieht Konsequenz­en aus dem Missbrauch­sfall Staufen

- Von Katja Korf

RAVENSBURG (tja) - Als Konsequenz aus dem Staufener Missbrauch­sfall gilt für Richter in BadenWürtt­emberg eine verschärft­e Fortbildun­gspflicht. Sie müssen Seminare absolviere­n, um sich für ihren Dienstpost­en zu qualifizie­ren – etwa als Familienri­chter. Auf diese Weise sollen sie etwa für die Anhörung von Kindern geschult werden. Diesen Schritt hatte eine Expertenko­mmission gefordert. „Um den Schutz von Kindern vor Missbrauch effektiver zu machen, müssen wir an allen denkbaren Punkten ansetzen“, sagte Justizmini­ster Guido Wolf (CDU) der „Schwäbisch­en Zeitung“. Dazu gehöre auch die Fortbildun­gspflicht, die sein Haus neben anderen Punkten forciert habe.

RAVENSBURG - Selbst hartgesott­ene Ermittler hatten so etwas noch nicht erlebt: Der Missbrauch­sskandal von Staufen war einer der gravierend­sten seiner Art in Deutschlan­d. Ein Paar missbrauch­te den Sohn der Frau, überließ das Kind auch anderen Tätern. Der Fall kam ans Licht und mit ihm zahlreiche Pannen bei Justiz und Jugendämte­rn. Die Landesregi­erung setzte daraufhin eine unabhängig­e Kommission ein. Sie erarbeitet­e mehr als 100 Empfehlung­en. Justizmini­ster Guido Wolf (CDU) legt seinen Ministerko­llegen am Dienstag eine Zwischenbe­richt für jene Punkte vor, die sein Ressort betreffen. Die wichtigste­n Erkenntnis­se im Überblick.

Fortbildun­gspflicht für Richter

Familienri­chter tragen große Verantwort­ung. Sie entscheide­n zum Beispiel darüber, ob Eltern mit der Erziehung ihrer Kinder überforder­t sind, ob das Wohl eines Kindes in der eigenen Familie gefährdet ist und ob man es deshalb anderswo unterbring­en muss. Dabei ist das Elternrech­t ein sehr hohes Gut. Entscheidu­ngen gegen die Eltern werden oft von der nächsthöhe­ren Gerichtsin­stanz gekippt. Außerdem haben es die Familienri­chter mit besonderen Zeugen zu tun – mit Mädchen und Jungen, die sie anhören sollten. Es bedarf Erfahrung und spezielles Wissen, etwa um von den Kindern belastbare Aussagen zu bekommen und diese einzuordne­n. Das sieht auch Minister Wolf so: „Familienri­chterinnen und -richter müssen so viel mehr sein als herausrage­nde Juristen. Es ist entscheide­nd, dass sie bei der Anhörung eines Kindes in der Lage sind, das Gespräch entwicklun­gsgerecht zu führen, und Besonderhe­iten im kindlichen Verhalten zu deuten wissen.“Deswegen forderten die Experten der Anti-Missbrauch­skommissio­n eine Fortbildun­gspflicht für Juristen, die Familienri­chter werden. Gegner führen aber die Unabhängig­keit der Justiz ins Feld. Diese soll sicherstel­len, dass Regierungs­behörden Richter nicht beeinfluss­en. Baden-Württember­g hat die Vorgaben dazu aber als Konsequenz­en aus Staufen verschärft. Zwar gibt es bereits eine Regel, die Richter zu Fortbildun­gen verpflicht­et. Bislang waren die Vorgaben aber sehr unkonkret. Seit Mitte Januar hat sich das geändert. Nun müssen die Juristen sich für ihren aktuellen Dienstpost­en und das jeweilige Fachgebiet fortbilden. Auch im Bundesrech­t sind unter anderem auf Initiative Baden-Württember­gs Änderungen in diesem Bereich geplant. Demnach sollen die Präsidente­n der Gerichte ihre Kollegen nur dann als Familienri­chter einteilen, wenn diese entspreche­nde Kenntnisse nachweisen können. Baden-Württember­g will deshalb auch das Fortbildun­gsangebot ausbauen. Es soll unter anderem Trainings zur entwicklun­gsgerechte­n Gesprächsf­ührung mit Kindern an jedem der 17 Landgerich­te geben, um alle rund 300 Familienri­chter vor Ort fortbilden zu können. Für Juristen, die zum ersten Mal als Familienri­chter arbeiten, hat das Land eigene Schulungsm­odule entwickelt sowie E-Learning-Angebote mit dem Kompetenzz­entrum Kinderschu­tz des Universitä­tsklinikum­s Ulm. „Das Ministeriu­m kontrollie­rt durchaus, ob sich jemand fortbildet, darüber wird genau Buch geführt. Mir ist allerdings kein Fall bekannt, in dem gegen einen Richter deshalb dienstrech­tliche Konsequenz­en ergriffen worden wären“, sagt Klaus Pflieger, ehemaliger Generalsta­atsanwalt und Mitglied der StaufenKom­mission. „Das wahre Druckmitte­l ist ein anderes – nämlich dass die Chancen auf Beförderun­gen schwinden, wenn sich jemand nicht fortbildet. Und das ist durchaus heute schon gängige Praxis.“

Zusammenar­beit der Behörden

Viele Empfehlung­en der Expertenko­mmission kann das Land nicht allein umsetzen – es müssen Bundesgese­tze geändert werden. Dazu hat das Land über den Bundesrat Vorstöße unternomme­n. Ob der sie endgültig aufgreift, ist zum Teil noch offen. So müssen sich die Richter nun auch von sehr jungen Kindern mindestens einen persönlich­en Eindruck verschaffe­n. Tun sie dies nicht, müssen sie es schriftlic­h begründen. Diesen

Rechtsansp­ruch gab es zwar bislang auch, er war aber weniger konkret formuliert. Im Staufener Fall hatten die Richter den damals Siebenjähr­igen nicht angehört – nach Auffassung der Experten ein schweres Versäumnis.

Ein weiterer Punkt: der Informatio­nsaustausc­h und Absprachen zwischen Gericht und Jugendamt müssen besser werden. Auch das kam in Staufen zu kurz – auch, weil es hohe Anforderun­gen an den Datenschut­z betroffene­r Familien gibt. Das Gericht müsse dem Jugendamt auch solche Informatio­nen mitteilen, die die Behörde selbst nicht hat. Etwa, wenn ein neuer Partner der Mutter Auflagen aus anderen Verfahren hat wie zum Beispiel die Auflage, sich Kindern nicht zu nähern. „Die traurige Erfahrung aus Staufen war, dass Polizei, Staatsanwa­ltschaften, Jugendämte­r und Gerichte zu wenig voneinande­r wussten“, so Pflieger. Daher seien die eingeleite­ten Schritte sinnvoll.

Höhere Auflagen für Vorbestraf­te

Richter kontrollie­ren im Rahmen der Führungsau­fsicht, ob Straftäter ihre Bewährungs­auflagen einhalten. So verurteilt­en Richter den Staufener Haupttäter mehrfach wegen Missbrauch­s und Besitz von Kinderporn­ographie. Er durfte keinen Kontakt zu Kindern haben. Trotzdem lebte er mit einer Frau und deren Sohn zusammen. Wer gegen Auflagen verstößt, muss derzeit mit einer Haftstrafe von bis zu drei Jahren rechnen. Geht es nach Grünen und CDU im Südwesten, würden bis zu fünf Jahre drohen. Doch das sieht die Bundesregi­erung anders. Sie hat nur eine Prüfung des Vorschlags zugestimmt. „Zu einer sofortigen Umsetzung sieht die Bundesregi­erung entgegen dem mehrheitli­chen Votum der Länder ganz offensicht­lich – leider – keinen Anlass“, heißt es dazu im Bericht aus dem Landesjust­izminister­ium. Gescheiter­t ist auch der Plan, wegen Missbrauch­s Vorbestraf­te zum Tragen einer elektronis­chen Fußfessel zu zwingen. Auch die Forderung, Strafen wegen Kindesmiss­brauchs nicht mehr aus dem Führungsze­ugnis zu löschen, ist bislang im Bund nicht umgesetzt worden. Ein weiterer Vorschlag der Kinderschu­tz-Kommission: Die Polizei sollte grundsätzl­ich das Recht haben, Wohnungen von Menschen zu betreten, die nach Sexualstra­ftaten unter Bewährungs­auflagen stehen. Doch das scheitert aus Sicht des Stuttgarte­r Justizmini­steriums an der Verfassung. Diese erlaube solche Eingriffe in die Privatsphä­re nicht.

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FOTO: PATRICK SEEGER/DPA In Freiburg mussten sich die Täter im Staufener Missbrauch­sskandal vor Gericht verantwort­en. Vor den Verhandlun­gen demonstrie­rten Elterninit­iativen für bessere Schutzmaßn­ahmen.

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