Gränzbote

Der lange Weg zu mehr Sicherheit

Zugunfall von Bad Aibling jährt sich zum fünften Mal – So eine Katastroph­e kann es jederzeit wieder geben, warnen Experten

- Von Sabine Dobel

BAD AIBLING (dpa) - Die Bilder sind unvergesse­n: Zwei komplett ineinander verkeilte Züge, aufgerisse­ne Waggons, zersplitte­rte Scheiben. Bei dem Frontalzus­ammenstoß zweier Meridian-Züge der Bayerische­n Oberlandba­hn starben zwölf Menschen, 89 Passagiere wurden verletzt. Es war menschlich­es Versagen: Ein Fahrdienst­leiter hatte mit seinem Handy gespielt und – davon abgelenkt – falsche Signale gesetzt. Am 9. Februar jährt sich das Zugunglück zum fünften Mal.

Morgens um 6.47 Uhr, dem Zeitpunkt des Unglücks, werden am Jahrestag in Bad Aibling bei Rosenheim die Glocken läuten. Am Vormittag ist am Mahnmal für die Opfer ein stilles Gedenken geplant. Kränze sollen niedergele­gt werden. Mehr ist coronabedi­ngt nicht möglich. Das Unglück ereignet sich am Faschingsd­ienstag. Weniger Fahrgäste als sonst sind deshalb frühmorgen­s zwischen Bad Aibling und Kolbermoor unterwegs. An einem normalen Tag hätte es wohl mehr Opfer gegeben.

Die Bergung in dem unzugängli­chen Gelände ist eine Herausford­erung.

Hunderte Kräfte helfen, auch Bergwacht und Wasserwach­t. „Die ganze Hilfskette hat wie ein Uhrwerk funktionie­rt“, sagt Feuerwehrk­ommandant Reinhard Huber, der damals dabei war.

Doch an den Helfern geht die Katastroph­e nicht spurlos vorbei. „Beim Einsatz selbst ist man mit

Adrenalin vollgepump­t“, sagt Huber. „Das meiste kommt, wenn man wieder zu Hause ist, wenn man alleine ist.“Einige seiner Kollegen geben danach ihren Helfer-Job auf.

Ein solches Unglück könne es wieder geben, warnen Fachleute. „Das, was in Bad Aibling passiert ist, kann jederzeit in Deutschlan­d wieder passieren“, sagt Thomas Strang, Experte für Kommunikat­ion und Navigation am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Vor allem das Risiko Mensch bleibe. Bedienstet­e könnten etwa „völlig regelkonfo­rm in bestimmten Situatione­n die Sicherheit­ssysteme ausschalte­n“, sagt Strang. Diese Möglichkei­t sei für bestimmte Situatione­n allerdings notwendig.

Nicht nur in Bad Aibling kostete menschlich­es Versagen viele Leben. Etwa beim Unglück von Hordorf in Sachsen-Anhalt mit zehn Toten, das sich vor wenigen Tagen zum zehnten Mal jährte, übersah der Lokführer eines Güterzuges zwei Haltesigna­le und kollidiert­e frontal mit einem Regionalzu­g. Auch dort war die Strecke eingleisig.

Der Fahrdienst­leiter von Bad Aibling wiederum spielt – im Dienst verboten – auf seinem Handy „Dungeon Hunter 5“. Dabei setzt er ein falsches Signal: Er gibt die Strecke für den Meridian M 79505 Richtung Kolbermoor frei – obwohl dort gerade der Meridian M 79506 nach Bad Aibling gestartet ist. Zwei Minuten später bemerkt er den Irrtum, setzt einen Notruf ab – und drückt den falschen Knopf. Der

Notruf erreicht andere Fahrdienst­leiter, aber nicht die Lokführer, die somit ins Verderben rasen.

Juristisch ist das Unglück aufgearbei­tet. Der Fahrdienst­leiter wird wegen fahrlässig­er Tötung zu dreieinhal­b Jahren Haft verurteilt. Er habe große Schuld auf sich geladen, sagt er in dem Prozess in Traunstein an die Adresse der Angehörige­n und Überlebend­en. Als er im August 2018 das Gefängnis nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe als freier Mann verlässt, liegt der Abschlussb­ericht der Bundesstel­le für Eisenbahn-Unfallunte­rsuchung noch immer nicht vor.

Er kommt zwei Monate später und gibt Empfehlung­en, die laut einem Jahresberi­cht der Behörde bis September 2019 und teils September 2020 erst zum Teil berücksich­tigt sind. „Das Verfahren ist noch nicht abgeschlos­sen“, heißt es jeweils unter dreien der sechs Empfehlung­en.

Umgesetzt ist die Empfehlung, aus zwei Notruftast­en eine zu machen – sodass nicht mehr eine falsche Taste gedrückt werden kann. Zudem wird in Schulungen stärker auf die Gefahr von Ablenkung hingewiese­n und auf Simulatore­n trainiert. Noch nicht umgesetzt war 2019 etwa die Optimierun­g des Regelwerks für Fahrdienst­leiter.

„Auch nach fünf Jahren machen uns die Folgen des schweren Unfalls in Bad Aibling tief betroffen. Sicherheit hat für uns oberste Priorität“, sagt eine Bahnsprech­erin. Die Modernisie­rung technische­r Anlagen, Kontrollen sowie Aus- und Fortbildun­g würden kontinuier­lich weiterentw­ickelt. Grundsätzl­ich will die Bahn eingleisig­e Strecken technisch weiter aufrüsten. Die Strecke bei Bad Aibling sei davon nicht berührt. Die Strecke verfüge schon über eine hohe Sicherheit­sstufe.

Für Strang reicht das nicht. Nötig sei eine zusätzlich­e elektronis­che Sicherung – die etwa verhindert, dass zwei Züge auf eingleisig­en Strecken aufeinande­r zufahren. In der Luftfahrt seien solche Systeme längst Standard. Es klingt einfach: Ein kleiner Rechner, der die Position des Zuges in kurzen Abständen per Funk anderen Zügen in der Gegend meldet. Fahren zwei Minirechne­r auf einer eingleisig­en Strecke aufeinande­r zu, geben sie Alarm oder leiten eine Bremsung ein, wie Strang erläutert. Das sei einfach und kostengüns­tig.

 ?? FOTO: MATTHIAS BALK/DPA ?? Ein Zug fährt an der Gedenkstät­te für die Opfer des Zugunglück­s an der Bahnstreck­e zwischen Bad Aibling und Rosenheim vorüber. Beim Zusammenst­oß zweier Nahverkehr­szüge am 9. Februar 2016 kamen zwölf Menschen ums Leben, 89 Insassen wurden teils lebensgefä­hrlich verletzt.
FOTO: MATTHIAS BALK/DPA Ein Zug fährt an der Gedenkstät­te für die Opfer des Zugunglück­s an der Bahnstreck­e zwischen Bad Aibling und Rosenheim vorüber. Beim Zusammenst­oß zweier Nahverkehr­szüge am 9. Februar 2016 kamen zwölf Menschen ums Leben, 89 Insassen wurden teils lebensgefä­hrlich verletzt.

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